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07:02 Uhr - 20.04.2017

«Die Geldpolitik ist völlig verfehlt»

Richard Koo, Chefökonom des Nomura Research Institute, erklärt, warum die Massnahmen der Notenbanken wirkungslos sind. Helfen könne einzig der Staat.

Wahnsinn ist, wenn man immer wieder das Gleiche tut und dabei ein anderes Ergebnis erwartet», zitiert Richard Koo den Physiker Albert Einstein. Der Chefökonom des Nomura Research Institute bezieht die Aussage auf die gegenwärtige Geldpolitik. Die immer extremeren Massnahmen verfehlten ihre Wirkung, weil der Privatsektor nach dem Platzen der Immobilienblase vielerorts mit dem Schuldenabbau beschäftigt sei und sich deshalb kein Geld leihen wolle. Koo hat für dieses Phänomen den Begriff Bilanzrezession geprägt.

Statt die Wirtschaft anzukurbeln, hätten die Notenbanken neue Vermögenspreisblasen geschaffen und sich mit ihren riesigen Bilanzen unnötig in die Enge getrieben, sagt Koo im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft». Der in Tokio wohnhafte Koo weilte auf Einladung des Immobilienspezialisten Swiss Finance & Property Group in Zürich.

Zur PersonRichard C. Koo wurde 1954 in Kobe, Japan, geboren. Der US-Bürger mit taiwanesischen Wurzeln studierte Ökonomie an den Universitäten Berkeley und Johns Hopkins. Danach stiess er zur Federal Reserve Bank von New York. Seit 1984 ist er für das Nomura Research Institute tätig, wo er nun die Position des Chefökonomen bekleidet. In seinem 2008 erschienenen Buch «The Holy Grail of Macroeconomics» popularisierte er die Idee der Bilanzrezession. FuW Herr Koo, die globale Wirtschaft dümpelt auch acht Jahre nach der Finanzkrise vor sich hin, obwohl die Zentralbanken das ­System mit Geld fluten. Was läuft falsch?
Die expansive Geldpolitik wirkt nicht, weil sich niemand Geld leihen will.

Warum nicht? Die Zinsen sind doch ­verlockend tief.
Unternehmen und Privathaushalte sparen lieber und zahlen Schulden zurück, statt sich neues Geld zu leihen und zu investieren. Dies deshalb, weil nach dem Platzen der Immobilienblase viele Schuldner faktisch bankrott waren und immer noch traumatisiert sind.

Die Tiefstzinsen verfehlen also ihre ­Wirkung?
Genau. In den USA legt der Privatsektor trotz Nullzinsen über 5% der jährlichen Wirtschaftsleistung als Ersparnisse zur Seite. In Deutschland sind es mehr als 6% und in Irland fast 9%. Der Privatsektor repariert seine Bilanzen – deshalb spreche ich in diesem Zusammenhang auch von einer Bilanzrezession.

Wie sind vor diesem Hintergrund die Anleihenkäufe der Zentralbanken zu werten?
Die geldpolitischen Massnahmen der letzten Jahre sind völlig verfehlt. Gewisse Notenbanker dachten, sie könnten japanische Verhältnisse vermeiden, indem sie das System mit Geld fluten. Nehmen Sie das Beispiel Grossbritannien: Dort hat sich seit der Krise die Basisgeldmenge verfünffacht. Dieses Geld blieb aber im Bankensystem liegen. Deshalb nahm die breitere Geldmenge nur ein Drittel zu, während die ausstehenden Bankkredite sogar 12% schrumpften. In anderen Ländern präsentiert sich die Lage ähnlich.

Zieht deshalb auch die Inflation kaum an?
So ist es. Das neu geschaffene Geld kommt nicht in der Wirtschaft an und wirkt deshalb auch nicht inflationär. Irgendwann sind die Bilanzen aber repariert, und der Privatsektor beginnt sich wieder Geld zu leihen.

Müssen wir dann mit einem Teuerungsschub rechnen?
Die Guthaben der Banken bei den Zentralbanken sind immens. In den USA übertreffen diese Bankreserven die Mindest­reserven um den Faktor 13. Das heisst, die Geldmenge in der Wirtschaft könnte 1300% steigen – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Inflation.

