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09:12 Uhr - 08.06.2016

«Wir verschwenden keine Zeit mit dem Fed»

David Iben, Deep-Value-Investor aus Florida, zieht Parallelen zu 1999. Wie damals findet er trotz überteuertem Aktienmarkt viele günstige Titel.

David Iben ist ein Bär von einem Mann, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint. Entsprechend unerschrocken investiert der Hüne in Titel, um die die meisten Anleger einen Bogen machen und die deshalb günstig bewertet sind. Der Contrarian stürzt sich aber nicht blind auf die grössten Verlierer, sondern versucht abzuschätzen, wo die Masse der Investoren falschliegen könnte. Das trifft derzeit besonders auf Uran- und Goldförderer zu. Auch Schwellenländeraktien haben es ihm angetan.

Zur PersonDavid Iben ist Gründer des in Tampa im US-Bundesstaat Florida domizilierten Vermögensverwalters Kopernik Global Investors. Seit 2014 verwaltet er den Heptagon Kopernik Global All Cap Equity Fund, der weltweit in die günstigsten Titel investiert. Der 59-jährige Iben hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt.

Seine Karriere startete er als Finanzanalyst im Anlagebereich der Farmers Insurance in Los Angeles, wo nicht der kurzfristige Anlageerfolg zählte, sondern unterbewertete Unternehmen aufgespürt wurden. 1998 gründete Iben sein erstes eigenes Unternehmen. Seine in loser Folge erscheinenden, erfrischend aufgemachten «Iben Insights» sind Pflichtlektüre für Querdenker.
Herr Iben, wie schätzen Sie das Börsenumfeld ein?
Value als Anlagestil ist derzeit so unbeliebt wie zuletzt 1999. Selbst Value-Investoren setzen nicht mehr auf Value, sondern auf Wachstum. Anleger schauen nur auf den Cashflow und sind bereit, für Stabilität, wie eine Nestlé (NESN 73.55 -0.54%) oder eine Procter & Gamble (PG 82.32 -0.54%) sie bieten, enorme Preise zu bezahlen. Fallen die Gewinne hingegen geringer aus als erwartet oder schwanken sie zu stark, trennen sich die Investoren fast um jeden Preis auch von guten Unternehmen, selbst wenn der Gewinnausfall nur temporär ist. Deshalb finden sich unter der Oberfläche Titel, die so günstig sind wie selten zuvor, obwohl die US-Börse teuer ist.

Diese Titel scheinen Sie vor allem im Rohstoffbereich zu finden. Sorgen Sie sich nicht wegen der enormen Überkapazitäten?
Wir halten nicht einfach Rohstoffe, sondern fokussieren auf solche mit nachhaltiger Nachfrage und begrenztem Angebot, die weit unter dem Anreizpreis handeln, zu dem neue Kapazitäten geschaffen würden. Weil wir nicht in Rohstoffe direkt investieren, sondern auf Aktien von unterbewerteten Förderern mit grossen Vorkommen setzen, kaufen wir diese Segmente mit noch grösserem Abschlag.

zoomFür Stahl dürfte das kaum gelten. Mit Japan Steel Works findet sich aber ein Stahlunternehmen unter den grössten Positionen.
Japan Steel Works produziert zwar Stahl, aber wir halten den Titel, weil das Unternehmen Weltmarktführer für Sicherheitsbehälter für Kernkraftwerke ist. Der Markt differenziert jedoch nicht und bewertet Japan Steel Works wie einen beliebigen Rohstoffproduzenten.

Die Kernkraft steht ebenfalls unter Druck.
Deutschland mag zwar 22 Reaktoren stilllegen, doch im Rest der Welt werden 80 neue Kernkraftwerke gebaut. Indien, China, Russland und der Nahe Osten brauchen Kernkraft, um die steigende Stromnachfrage zu befriedigen.

Das dürfte auch die Position im kanadischen Uranförderer Cameco erklären.
Bereits heute fördert die Uranindustrie weniger, als verbraucht wird. In den letzten Jahren war das kein Problem, weil sekundäre Quellen einsprangen. Das US-Energiedepartement verkaufte Uran, und zwanzig Jahre lang hat Russland Bomben in Brennstäbe verwandelt. Das russische Programm lief Ende 2013 aus, seither sinken die Vorräte. Damit neue Vorkommen erschlossen werden, müsste sich der Uranpreis von 28 auf 75 $ je Pfund verdreifachen.

Und warum gerade Cameco?
Das Unternehmen hat riesige Reserven und arbeitet mit niedrigen Kosten. Bleibt der Uranpreis konstant, ist das Abwärtsrisiko gering. Steigen die Notierungen aber Richtung Anreizpreis von 75 $, ist das Upside riesig. Wegen der niedrigen Kosten wäre Cameco einer der Hauptprofiteure.

