Gérard Piasko, CIO der Privatbank Maerki Baumann, hält eine Aktienperformance von 5% in einem von Konsolidierung und Politik beherrschten Jahr für zufriedenstellend.
Herr Piasko, kommt mit der wachsenden Kritik an Bundeskanzlerin Merkel jetzt sogar der Stabilitätsanker Deutschland ins Rutschen, nachdem die Sorgen um Italien etwas abgeklungen sind?
Angela Merkel könnte mangels Kanzleralternative auch diese Krise überstehen, aber es wird zusehends schwieriger. Wenn es ihr nicht gelingt, am EU-Gipfel dieser Woche andere Länder zu überzeugen, das nicht funktionierende EU-Asylsystem zu ändern, sind eine weitere Konfrontation mit der CSU und eventuell eine Regierungskrise programmiert. Organisierte Migrantenüberfahrten nach Italien Richtung Norden sind inzwischen eher Realität als politische Flüchtlinge. Wie Australien könnte die EU die maritime Grenze besser schützen.
Gesetzt den Fall, Deutschland bekommt eine neue Regierung, was hiesse das für die Wirtschaft und die Finanzmärkte ?
Sollte der Einfluss der SPD oder sogar der immer beliebteren AfD zunehmen, wäre ein grösserer Bewertungsabschlag nicht nur für deutsche, sondern generell für europäische Aktien zu erwarten. Denn die Wirtschaftspolitik würde wohl mehr auf höhere Verschuldung ausgerichtet und wäre unberechenbarer.
Ist dem Euro vor diesem Hintergrund noch zu trauen?
Der Aufwärtstrend des Euros ist gebrochen, weil das Wirtschaftswachstum in Europa, gerade in Deutschland, seit einiger Zeit enttäuscht. Und Italien wird als Unsicherheitsfaktor zurückkehren.
Wohin steuert umgekehrt der Dollar, auch mit Blick auf den Handelsstreit?
Die US-Wirtschaft wächst kräftiger, auch dank Trumps Steuersenkungen, was die Zinsdifferenz zu Europa und anderen Regionen ausgeweitet hat. Exportregionen wie die Eurozone sind von einer Eskalation des Handelsstreits mehr betroffen als der grosse Binnenmarkt USA, wo der Konsum 70% des Bruttoinlandprodukts ausmacht. Das stärkt den Dollar.
Seit Monaten prägen politische Themen die Märkte. Wie lange geht das noch so?
Länger, als viele glauben. Solange ich mich erinnern kann, und ich bin schon viele Jahre als CIO tätig, gab es noch nie ein Jahr, in dem die Politik – oder soll man eher sagen: ein Politiker? – die Märkte so bestimmt hat wie heute. 2018 ist ganz klar ein Jahr der politischen Börsen.
Was sind ausser dem Handelskonflikt andere Gefahren für die Börse?
Auch wenn Europa derzeit für Schlagzeilen sorgt, gehen die wirklichen Gefahren für die Börse meist von der grössten Wirtschaft der Welt aus, also von den USA. Das war 2008 bis 2009 so und auch 2000 bis 2002. Weil inzwischen China aber die zweitgrösste Volkswirtschaft geworden ist, muss man genauer als früher auf die wirtschaftlichen Entwicklungen auch im Reich der Mitte schauen.
Was könnte dem Aktienmarkt denn wieder Schub verleihen?
Für Aktien in Europa könnte eine Konjunkturverbesserung neuen Schub bringen, und bessere Gewinnaussichten im Finanzsektor würden auch nicht schaden. In den USA hat der Technologiesektor das grösste Gewicht und zeigt klar Wachstum, während in Europa der Finanzsektor das grösste Gewicht besitzt und immer noch Wachstumsprobleme hat.
Welche Wegmarke zeigt für Sie am ehesten an, wohin die Reise an der Börse geht?
Es wird viel über die Bewertung diskutiert, gerade wenn es um den amerikanischen Aktienmarkt geht. Aber letztlich entscheiden die Veränderungen der Unternehmensgewinne über die Richtung der Märkte. Denn wer in Aktien investiert und Risiken nimmt, will Gewinnwachstum sehen, das klar über dem Niveau der Zinsen plus Inflation liegt.
Was leiten Sie davon für die zukünftige Marktentwicklung ab?
Die Dividendenrendite ist weltweit höher als die Obligationenrendite, was zum Beispiel 2008 oder 2011 nicht der Fall war. Deshalb waren Obligationen damals eher eine Alternative. Das bedeutet, dass jeder Investor auch ein besonderes Augenmerk auf das Niveau der Zinsen legen sollte, vor allem der global wichtigen US-Zinsen.
Die Börsenschwäche dauert nun schon länger. Ist sie wirklich vorübergehend, wie die meisten Strategen sagen, oder die Vorstufe zum Abschwung?
