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12:49 Uhr - 15.12.2016

«Nur zwei, drei gute Jahre unter Trump»

Willem Buiter, Chefökonom von Citigroup, sieht im FuW-Interview hohe Staatsschulden auf die USA zukommen. Er warnt vor einem unbeabsichtigten Auseinanderbrechen der Eurozone.

Anleger sind Trump-Fans. Und werden das noch einige Zeit bleiben, meint Willem Buiter im Interview mit «Finanz und Wirtschaft». Der Chefökonom von Citigroup (C 59.45 -0.57%) und frühere Professor sieht aber Enttäuschungen programmiert: Auf die Probleme der USA sei ein schuldenfinanzierter Stimulus die falsche Antwort.

Zur PersonDer in den Niederlanden geborene Willem Buiter provoziert gerne mit seinen Aussagen. So fordert er lautstark die Abschaffung des Bargeldes, um die Geldpolitik effektiver zu machen. Zudem plädiert der 66-Jährige für ein von der Zentralbank finanziertes Stimuluspaket in der Eurozone.

Seit 2010 ist Buiter Chefökonom der Citigroup. Zuvor war er Professor an der London School of Economics and Political Science (LSE) wie auch Berater bei Goldman Sachs. Studiert hat er in Amsterdam und Cambridge. Seinen Doktortitel erhielt er an der Universität Yale.

Er veröffentlicht regelmässig Publikationen auf seiner Webseite.
Herr Buiter, die Märkte scheinen enthusiastisch über eine Trump-Präsidentschaft zu sein. Wie erklären Sie sich das?
Es ist schwierig, eine rationale Erklärung für irrationales Verhalten zu geben. Die Märkte sind immer entweder übermässig optimistisch oder übermässig pessimistisch. Als Donald Trump gewählt wurde, haben die Leute eingesehen, dass die furchterregendsten Aussagen während des Wahlkampfs wahrscheinlich nur Worte waren. Es war das Eröffnungsspiel in einem ganz besonderen öffentlichen Verhandlungsprozess. Nun läuft internationale Diplomatie über Twitter (TWTR 18.93 -2.27%) ab. Die Welt wird sich vielleicht daran gewöhnen.

Welche Wahlkampfversprechen werden denn nicht erfüllt?
Trump hatte angekündigt, er werde 11 Mio. illegale Zuwanderer ausweisen. Das wäre ein massiver negativer Schock für die Zahl der Beschäftigten gewesen. Die Wirkung wäre stagflationär gewesen – weniger Wirtschaftswachstum und eine höhere Inflation. Das wird nun nicht geschehen. Aus meiner Sicht wird es wohl nicht mehr als 1 Mio. Ausweisungen über vier Jahre. Das ist weniger als unter Präsident Obama. Auch scheint es nicht zu einem baldigen Handelskrieg mit Zöllen auf chinesische und mexikanische Waren zu kommen.

Das Ausbleiben schlechter Nachrichten reichte aus, um die gute Laune anzuregen?
Es wird einen grossen Stimulus aus Staatsgeldern geben. Die Einkommens- und Unternehmenssteuern werden gesenkt, und es wird mehr für Verteidigung und Infrastruktur ausgegeben. Die Infrastrukturausgaben erreichen wohl nicht die versprochene 1 Bio. $, aber vielleicht 0,5 Bio. über vier Jahre. Die Märkte erwarten auch eine deutliche Deregulierung. Im Energiesektor wird man Projekte in der fossilen Energie wie Ölleitungen und Kohlekraftwerke weniger regulieren. Und mit Bankiers von Goldman Sachs (GS 239.93 0.58%) als Wirtschaftsberater und als Finanzminister ist eine weniger strikte Finanzregulierung wahrscheinlich geworden.

