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07:10 Uhr - 20.10.2017

«Bei plötzlicher Inflation droht ein Bärenmarkt»

Rose Ouahba, Chefin für Festverzinsliche bei Carmignac Gestion, rät Anlegern, Gewinne in Hochzinsanleihen mitzunehmen, und setzt auf Staatsanleihen Brasiliens.

Frau Ouahba, die Finanzmärkte warten darauf, dass die Europäische Zentralbank den Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik ankündigt, also ein Tapering startet. Welche Schritte erwarten Sie von der EZB?
Wir glauben, die EZB wird das Tapering dieses Jahr ankündigen und 2018 starten. Das deckt sich mit dem Marktkonsens. Anderer Meinung sind wir aber, was die Geschwindigkeit dieses Prozesses anbelangt. Die Finanzmärkte erwarten, dass sich das Tapering über das gesamte Jahr erstreckt und die Zinsen erstmals im März 2019 erhöht werden. Wir glauben, die EZB wird den Ausstieg schneller über die Bühne bringen wollen und dann mit einer frühen Zinserhöhung überraschen. Der Markt preist heute ein sehr gemässigtes Vorgehen der EZB ein. Wir sind skeptisch und glauben, dass Anleger zu sorglos sind.

Die EZB hat in grossem Stil Staatsanleihen der Euroländer gekauft und damit die Kreditprämien gedrückt. Was bedeutet der Ausstieg für die Risikoaufschläge?
Das Zinsniveau wird insgesamt steigen. Doch innerhalb der Eurozone gilt es zu unterscheiden. In den Staaten der Europeripherie dürfte der Verlauf stark von der politischen Entwicklung sowie von den Konjunkturaussichten abhängen und weniger vom Tapering. Verbessern sich die Marktbedingungen der Peripheriestaaten, wovon wir ausgehen, dürften die Risikoaufschläge gegenüber deutschen Bundesanleihen weiter schrumpfen, selbst wenn die Zinsen steigen.

Die EZB ist auch stark in Unternehmensanleihen engagiert. Wo lauern Gefahren, wenn sie sich zurückzieht?
Die Renditen für Unternehmensanleihen notieren auf rekordniedrigem Niveau. Anleger erzielen derzeit einen akzeptablen Ertrag, weil die Volatilität niedrig ist. Wenn sich die EZB zurückzieht, dürften wieder die Fundamentaldaten in den Fokus treten. Sie haben sich auf globaler Ebene aber verschlechtert. So hat etwa die Verschuldung der Unternehmen zugenommen. Zugleich sind Anleihen sehr hoch bewertet. Zum ersten Mal überhaupt sind die Renditen für hochverzinsliche Bonds kleiner als die Dividendenrenditen von Aktien. Steigt nun die Volatilität, beispielsweise wegen des Tapering, wird sich das Risiko-Ertrags-Profil deutlich verschlechtern. Zudem gilt es, die Liquidität im Auge zu behalten. Solange die Marktlage entspannt ist, ist sie gewährleistet. Doch wenn sich die Bedingungen eintrüben, dürfte die Liquidität schnell versiegen.

Wo eröffnen sich Anlagechancen am europäischen Bondmarkt?
Wir setzen auf italienische Staatsobligationen. Die Unsicherheit um die bevorstehenden Parlamentswahlen hat die Papiere belastet. Wir erwarten aber keine dramatischen Ergebnisse. So dürfte die antieuropäische Partei Cinque Stelle die Mehrheit im Parlament verfehlen. Das heisst, es dürfte eine Regierungskoalition geben. Deshalb glauben wir, dass Italiens Staatsanleihen Aufholpotenzial haben und die Spreads sinken werden. Wir sind zudem zuversichtlich für Griechenland. Diese Bonds sind natürlich weniger liquide, und wir haben nur eine kleine Allokation. Doch die Konjunkturaussichten sind so gut, dass Griechenland 2018 in das Anleihenkaufprogramm der EZB aufgenommen werden könnte. Die Risiken werden mit einem Risikoaufschlag von 500 Basispunkten angemessen kompensiert.

Welche Sektoren sind in europäischen Unternehmensanleihen attraktiv?
Wir bevorzugen Unternehmensanleihen aus dem Finanzsektor, und innerhalb dieses Segments setzen wir auf Coco Bonds. Die Risikoaufschläge notieren bei etwa 400 Basispunkten. Für europäische Hochzinsanleihen liegen die Spreads bei 220 Basispunkten. Entgegen dem Markttrend bauen Banken zudem ihre Schulden ab. Vor diesem Hintergrund ist die zusätzliche Prämie von rund 170 Basispunkten beträchtlich. Das zweite Segment, das wir mögen, sind Collateralized Loan Obligations. Sie sind eine gute Alternative zu Unternehmensanleihen mit Anlagequalität. Die Renditen sind höher, und nach der Finanzkrise wurden die Konstruktionsregeln verschärft. Das Risiko eines Kreditausfalls hat sich dadurch verringert.

