Der Rückversicherer ist 2009 wegen Verlusten auf Schuldnerbonitäts-Swaps beinahe zu Fall gekommen. In seinem Kommandoraum wird heute diszipliniert gearbeitet, denn erneut entstehen an den Märkten Preisexzesse.
Der Rückversicherungskonzern mit weltweit rund 11 500 Mitarbeitenden hat seine Asset-Management-Teams in London, New York, Bratislava, Hongkong und in Adliswil angesiedelt. Im südlichen Vorort Zürichs nutzt Swiss Re mehrere weitläufige Bürogebäude. Hier sind ausser dem Asset Management auch Risk Management und Finance, dazu der wesentliche Teil der administrativen Dienste untergebracht. Wenn die S4 von Zürich kommend an der Haltestelle Sood-Oberleimbach stoppt, ergiesst sich ein Strom von Arbeitstätigen in Richtung der Gebäude. Dieser Standort sei optimal, findet Fürer. Die Investmentstrategen und Portfoliomanager seien mit Informationssystemen und Nachrichtenterminals ebenso gut ausgerüstet wie Händler der Börsenhandelshäuser der Wallstreet, aber hier sehe man zum Bürofenster hinaus die reale Welt – das hemme die in seinem Beruf oft schädliche Abgehobenheit.
Der «Schatztruhe» mit 135 Mrd. $, die der Rückversicherer auf eigene Rechnung investiert, stehen auf der Passivseite der Bilanz hauptsächlich Versicherungsverbindlichkeiten und technische Rückstellungen gegenüber. Die Verbindlichkeiten decken feststehende künftige Zahlungen, bspw. für Lebens- und Pensionsversicherungen. In den technischen Rückstellungen wird mit Szenario- und Wahrscheinlichkeitsrechnungen das Ausmass der Leistungen abgebildet, das für Naturkatastrophen und menschengemachte Grossschäden nach bestmöglicher Einschätzung zu tragen ist.
Um jederzeit auch für grösste Einzelbeträge zahlungsbereit zu sein, hat der Konzern zum Beispiel am Stichtag 31. März beinahe 10 Mrd. $ liquide gehalten. Weitere 20 Mrd. $ sind kurzfristig am Geldmarkt platziert gewesen, obschon darauf kaum noch Zins abfällt. Kurzzeitig angelegt sind mittlerweile grössere Summen, die wegen der Niedrigzinslage nach Ablauf von Obligationen nicht in diese Anlageklasse reinvestiert worden sind. Mit diesem Anlagevorgehen wird die gemittelte Laufzeit des Gesamtportefeuilles – die Duration – verkürzt. Der Vorteil liegt darin, mit steigenden Marktzinsen weniger Buchverluste im Anleihenbestand zu erleiden. Zudem kann das Unternehmen schneller von kletternden Zinsen profitieren, weil das Cash dann wieder in Anleihen investiert werden kann.
Kompetenz und Agilität des Asset-Management-Teams stecken auch in Dingen wie einem ausführlichen Grundlagenpapier, das dem Verwaltungsrat die Sensitivität für Verschiebungen der Zinskurve illustriert und dem obersten Gremium Basis sein soll für anlagestrategische Entscheide. Swiss Re ist in bedeutendem Umfang in Zinspapieren investiert. Rund 60% der Gesamtinvestments sind dem Zinsänderungsrisiko ausgesetzt. Aktien und weitere Sachanlagen werden als längerfristig performancestarke Ergänzungsanlage geschätzt. Ihr Ausmass ist aus Rücksicht auf die Unternehmensstrategie, die das Tragen von Versicherungsrisiken zum Kern hat, auf etwa 40% des Eigenkapitals begrenzt – folglich auf rund 12 Mrd. $.
Die Krux der Zinsänderungsauswirkungen ist, dass sie ungleichen, oft gar gegenläufigen Effekt haben auf die beiden primären Steuerungsgrössen der Assekuranzunternehmen. Ein markantes Steigen der Zinskurve bildet sich unverzüglich in Buchverlusten auf Anleihen ab, was das nach den Buchführungsregeln von IFRS und US-GAAP errechnete Eigenkapital vermindert.
Auf den ökonomischen Solvenzwert, etwa den Schweizer Solvenztest SST, hingegen ist dieser Einfluss minim, sofern die Fristenkongruenz zwischen Anlagen und Verpflichtungen übereinstimmt. In dieser Systematik wird mit einer Verschiebung des Zinsgefüges auch der Diskontsatz angepasst, der für die Barwertberechnung der Versicherungsverbindlichkeiten verwendet wird. In marktnahen Solvenzsystemen – dem SST wie auch den in der EU auf 2016 geplanten Solvenz-II-Regeln – lassen Zinskurvenänderungen Aktiven wie Passiven der Versicherer im gleichen Ausmass schwanken.
