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14:23 Uhr - 08.06.2016

«Brasilien ist unser grosser Favorit»

Enzo Puntillo, Anlagechef Anleihen und Manager von Schwellenländerfonds bei GAM, setzt auf Brasilien und dessen Währung Real wie auch auf Zentraleuropa.

Herr Puntillo, Sie gehen seit drei Jahren davon aus, dass sich der Markt für Schwellenländeranleihen endlich zum Besseren wendet. Ist das nicht zu optimistisch, vor allem für Brasilien?
Dass wir positiver als die meisten Beobachter gegenüber Brasilien eingestellt sind, gründet sich auf drei Faktoren. Das Land hat nicht wie andere Schwellenländer eine hohe Auslandsverschuldung, sondern verfügt über Nettoguthaben gegenüber dem Ausland.

Aus Brasilien ist nur Negatives zu hören.
Die fundamentalen Verbesserungen, die das Land in den vergangenen Jahren erreicht hat, werden zu wenig anerkannt. Die Handelsbilanz hat sich massiv verbessert und ist jetzt wieder positiv. 2016 dürfte der Überschuss 50 Mrd. $ erreichen. Und damit verbessert sich auch die Leistungsbilanz, der Negativsaldo schrumpft. Bedingt durch die Rezession wurden weniger Importe nachgefragt und aufgrund der massiven Abwertung des Real haben die Exporte recht kräftig zugelegt.

Neben Auslandguthaben und Handelsbilanzüberschuss, was ist der dritte Faktor?
Er lässt sich unter dem Begriff Bewertung zusammenfassen. Noch zu Jahresbeginn konnte kaum einer unserer Wettbewerber Brasilien etwas Positives abgewinnen; entsprechend waren sie positioniert. Wir sahen das, wohl als Einzige, schon zu dieser Zeit anders. Da betrug die Risikoprämie in fünfjährigen brasilianischen Kreditausfallversicherungen, CDS, 5,5 Prozentpunkte. Damit belief sich die Rendite einer dreissigjährigen Anleihe auf etwa 8 bis 8,5%. In Lokalwährungsbonds lagen die Renditen über 16%.

Dann haben Sie ein Brasilien-Übergewicht bei Ihren Schwellenländeranleihen?
zoomDa, wo es eine Benchmark gibt, sind wir in Brasilien massiv übergewichtet – im Schnitt zwischen 12 und 15%. Wir haben mit Hartwährungsbonds begonnen, das Übergewicht aufzubauen, weil wir dort die eklatantesten Fehlbewertungen sahen. 8,5% Rendite auf einer dreissigjährigen brasilianischen Dollar-Staatsanleihe ohne eigentliches Währungsrisiko war für uns eine attraktive Opportunität, auch weil wir in absehbarer Zeit keine Zahlungsausfälle erwarten.

Und brasilianische Lokalwährungsbonds?
Wir haben auch diese Papiere gekauft, denn weiter wird sich der Real kaum noch abwerten. Und falls er sich nun im Anschluss an die Neuausrichtung zu schnell wieder aufwertet, wird die brasilianische Zentralbank umgehend gegensteuern.

Ausländische Investoren halten sich in Brasilien weiterhin zurück. Woran liegt das?
Eines der grössten Probleme Brasiliens sind die mangelnden öffentlichen Investitionen. Das ist ein historisches Problem und hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Sparquote sehr tief ist. Auch ist Brasilien eine sehr geschlossene Gesellschaft, kein einfacher Markt für Ausländer. Das sieht man auch an der Bedeutung des Aussenhandels, der nur etwa 10% des Bruttoinlandprodukts ausmacht.

Dennoch nahm der Wohlstand in Brasilien über Jahre zu, aus eigener Kraft.
Zweifellos. Leider stieg auch die private Verschuldung deutlich. Konsum wird vermehrt über Kredite finanziert. Dieses Kreditvolumen stieg zuletzt bis zu 20% stärker als das BIP. Das ist nicht nachhaltig.

In anderen Schwellenländern wachsen die Schulden ebenfalls überdurchschnittlich, etwa in China.
Aber in China entfällt der Grossteil der Schulden auf den staatlichen Unternehmenssektor, in dem viele marode Betriebe aus politischem Interesse künstlich am Leben gehalten werden. In Brasilien dagegen verschulden sich Private, um Konsumgüter zu kaufen. Dabei spielte bisher die Höhe der Zinsen keine grosse Rolle, die Banken waren überaus grosszügig.

Die Schwellenländer leiden unter dem starken Dollar.
Ja, denn die Dollaraufwertung hatte für sie den Effekt einer monetären Straffung: Kapital floss ab, die Fremdwährungsreserven sanken. Da die Notenbanken Dollar verkauften, um den Verfall der eigenen Währung zu bremsen, wurde den Schwellenländerwirtschaften Geldmenge entzogen.