Wie können die Notenbanken ­gegensteuern?
Die Zentralbanken müssen die Geldmenge drastisch reduzieren und dafür ihren Anleihenbestand abbauen. Fällige Papiere werden nicht mehr ersetzt und Anleihen am Markt verkauft. Beides führt zu höheren Zinsen.

Geht das ohne Unfall?
Bisher musste sich noch nie eine Notenbank aus einer derart misslichen Lage befreien. Als der damalige US-NotenbankChef Alan Greenspan Mitte der Nullerjahre die Zinsen erhöhte, ist die Bilanz des Fed langsam und stetig weiter gewachsen. Nun muss es die Zinsen erhöhen und gleichzeitig die Bilanz kürzen. Deshalb ist das Erwartungs-Management durch das Fed so wichtig. Es muss signalisieren, was als Nächstes geschieht, um Unfälle zu vermeiden. Trotzdem wird es von Zeit zu Zeit zu Turbulenzen kommen.

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Weshalb?
Die steigenden Renditen von Staatsanleihen werden an den Aktienmärkten Korrekturen auslösen. In der Folge wird das Fed das Tempo seiner Zinserhöhungen drosseln oder sogar gegensteuern. Sobald sich die Märkte stabilisieren, muss das Fed seine Zinserhöhungen fortsetzen, was erneut Korrekturen auslöst – und so weiter. Insgesamt werden die langfristigen Zinsen höher steigen, als wenn das Fed auf die Anleihenkäufe verzichtet hätte.

Verkraftet die Wirtschaft den Zinsanstieg?
Die Renditen zehnjähriger Treasuries sind in kurzer Zeit von 1,7 auf 2,6% gestiegen – wir stecken also schon mitten in diesem Anpassungsprozess. Die Hoffnung ist, dass die Zinsen nicht viel weiter steigen – dass es also gelingt, diesen Ausstieg so zu steuern, dass er keinen Schaden anrichtet.

Ist das realistisch?
Die Notenbanken haben keine Wahl. Sie haben die quantitativen Lockerungen durchgeführt, jetzt müssen sie sie zurückdrehen. Wir müssen uns alle überlegen, wie wir lebendig aus diesem Schlamassel kommen. Ideen sind gefragt. Erwartungs-Management, Forward Guidance, all das ist nötig, damit es nicht zu einem grösseren Unfall kommt.

Immerhin hat die unkonventionelle Geldpolitik die Finanz- und Immobilienmärkte höher getrieben, was die Bilanzen des ­Privatsektors entlastet hat.
Preisblasen aufzublähen, um Bilanzen zu reparieren, klingt nicht wirklich clever, weil auch die neuen Blasen eines Tages platzen werden. Davon kann Greenspan ein Lied singen: Als die Technologieblase platzte, hat er die Immobilienblase angefacht. Die Folge waren noch weit grössere Probleme.

Das Aufblähen der Vermögenspreise war ein Ziel der quantitativen Lockerung.
Deshalb sind die Preise für kommerzielle Liegenschaften in den USA auf neue Höchst geklettert und haben erneut eine Blase gebildet, die den Ausstieg aus der ­expansiven Politik erschwert. Das war vollkommen unnötig.

Waren die unkonventionellen Massnahmen wirklich unnötig? Sogar in Europa zieht endlich das Wachstum an.
Die Wirtschaft wächst nicht wegen der Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank. Irland und Spanien halten sich gut, weil dort die Löhne gesunken sind. Deshalb wird die Produktion in diese Länder verlagert. Die Wirtschaft passt sich letzten Endes immer an – die Frage ist, ob in acht Jahren oder schneller. Europa hat die langsame Gangart gewählt. Das erklärt den Aufstieg der populistischen Parteien – die Bevölkerung war zu lange unglücklich. Das wäre vermeidbar gewesen, wenn man von Anfang an das Richtige gemacht hätte.