Der Anlagebereich ist so zu navigieren, dass Auswirkungen auf die rechnungslegungstechnische Dimension wie auf die aufsichtsrechtliche Solvenzwertung unter Kontrolle bleiben. Dieser Spagat war auch auszuhalten, als Swiss Re im vergangenen Jahr im grösseren Stil Umschichtungen von Staatsanleihen zu Unternehmensanleihen durchsetzte. Ziel dabei war, die laufende Rendite des Obligationenportfolios zu vergrössern, ohne ein merklich höheres Ausfallrisiko – gemessen am durchschnittlichen Rating des Gesamtbestands – in Kauf zu nehmen. Die Komplexität des gesamten Investmentgefüges zeigt sich in der Illustration auf dieser Seite.
Die Anlagegelder der vier Konzernsparten sind in unterschiedlichem Ausmass den wesentlichen Anlageklassen zugeteilt, weil etwa das Lebensrückgeschäft längere Kontraktlaufzeiten kennt und folglich zur Kongruenz der Fristen eine entsprechend längerfristige Bindung der Investments gesucht wird. Zudem hat das Asset Management zwar zentrale Verantwortung für die Anlagen und auch Zugriff auf alle Investments, obschon jede Ländergesellschaft gemäss den Regeln der Versicherungsaufsicht eine eigene vollständige Bilanz mit lokal gebuchten Investments und Verbindlichkeiten führen muss. So sind die 135 Mrd. $ Konzernanlagen das Aggregat der Investments von mehr als achtzig operativen Einheiten.
Fürers grosses berufliches Anliegen ist, dass Infrastrukturdarlehen für institutionelle Anleger den Status einer eigenständigen Anlageklasse erlangen. Versicherer und Vorsorgeeinrichtungen seien dank ihrer grundsätzlich langfristigen Anlageausrichtung ideale Kreditgeber für privatwirtschaftlich betriebene Infrastrukturprojekte, etwa Energieanlagen, Mautstrassen oder Logistikinstallationen. In etwas weiter gefasster Betrachtung macht Fürer zudem eine Chance für den gesamten Finanzplatz Schweiz aus. Wenn wesentliche Exponenten der Bankbranche auf ein Vordringen hiesiger Institute in den Asset-Management-Bereich Infrastruktur, insbesondere in die Finanzstrukturierung und -vermittlung solcher Projekte, drängen würden und die neue Geschäftsstrategie von einer vermehrten Darlehensbereitschaft von Versicherern und Pensionskassen begleitet würde, könnte sich auf dem an vielen Fronten bedrängten Finanzplatz endlich wieder eine Auf- und Ausbaubewegung entwickeln.
Bewegung nötig ist dazu auch aufseiten der Aufsichtsbehörden der Versicherer und der Vorsorgeeinrichtungen, denn sie müssten bereit sein, in den Anlageregulativen Infrastrukturdarlehen weniger zu diskriminieren. Das flammende Plädoyer Guido Fürers lässt erahnen, dass er seine Investment-Banking-Vergangenheit bestens in Einklang zu bringen weiss mit der Funktion des Anlageverantwortlichen des bedeutenden Assekuranzhauses.
Klar zu erkennen ist, wie jeweils nach Zahlung der Dividende der Kurs zurückfällt. Das war auch dieses Frühjahr der Fall, nachdem Swiss Re mit 8 Fr. je Aktie erneut eine Riesendividende ausgeschüttet hatte. 70% des letztjährigen Gewinns an die Aktionäre zu leiten, sei klüger, als dieses Geld für eine Expansion im umkämpften Kerngeschäft einzusetzen, begründete Verwaltungsratspräsident Walter Kielholz damals das Vorgehen.
Die Dividendenrendite von knapp 10% (gemessen am Kurs vor Auszahlung) ist branchenweit unerreicht. Die beiden weiteren Giganten der Rückversicherungsbranche halten die Investoren weit karger. Die Aktionäre der Münchener Rück verbuchten dieses Jahr eine Dividendenrendite von 4,4%, die Eigner der US-Holding Berkshire Hathaway erhalten seit jeher überhaupt keine Ausschüttung. Grossaktionär und Chefinstanz Warren Buffett verlangt, sämtlichen Gewinn reinvestieren zu dürfen.
Für die Branche belastender als die Niedrigzinslage ist die Erosion der Rücktarife. Die Perspektiven der Branche sind deshalb getrübt. Die Gewinnschätzung für das laufende Jahr muss aus Vorsichtsgründen unter dem 2013 ausgewiesenen Ergebnis angesetzt werden. Als wahrscheinlich für Swiss Re gilt, dass die ordentliche Dividende von zuletzt 3.85 Fr. im Falle eines weiteren Jahres ohne teure Naturkatastrophen angehoben wird. Ob es erneut für eine Sonderausschüttung reicht (dieses Frühjahr 4.15 Fr.), lässt sich vernünftigerweise erst nach Ablauf des Jahres schätzen.
Die Aktien sind im Kurs-Gewinn-Verhältnis von 9,5 und gemessen am Buchwert – nach Ausschüttung Ratio von 0,95 – am oberen Rand der mehrjährigen Bewertungen. Solange wuchtige Naturereignisse ausbleiben, ist gut möglich, dass sie besser als der Markt abschneiden.
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