Wasserkraft scheinen Sie auch zu mögen.
Wasserkraftwerke verfügen über ein natürliches Monopol, weil man einen Fluss am selben Ort nicht zweimal stauen kann. Die variablen Kosten sind extrem niedrig, die Produktion kostet also fast nichts. Zusammen mit der Monopolstellung garantiert das ansprechende Kapitalrenditen. Deshalb bezahlen Anleger im Normalfall eine Prämie für solche Werte. Befindet sich das Kraftwerk aber in Brasilien oder Russland, bezahlt der Markt nicht nur keine Prämie, sondern bietet einen Abschlag von bis zu 75% auf das investierte Kapital. Auch wir wollen für das politische Risiko in diesen Ländern entschädigt werden – nur reicht uns ein Discount von 50%. Deshalb halten wir Eletrobras in Brasilien und RusHydro in Russland.

Goldminen halten Sie ebenfalls. Sorgen Sie sich nicht um die beabsichtigten Zinserhöhungen durch die US-Notenbank Fed?
Wir verschwenden keine Zeit damit, vorherzusagen, was das Fed tun wird. In den letzten Jahren versprach die Notenbank ständig, die monetären Zügel anzuziehen, doch bis auf den Minischritt im Dezember wurde dieser Entscheid immer wieder vertagt. Vielleicht ringt sich das Fed demnächst zu einem weiteren bedeutungslosen Minischritt durch, vielleicht auch nicht.

Gold (Gold 1251.92 0.64%) dürfte unter Zinserhöhungen leiden.
Der Nominalzins spielt keine Rolle, es ist der Realzins, der zählt. In den Siebzigerjahren stiegen die Zinsen von 5 auf 22%, während sich Gold von 35 auf 800 $ vervielfachte. Dies, weil die Zinsen der Inflation hinterherhinkten. In den Achtzigern sind Zinsen und Gold gesunken, weil sich die Inflation noch schneller zurückbildete. Damit es problematisch wird für Gold, müssten die Zentralbanken den Realzins deutlich erhöhen. Nur wären in diesem Fall die Auswirkungen für die globalen Anleihenmärkte und auch für viele Aktien weit dramatischer. Deshalb ist dieses Szenario sehr unwahrscheinlich.

Erwarten Sie höhere Inflationsraten?
Wir kümmern uns nicht um den Konsumentenpreisindex und machen auch keine Konjunktur- und Inflationsprognosen. Wir analysieren aber eingehend, was passiert ist. In den letzten acht Jahren hat das Fed fünfmal so viel Geld gedruckt wie in den vorhergehenden 95 Jahren. Das ist Fakt, und das ist per Definition Inflation. Diese 4 Bio. $ haben Anleihen-, Aktien- und Immobilienpreise befeuert und steigende Gesundheits-, Ausbildungs- und Versicherungskosten verursacht. Gleichzeitig sind andere Preise wegen der durch das billige Geld aufgebauten Überkapazitäten gefallen. Deshalb fragen wir uns, wo die Überkapazitäten und die Anreizpreise liegen.

Wie bewerten Sie denn eine Goldmine?
Die meisten Analysten benutzen für die Bewertung das Discounted-Cashflow-Modell. Dadurch steht die heutige Goldproduktion besser da als die künftige. Wird mit 10% abdiskontiert, ist Gold, das in einem Jahr gefördert wird, heute 10% weniger wert. Gold, das in zehn Jahren gefördert wird, ist beinahe wertlos. Diese Modelle bevorzugen also Minen mit einem hohen laufenden Ausstoss. Das ist in unseren Augen verkehrt, weil Gold weit unter den künftigen Grenzproduktionskosten von 2000 $ handelt.

Das müssen Sie erklären.
Wenn Gold unter dem Anreizpreis handelt, sollten Anleger die künftige Förderung nicht bestrafen, sondern im Gegenteil eine Prämie dafür bezahlen – so wie am Optionenmarkt, wo Optionen mit längerer Laufzeit teurer sind. Barwertmodelle bestrafen langlebige Reserven, Optionsmodelle belohnen sie.

Was heisst das nun für einen Titel wie Newcrest Mining, Ihre grösste Position?
Wir modellieren verschiedene Szenarien. Für den Fall, dass der Goldpreis bei 1200 $ bleibt, benutzen wir den Liquidationswert des Unternehmens. Er errechnet sich aus dem Verkaufserlös der gesamten Goldvorräte abzüglich der Förderkosten. Newcrest handelt unter diesem Wert – Sie könnten also das Unternehmen kaufen, liquidieren und damit einen kleinen Gewinn erzielen. Ein Goldpreis von 1500 $ entspräche einer Verdoppelung des fairen Werts. Steigt der Goldpreis auf 2000 $, könnte sich Newcrest verfünffachen. Mit anderen Worten: Das Abwärtsrisiko scheint gering, während das Potenzial dank der grossen Vorräte riesig ist.

Was wäre, wenn der Goldpreis fällt?
Sollte Gold für längere Zeit um 1000 $ verharren, würden wir Verluste einfahren. Dieses Szenario erachten wir angesichts der gewaltigen Gelmengenausweitung aber als unwahrscheinlich.