Was wäre denn das Richtige?
In der Finanzkrise mussten die Zentralbanken ihre Rolle als Lender of Last Resort wahrnehmen. Das haben sie auch gut gemacht. Alle folgenden Massnahmen wie Anleihenkäufe und Negativzinsen waren aber zum Scheitern verurteilt. Stattdessen hätten die Notenbanken den Politikern weis machen sollen, das Budgetdefizit nicht zu verringern – so wie das Ben Bernanke in den USA getan hat. Die Regierungen hätten als Kreditnehmer in letzter Instanz auftreten sollen. Zentralbanken als Lender of Last Resort und Regierungen als Borrower of Last Resort – diese Kombination braucht es in der Bilanzrezession.

Warum soll sich der Staat verschulden?
Der einzige Schuldner, der in einer Bilanzrezession übrig bleibt, ist der Staat. Er muss deshalb einspringen, sich verschulden und dieses Geld in Umlauf bringen. Japan liefert besten Anschauungsunterricht. Dort kollabierten die Immobilienpreise nach dem Platzen der Blase 1991 über die folgenden fünfzehn Jahre fast 90% – und das landesweit. Dabei wurden 1500 Bio. Yen an Wert vernichtet. Trotzdem ist die Wirtschaftsleitung Nippons nie unter das Vorkrisenniveau gesunken, weil die Regierung rund 2000 Bio. Yen ausgegeben hat.

Das ist in der Eurozone wegen der Maastrichter Defizitgrenze aber nicht möglich.
Deshalb plädiere ich für eine Ergänzung des Vertrags: Wenn der Privatsektor auch bei Nullzinsen mehr als 3% der jährlichen Wirtschaftsleistung spart, sollte der Staat die Differenz ausgleichen können.

Japan baute Brücken und Strassen ins ­Niemandsland. Spielen unproduktive ­Investitionen keine Rolle?
Unmittelbar nach dem Platzen der Blase ist alles besser, als nichts zu tun. Da geht es nur darum, den Kollaps der Wirtschaft zu vermeiden. Je stärker die Wirtschaft einbricht, desto grösser ist der benötigte Stimulus, um sie wieder auf das Vorkrisenniveau zurückzuführen. Sobald sich die Konjunktur stabilisiert, sollten jedoch Investitionen angestrebt werden, die sich selbst finanzieren. Da hätte Japan wohl einen besseren Job machen können.

Gibt es eine Obergrenze für die Staatsverschuldung, die in Japan 250% des Brutto­inlandprodukts beträgt?
So lange sich die Projekte selbst finanzieren, gibt es keine Obergrenze, denn es entsteht keine zukünftige Steuerbelastung. Ein Abbau der Staatsschuld kann erst in Betracht gezogen werden, wenn der Privatsektor wieder Geld leiht und investiert. Die Voraussetzungen wären gegeben – japanische Unternehmen verfügen über die saubersten Bilanzen der Welt.

Wird der japanische Privatsektor also bald zur Wachstumslokomotive?
Ich denke nicht. Die Erfahrungen mit dem Schuldenrückzahlen waren so einschneidend, dass die Manager, die jetzt am Ruder sitzen, wohl nie mehr Geld leihen wollen. Erst wenn jüngere Kräfte nachrücken, die sich nicht an diese schrecklichen fünfzehn Jahre erinnern können, wird man wohl eine nachhaltige Erholung sehen.

Das klingt nicht gerade ermutigend.
Nach der grossen Depression dauerte es dreissig Jahre, bis die Zinsen in den USA 1959 auf das Niveau der Zwanzigerjahre zurückgekehrt sind – und das, obwohl der Zweite Weltkrieg einem astronomischen Fiskalstimulus gleich kam, der die Bilanzen des amerikanischen Privatsektors reparierte. 1945 wies dieser die saubersten Bilanzen der Welt auf. Trotzdem dauerte es weitere 14 Jahre, bis die Amerikaner wieder Geld zu leihen begannen.

Was sollen Anleger in diesem Umfeld tun?
Wenn ein Unternehmen interessante Projekte in Aussicht hat, ist jetzt die Zeit, diese umzusetzen. Die Zinsen sind niedrig, Fondsmanager sitzen auf haufenweise Cash, einige Zentralbanken fluten das System weiter. Für Anleger sind die Zeiten aber extrem schlecht. Negativzinsen bedeuten, dass niemand ihr Geld will. Neue Technologien bieten Chancen, Schwellenländer ebenso. Dort besteht noch Aufholpotenzial.

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