Was für Konsequenzen folgen aus der Trump-Politik?
Unter Trump kommt es zu zwei, vielleicht drei guten Jahren mit weniger Arbeitslosigkeit und höheren Löhnen. Aber dann wird die Rechnung präsentiert, denn die US-Staatsschulden werden deutlich wachsen. Die Märkte werden sich wohl weigern, sich in den nächsten Jahren darüber Sorgen zu machen. Man wird hoffen, dass das potenzielle US-Wachstum von jetzt 1,5 auf 3,5 bis 4% steigen wird.

Wenn die Volkswirtschaft nicht so schnell wachsen kann, folgt dann Inflation?
Ich erwarte eine höhere Teuerung ab 2018, wenn der Fiskalstimulus implementiert wird. Das wird die US-Notenbank Fed zu einer restriktiveren Geldpolitik bewegen. Nach vier Jahren Trump müssen wir auf einen neuen Bill Clinton als Präsidenten hoffen, der das fiskalische Durcheinander aufräumt. Dieser neue Präsident muss Sparmassnahmen intelligent umsetzen. Wie es Clinton nach den Reagan- und den Bush-Jahren getan hat.

Würden höhere Löhne und mehr Arbeitsplätze nicht viele Trump-Wähler zufriedenstellen?
Ein schuldenfinanzierter Stimulus ist nicht das, was die USA brauchen. Die hoch bezahlten Fabrikarbeitsplätze werden nicht zurückkommen. Selbst wenn ein Teil der Jobs anfangs nach China verlagert wurde, sind sie nun für immer an die Automatisierung verloren. Und je mehr arbeitssparende Technologie verwendet wird, umso grösser wird das Auseinanderklaffen der Löhne und damit die Ungleichheit.

Was muss dagegen getan werden?
Die US-Wirtschaft ist viel weniger dynamisch geworden. Die Mobilität der Arbeitskräfte in den USA ist niedrig, die Zahl der Neugründungen von Firmen ist auf einem Tief. Die USA benötigen eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Die Arbeitnehmer müssen auf technologische Veränderungen mit einem verbesserten Bildungssystem und lebenslanger Weiterbildung vorbereitet werden. Solche Reformen werden die USA unter Trump wohl nicht bekommen.

Politische Ereignisse schütteln auch die Europäische Union durch. Was sind die grössten Risiken?
Die Wahlen in Italien und Frankreich könnten zu einem Auseinanderbrechen der EU führen. In Italien könnte die Fünf-Sterne-Bewegung die Parlamentswahlen gewinnen und ein Referendum zum Austritt aus dem Euro oder der EU anstossen. In Frankreich könnte ein Wahlsieg von Marine Le Pen solch einen Austrittsprozess anschieben. Für beide Länder ist das kein wahrscheinliches Szenario, aber ein Risiko. Ich fürchte mich auch vor einem unbeabsichtigten Auseinanderbrechen der Eurozone.

Wie könnte das geschehen?
Die Eurozone ist eine Währungsunion mit einem verhängnisvollen Fehler. Die nationalen Zentralbanken der Euromitgliedländer hätten nur Filialen der Europäischen Zentralbank werden sollen. Doch das ist nicht der Fall. Nicht alle Anlagen und Risiken sind im Eurosystem zusammengeführt. Das war politisch nicht möglich. Die nationalen Zentralbanken halten damit Risiken in ihren eigenen Büchern.

Was für Risiken sind das?
Sie kaufen Staatsanleihen, stellen Liquidität durch das Programm ELA zur Verfügung, haben noch Aufgaben von früher für ihre Regierungen zu übernehmen und vergeben spezielle Kredite, die durch illiquide und riskante Anlagen besichert sind. Normalerweise kann eine Zentralbank nur insolvent werden, wenn sie Schulden in einer ausländischen Währung hat, weil sie die eigene Währung ja beliebig drucken kann. Aber die Euro-Nationalbanken entscheiden nicht mehr, wie viel Währung sie ausgeben. Die Eurozone ist somit nicht eine Währungsunion, in der nur bestimmte Aufgaben dezentralisiert wurden, sondern ein System fixer Wechselkurse.