Das globale Wachstum bleibt langfristig tief. Das hat doch auch negative Nachfrageeffekte in den Schwellenländern?
Nicht nur für die. Es ist für die Weltwirtschaft insgesamt negativ, aber damit leben wir ja schon seit sieben, acht Jahren. Das hat auch mit der demografischen Entwicklung zu tun und damit, dass die Produktivität nicht in Gang kommt. Es wird zu wenig investiert. Die insgesamt grosszügige Geldversorgung der Notenbanken führt dazu, dass vergleichsweise wenig Unternehmen zahlungsunfähig werden.

Die natürliche Auslese fehlt.
Verschwindet ein zahlungsunfähiges Unternehmen vom Markt, ist das ein natürlicher Vorgang, um die unproduktiven Unternehmen aus dem Wirtschaftsprozess zu nehmen. Die Produktivität steigt, die Kapitalallokation verbessert sich.

Statt der Produktivität steigen die Schulden.
Billiges Geld ist kein Stimulus mehr. Die Lösung heisst Financial Repression, auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen. Das wird ein langer Prozess und kann 20 bis 25 Jahre dauern. Immerhin wird geringes Wirtschaftswachstum jetzt vermehrt in den verschiedenen Anlageklassen als gegeben erachtet.

Das heisst, Anleger nehmen notgedrungen ihre Renditeansprüche zurück?
So ist es. Wir sind mittlerweile in der Phase, in der die Wachstumsschwäche generell und überall eingepreist wird – zum ersten Mal wirklich eins zu eins, also mit null oder gar einem Minus. Die meisten Anlageklassen werden auf Jahre hinaus keine grossen Kapitalgewinne bringen.

Aber die Erwartungen werden doch schon seit Längerem zurückgeschraubt.
Ja, aber in dieser ersten Phase konnte man in Erwartung einer niedrigeren Verzinsung noch einen positiven Gesamtertrag erzielen – durch Kapitalgewinne, etwa aus dem Kursgewinn von Anleihen im Portfolio. Diese Phase läuft nun aus. Uns steht eine Phase niedriger Verzinsung und flacher Zinskurven bevor – ohne weitere Kapitalgewinne.

Bescheidene Aussichten also auch für Engagements in Schwellenländern?
Ertragsschwäche ist ein Thema, das uns noch lange beschäftigen wird. Aber einen Lichtblick gibt es. In den letzten fünf Jahren näherten sich die traditionell höheren Wachstumsraten der Schwellenländer immer mehr den geringeren Raten der entwickelten Länder. Diese Annäherung scheint sich nun nicht mehr fortzusetzen. Schwellenländer scheinen jetzt wieder ein ganz leichtes Momentum zu gewinnen.

Auf fünf Jahre Korrektur folgt die Stabilisierung?
Das ist durchaus möglich. Die Talsohle bei den Schwellenländern dürfte mittlerweile durchschritten sein. Hilfreich wäre, wenn Russland langsam aus der Rezession käme und Brasilien keine negativen Wachstumsraten mehr produzierte. Dann könnte sich die Differenz in den Wachstumsraten zwischen Industrie- und Schwellenländern in den nächsten zwei, drei Jahren auch wieder ausweiten.

Wie das in Osteuropa bereits der Fall ist?
Die osteuropäischen Länder sind in diesem Divergenzprozess schon einige Jahre weiter. Sie haben die Verschuldung gesenkt und können heute von sehr hohen Wachstumsraten – 3% bis 4% – profitieren. Diese Expansion in Osteuropa kann ohne weiteres noch einige Jahre weitergehen.

In Mexiko scheint einiges besser zu laufen als in anderen Schwellenländern?
Ein Plus ist, dass in Mexiko wichtige Reformen nicht nur debattiert, sondern auch eingeleitet wurden. Das geht zwar vielen zu langsam voran, aber zumindest sind sie auf den Weg gebracht. Ein zweiter Vorteil ist, dass es in Mexiko kein so überzogenes Kreditwachstum gab wie in anderen Schwellenländern. Die private Verschuldung ist noch vergleichsweise gering.

Welches sind somit Ihre Favoriten?
Nach wie vor ist Brasilien ein Favorit, sowohl für Hart- als auch für Lokalwährungsanleihen. Dann Mexiko mit Lokalwährungsbonds. In Zentraleuropa – Polen und Ungarn – konzentrieren wir uns auf Hartwährungsanleihen und die Währungen an sich, weniger auf Lokalwährungspapiere. Wir sind auch in Serbien und Kroatien engagiert, allerdings nicht unbedingt für den Durchschnittsanleger. Aber auch das sind Länder, die einen schmerzhaften Restrukturierungsprozess hinter sich und gutes Potenzial vor sich haben. In Asien zählt Indonesien zu unseren Favoriten. Indiens Potenzial beschränkt sich nur auf die Währungsseite.

Was halten Sie von der Türkei?
Sie ist eines der Länder, die wir ausdrücklich meiden. Das hat keine politischen Motive, sondern die Türkei ist gegenüber dem Ausland sehr hoch verschuldet. Darüber hinaus ist auch das Kreditwachstum im Inland sehr hoch. Das Leistungsbilanzdefizit ist gross und der politische Wille, diese Verhältnisse zu verbessern, fehlt. Das macht die Türkei sehr anfällig.

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