Trotzdem haben Sie im März Goldminen abgebaut. Warum?
Einerseits mussten wir Gewinne mitnehmen, weil wir nicht mehr als 25% unseres Portfolios in derselben Industrie halten dürfen. Andererseits haben wir in Royalty Companies umgeschichtet. Solche Lizenzunternehmen schiessen den Minen Kapital vor. Statt sich mit Zinsen bezahlen zu lassen, sichern sie sich einen Teil der Förderung. Das ist ein gutes Modell, weil sie das Upside von Gold erhalten und die Probleme umgehen, mit denen die Industrie zu kämpfen hat. Steigende Förderkosten und Steuern oder schlechte Akquisitionen belasten die Streamer nicht. Deshalb handelten sie immer mit einer Prämie auf Minenwerte. Da sich diese jüngst abgebaut hat, haben wir Royal Gold und Silver Wheaton gekauft.

Gibt es Bereiche, die Sie nicht kaufen, obwohl die Kurse stark gefallen sind?
Wir werden oft als Contrarians bezeichnet. Damit können wir leben. Genau genommen sind wir indes keine Contrarians, sondern glauben an unabhängiges Denken. Der Masse zu folgen, ist töricht. Genauso unklug ist es, immer das Gegenteil der Masse zu tun. Das ist kein unabhängiges Denken, weil die Masse hin und wieder auch recht hat. Was man jedoch sagen kann: Wenn eine Anlage beliebt ist, ist die Chance sehr gering, dass wir sie noch mehr mögen als alle anderen.

Und umgekehrt?
Ist eine Anlage unbeliebt, sind wir mit dem Markt meist einverstanden. Hin und wieder kommen wir aber zu einem anderen Schluss – wie beim Uran, bei dem die Masse denkt, Kernkraft habe keine Zukunft, obwohl neue Reaktoren gebaut werden. Falsch liegt der Markt auch beim Gold, wo er den Abwärtstrend seit 2011 einfach in die Zukunft fortschreibt. Angebot und Nachfrage sowie Produktionskosten sprechen eine andere Sprache.

Banken sind ebenfalls stark gefallen.
Auch hier betrachten wir Angebot und Nachfrage. In den USA, Europa, Japan, China und Kanada sind die Gesamtschulden so hoch wie noch nie – es besteht also ein Überangebot an Krediten. Wenn Sie mit einer überstrapazierten Bilanz ein Produkt anbieten, das die Welt nicht braucht, haben Sie womöglich ein Problem. Wenn wir eine Bank kaufen, dann bevorzugt in einem Land mit geringem Schuldenstand, wachsendem Kapitalstock und wachsender Mittelschicht – sprich mit einem ausgewiesenen Bedarf nach Hypotheken und Unternehmenskrediten. Wir suchen gut kapitalisierte, unterbewertete Banktitel in Ländern, die nicht zu hoch verschuldet sind und Wachstumspotenzial aufweisen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
In Russland betragen die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ein Zehntel dessen, was sie im Westen ausmachen. Deshalb sind Banken dort weniger riskant als anderswo. Wir halten Sberbank, haben die Position aber etwas reduziert, weil das Kurs-Buchwert-Verhältnis von 0,75 auf leicht über 1 geklettert ist.

Haben Sie jemals eine Qualitätsaktie wie Nestlé gehalten?
1972 liebte der Markt solche Titel über alles und bezahlte deshalb viel zu hohe Preise. Als ich zehn Jahre später ins Geschäft eingestiegen bin, konnte ich diese Valoren zu attraktiven Bewertungen kaufen, weil sie den marktbreiten Indizes nach 1972 jahrelang hinterherhinkten. Auch nach der Finanzkrise gab es Gelegenheiten in Namen wie Microsoft (MSFT 52.1 -0.06%), Eli Lilly (LLY 74.7 -0.19%), Pfizer (PFE 34.84 -0.26%), eBay oder Whole Foods Market (WFM 33.97 1.83%). Derzeit bezahlen Anleger aber wieder viel zu hohe Preise für Stabilität. Deshalb schätzen wir die Risiken höher ein als das Potenzial. Zudem sind die Unternehmen, die wir halten, qualitativ ebenfalls hochwertig – nur die Gewinne sind nicht stabil.

Gilt das Argument der hohen Bewertung auch für Pharmawerte, die Mühe bekunden, seit US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton letztes Jahr die hohen Medikamentenpreise angegriffen hat?
Die Bewertungen fielen nicht tief genug. Als Barack Obama Präsident wurde, handelten Pharmatitel zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 7 oder 8. Nach Clintons Tweet war das nicht der Fall. Zudem sind die Gewinne mancher Unternehmen eher der kreativen Buchhaltung geschuldet als dem tatsächlichen wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb sind sie auch teurer, als sie erscheinen.

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