Warum ist das gefährlich?
Dank der Anleihenkäufe der EZB und der nationalen Zentralbanken sind für schwache Euroländer wie Portugal und Italien die Risikoaufschläge für Staatsschulden unter Kontrolle. Aber es wird politisch immer schwieriger, die Käufe aufrechtzuerhalten. Kauft das Eurosystem keine Schulden mehr, könnte es zu Zahlungsausfällen der Staaten, zu Schuldenschnitten oder anderen Verlusten auf diesen Anleihen kommen. Solche Verluste könnten zur Insolvenz einer nationalen Zentralbank führen, etwa der Banca d’Italia.

Was folgt danach?
Der EZB-Rat müsste sich entscheiden, ob er die nationale Zentralbank retten will. Er könnte entscheiden, es nicht zu tun, da die Anleihen auf eigenes Risiko gekauft wurden. In diesem Fall könnte die Zentralbank nicht mehr am Euro-Zahlungssystem Target2 teilnehmen. Das Land würde wohl die Eurozone verlassen. Würde die nationale Zentralbank aber gerettet, müssten die starken Euroländer die Rettungskosten tragen. Sie könnten dagegen revoltieren und die Eurozone verlassen.

Und das wäre auch das Ende der Europäischen Union?
Der Austritt eines grossen Mitgliedlandes aus dem Euro wäre eine finanzielle Katastrophe. Es ist schrecklich, dass Grossbritannien aus der EU austritt. Aber wir sind noch gut dran, da das Land kein Euromitglied ist. Sonst wäre der Effekt viel schlimmer. Jetzt müssen die Politiker erwachsen werden. Sie müssen akzeptieren, dass man in einer Währungsunion die Risiken der Zentralbanken teilen muss. Kann man das nicht akzeptieren, muss man die Bilanzen der nationalen Zentralbanken begrenzen. Aber momentan tut man in Europa so, als sei das nur ein technisches Problem.

Sie warnen schon lange vor den Problemen, die Bargeld mit sich bringt. Nun hat Indien eine grosse Anzahl von Banknoten entwertet. Sind Sie damit zufrieden?
Die indische Regierung wollte zwei Dinge gleichzeitig erreichen. Sie wollte Banknoten austauschen, um gegen die Schattenwirtschaft und die Steuerhinterziehung vorzugehen. Das kann funktionieren – die Niederlande sind nach dem Zweiten Weltkrieg so gegen Schwarzhändler und andere Kriegsprofiteure vorgegangen. Damit solch eine Geldreform gelingt, muss man die Bargeldbesitzer überraschen – das hat die indische Regierung sicherlich getan.

Was war dann das Problem?
Gleichzeitig wollte man anscheinend die Inder zum bargeldlosen Zahlungsverkehr bewegen. Daher hat man nicht ausreichend grosse Scheine als Ersatz für die alten Banknoten zur Verfügung gestellt. Will man vom Bargeld wegkommen, muss man den Leuten lange im Voraus Bescheid geben. Und will man Steuerhinterziehung bekämpfen, braucht es genügend neue Scheine. Indem die zwei Ziele vermischt wurden, hat die Regierung ein grosses Durcheinander angerichtet.

Aber ist es realistisch, dass ein Entwicklungsland wie Indien bargeldlos wird?
Tatsächlich ist Indien von allen Schwellenländern wohl am besten darauf vorbereitet, eine bargeldlose Volkswirtschaft zu werden. Fast alle Inder haben eine biometrische Identitätskarte. Diese könnte man einfach dazu verwenden, Bankkonten für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Zusammen mit den weit verbreiteten Smartphones könnte eine bargeldlose Volkswirtschaft perfekt funktionieren, wenn man genug Zeit zur Umstellung gibt.

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