Die Renditen für europäische Hochzinsanleihen sind auf ein Allzeittief gesunken. Was heisst das für Investoren?
Jetzt ist sicherlich nicht der Zeitpunkt, in diesen Markt einzusteigen. Wir haben unsere Position in hochverzinslichen Anleihen seit Jahresbeginn reduziert. Vielleicht hält die Ruhe noch einige Monate an – derzeit zeichnet sich kein abrupter Stimmungswechsel ab. Aber das Risiko-Ertrags-Profil verschlechtert sich rasant. Anleger sollten daher ihre Gewinne mitnehmen und in andere Wertschriften investieren. Eine Alternative sind Anleihen aus Emerging Markets.

Was spricht für Schwellenländeranleihen?
Die wirtschaftliche Ausgangslage in den Schwellenländern hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. So ist das Leistungsbilanzdefizit in Brasilien stark geschrumpft und steuert auf einen Überschuss zu. Auch die Türkei entwickelt sich in diese Richtung. Das ist ein Zeichen dafür, dass Emerging Market Bonds auf globaler Ebene sicherer geworden sind. Der Einbruch der Rohstoffpreise hat Schwellenländer stark belastet, nun profitieren sie von der Erholung. Das stützt die Anlageklasse. Noch wichtiger: Die Währungsreserven wurden während der Rohstoffkrise stark abgewertet, was zu einem Anstieg der Inflation führte. Nun schwächt sich die Teuerung wieder ab, und das erlaubt es den Zentralbanken, ihre Geldpolitik zu lockern. Beobachten können wir das etwa in Brasilien.

Welche Obligationen bevorzugen Sie?
Zu unseren Favoriten zählen Brasilien und Mexiko. Aber auch Argentinien ist interessant. Die Regionalwahlen sind günstig für die Regierung von Präsident Mauricio Macri ausgefallen. Das dürfte für Stabilität sorgen und die Reformbemühungen voranbringen. Wir haben zehnjährige argentinische Staatsanleihen gekauft, die in Dollar denominiert sind. In Argentinien wollen wir die Allokation in die Währung und die Allokation in die Bonds trennen. Das hat auch Liquiditätsgründe. Wir haben zudem eine kleine Position im argentinischen Peso. In Brasilien und Mexiko halten wir sowohl Anleihen in lokaler Währung als auch Dollaranleihen. Die Laufzeiten betragen bis zu dreissig Jahre.

Könnten die Zinserhöhungen in den USA zum Problem für Schwellenländer werden?
Wir haben das sehr genau geprüft, aber es gibt keine eindeutige Antwort. Wenn die US-Notenbankpolitik die Volatilität anfacht, dürfte das Emerging-Market-Anleihen belasten. Aber wenn die Zinsen steigen, ohne dass die Volatilität dramatisch zunimmt, ist die straffere Geldpolitik ein Ausdruck für die Verbesserung des makroökonomischen Umfelds. Das dürfte auch Schwellenländern helfen. Wir erwarten zudem keinen scharfen Zinserhöhungszyklus in den USA. Derzeit konzentrieren sich die Finanzmärkte auf die Steuerreform der Republikaner. In der vorliegenden Form dürfte der Plan aber scheitern, weil das Staatsdefizit massiv ausgeweitet würde. Es wird voraussichtlich bis 2018 dauern, bis eine mehrheitsfähige Vorlage verabschiedet wird. In diesem Umfeld wird das Fed zurückhaltend agieren, um den Aufwärtsdruck auf die Zinsen und den Dollar gering zu halten.

Anleihen stehen bei Anlegern immer noch hoch im Kurs. Was könnte zu einer Korrektur am Bondmarkt führen?
Das grösste Risiko ist ein plötzlicher Anstieg der Inflation. Das könnte einen Bärenmarkt in Bonds auslösen. Anfällig für Verluste sind insbesondere Long-only-Bondportfolios, ETF auf Obligationen und Unternehmensanleihen mit Anlagequalität. Anleger dürften das Kapital dann abziehen und in Aktien umschichten.

Ist es also sinnvoll, inflationsgeschützte Anleihen zur Absicherung zu kaufen?
Wir haben Inflation Linked Bonds in unseren Portfolios. Allerdings erwarten wir, dass der Preisauftrieb in den kommenden Monaten nachlässt und die Inflation in Europa auf 1% oder darunter sinkt. Es ist daher nicht sinnvoll, inflationsgeschützte Bonds mit kurzer Laufzeit zu kaufen. Aber zehnjährige Papiere sind interessant, und wir erwarten, dass sie gegen Jahresende günstiger werden. Das dürfte ein guter Zeitpunkt zum Einsteigen sein.

Die mächtigsten Notenbanken bereiten sich darauf vor, dem Finanzsystem das billige Geld zu entziehen. Wird das gutgehen?
Die Finanzmärkte sind zum ersten Mal für diesen Regimewechsel bereit. Auch wenn es nicht Teil ihres Mandats ist, sind die Notenbanken darauf bedacht, die Finanzbedingungen nicht zu sehr zu straffen, denn das würde die Anstrengungen der vergangenen fünf Jahre zunichtemachen. Sie werden daher vorsichtig ans Werk gehen. Es kann zwar einen Volatilitätsschub geben, doch er wird voraussichtlich keine grossen Turbulenzen auslösen. Falls sich aber die Konjunktur eintrübt und die Zentralbanken ihren Kurs trotzdem fortsetzen, dürfte die Stimmung drehen. Auf einen solchen Schock sind die Finanzmärkte allerdings nicht vorbereitet.

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