Ich sehe die Marktentwicklung 2018 bei globalen Aktien als eine Konsolidierungsphase nach den zu raschen und zu starken Börsengewinnen von 2017. Letztes Jahr wurde nur das Positive der neuen US-Politik gesehen, als Präsident Trump zuerst die Steuersenkung im Kongress durchsetzen wollte. Erst 2018 kam er auf die anderen und riskanteren Punkte seiner neuen Politik zurück: Massnahmen, um Amerika gegen andere Regionen im Handel zu stärken, und Betonung der nationalen Sicherheit gegenüber Russland, Iran und China. Trumps Motto «America First» heisst eben auch mehr Risiken für die anderen Länder
Welches wird über die nächsten sechs bis zwölf Monate der beste Aktienmarkt sein: weiter die USA mit ihren starken IT-Werten?
Der Handelskonflikt und die Politik generell werden die Märkte weiterhin beschäftigen. Das heisst, dass die immer noch niedrige Volatilität zunehmen könnte, nicht nur in Aktien, sondern auch in den Zins- und den Währungsmärkten. Wenn der globale Aktienindex rund 5% höher schliessen würde als Anfang Jahr, wäre das kein schlechtes Resultat für ein Konsolidierungsjahr. Das geht wegen der hohen Gewichtung der USA im Weltaktienindex aber nicht ohne ein positives Abschneiden der US-Aktien und daher auch nicht ohne ein positives Abschneiden der US-Technologievaloren.
Bleiben Tech-Aktien im Aufwind?
Solange der US-IT-Sektor strukturell stärker wächst als die übrigen Branchen und dazu noch höhere Margen aufweist – was sich bei stärkerer Regulierung ändern könnte –, bleibt er mittelfristig ein wichtiger Anlagebestandteil.
Der Schweizer Standardwerteindex SMI notiert seit Anfang Jahr über 10% im Minus. Kommt’s noch schlimmer?
Der SMI (SMI 8465.26 0.08%) ist sozusagen ein Schwergewichtler der defensiven Sektoren. Wenn die globale Konjunktur stärker wächst – der IWF prognostiziert für 2018 ein höheres Weltwirtschaftswachstum als 2017 –, sind defensive Märkte im Nachteil. Das kann sich ändern, aber wohl nicht rasch. Wir ziehen immer noch mehrheitlich zyklische Sektoren vor. Zudem belastet der tiefere Euro Schweizer Aktien wieder stärker.
Was läuft in den Schwellenländern?
Kurzfristig verspüren sie Gegenwind, da die Dollarstärke und der Handelskonflikt zu Kapitalabflüssen führen. Aber längerfristig sprechen die historisch günstige Bewertung gegenüber anderen Regionen, die Demografie und die Technologieorientierung weiter für Schwellenländer, gerade in Asien. China – das grösste Gewicht unter den Schwellenländern – kann, falls der Handelskonflikt die Exporte belastet, die Investitionstätigkeit wieder verstärken und so die Wirtschaft ankurbeln.
Maerki Baumann hat ein Konzept ins Leben gerufen, das Privatanlegern das Investieren in Akzentmodule ermöglicht. Welche Themen kommen mit Stand heute in Frage?
Module oder Anlagebausteine verbinden professionelle Vermögensverwaltung mit individueller Beratung. Im Dialog mit seinem Berater kann der Kunde massgeschneidert strategische Schwerpunkte mit Grund- und Akzentmodulen setzen. Beispielsweise bei steigender Inflation mit einem Rohstoffmodul oder bei einer schwierigen Phase des defensiven SMI mit dem Akzentmodul Schweizer Nebenwerte für einen mehr zyklischen Fokus.
Welche Titel sind in den Schweizer Aktienmodulen prominent vertreten?
Zum Beispiel Dormakaba (DOKA 685 0.15%), Temenos (TEMN 148.5 0.54%), LafargeHolcim (LHN 48.08 -0.93%) oder Logitech (LOGN 43.18 1.05%): Unternehmen, die führend und innovativ sind. Das sind wichtige Kriterien.
Sind Einzelaktien, die eine positive Performance unabhängig vom Gesamtmarkt versprechen, oder Fonds, wenn man es stark diversifiziert mag, nicht attraktiver?
Investments, die Alpha versprechen, wie etwa Hedge Funds, haben oft enttäuscht, gerade in den letzten Jahren. Der Vorteil der Module zum Beispiel bei Schweizer Aktien ist, dass der Kunde – anders als mit einem Fonds – in seinem Depot auch Einzeltitel hält und daher alle Aktionärsrechte selbst wahrnehmen kann.
Welche Anlage wird am Markt unterschätzt und besitzt besonderes Potenzial?
Selten ist ein Jahr so spannend und schwierig wie das Jahr der politischen Börsen 2018. Daher ist es sinnvoll, besonders jetzt über Regionen und Anlageklassen zu diversifizieren und nicht zu stark nur auf ein einzelnes Thema zu setzen. Unterschätzt werden wohl Pharmaaktien, die aber, solange die US-Konjunktur so gut läuft, als Anlagethema noch nicht wirklich wiederentdeckt werden. Wir befinden uns in der Spät-, aber noch nicht in der Endphase des globalen Wirtschaftszyklus.
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