In acht Wochen finden in den USA Zwischenwahlen statt. Die Demokraten dürften das Repräsentantenhaus zurückerobern – auch dank frischen Kräften.
Das hat sich Donald Trump wohl anders vorgestellt. Gemäss Prognosen droht der US-Präsident bei den Zwischenwahlen am 6. November die Mehrheit im Kongress zu verlieren. Das hätte einschneidende Konsequenzen.
Nicht nur würden die Demokraten dem Regierungsprogramm wohl einen Riegel vorschieben, sondern sie dürften auch ein Verfahren zur Amtsenthebung einleiten.
Das will der Präsident verhindern. Darum macht er das, was er am besten kann: Er betreibt Wahlkampf. Vergangene Woche reiste er nach Montana und North Dakota. Diese Woche steht ein Auftritt in Missouri auf dem Programm. Eine weitere Station heisst Texas. In diesen Bundesstaaten rechnen Auguren mit Kopf-an-Kopf-Rennen. Darum soll Trump die Basis mobilisieren. Denn unter republikanischen Wählern geniesst der Präsident eine Zustimmung von 85%.
Unterstützung von Obama
Aber auch die Demokraten haben ein politisches Schwergewicht aufgefahren. Trumps Vorgänger Barack Obama griff am Wochenende in den Wahlkampf ein. In einer Rede am Freitag sprach er von aussergewöhnlichen Zeiten und bezeichnete Trump als «Gefahr für die Demokratie». Doch die gute Nachricht sei, dass die Demokraten in zwei Monaten die Möglichkeit hätten, etwas Vernunft in die Politik zurückzubringen, doppelte er am Samstag nach. «Wir haben die Chance, das Repräsentantenhaus zu drehen, um sicherzustellen, dass es in Washington wieder Checks und Balances gibt», sagte er.
23 Sitze muss die demokratische Partei mindestens dazugewinnen, wenn sie im Repräsentantenhaus die Mehrheit erobern will. Die Analyseseite FiveThirtyEight schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür je nach Modell auf 67 bis 78%. Gewählt werden in den Zwischenwahlen alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses und ein Drittel des Senats, also 35 Sitze.
Im Repräsentantenhaus ist jeder vierte Sitz umkämpft. Der Rest ist in fester Hand. Für 42 Sitze findet überhaupt keine Wahl statt, da nur eine Partei einen Kandidaten stellt. Das betrifft besonders die Republikaner. In 39 Wahlbezirken überlassen sie den Demokraten das Feld. Umkämpft sind laut dem «Wall Street Journal» im Repräsentantenhaus 101 Sitze. Davon befinden sich derzeit 90 in republikanischer Hand. Entsprechend viel hat die Grand Old Party zu verlieren.
Auf der Seite der Geschichte
Die Historie spricht für einen Machtwechsel. Meist büsst die Partei des Präsidenten bei Zwischenwahlen an Terrain ein. Das war während beider Amtszeiten von Obama der Fall, ebenso während der zweiten von George W. Bush sowie der ersten von Bill Clinton. Sie alle verloren die Mehrheit im Repräsentantenhaus.
Auch die Ergebnisse des laufenden Jahres sprechen gegen die Republikaner. In jeder Sonderwahl während der Präsidentschaft von Trump hat die Grand Old Party an Terrain eingebüsst. Die Demokraten haben zwar nur zwei der zehn Sonderwahlen gewinnen können, beide waren aber spektakulär, da sie in republikanischen Hochburgen stattfanden. Im Dezember errang Doug Jones in Alabama einen Sitz für den US-Senat – den ersten für die Demokraten seit 1992. Im März besiegte Conor Lamb dann seinen republikanischen Konkurrenten in Pennsylvania in einem Wahlbezirk, in dem Trump vor zwei Jahren noch mit 20 Prozentpunkten Vorsprung gewonnen hatte. Für das Establishment hat der Sieg von Lamb aber einen bitteren Beigeschmack, näherte er sich während des Wahlkampfs doch den Republikanern an und distanzierte sich von Nancy Pelosi, der Vorsitzenden der demokratischen Fraktion. In die andere Richtung ging es hingegen an der Ostküste.
Radikalisierung im Osten
In New York liess Alexandria Ocasio-Cortez den langjährigen Abgeordneten Joseph Crowley in der parteiinternen Vorwahl hinter sich. Ocasio-Cortez politisiert am linken Flügel der Partei. Da der Wahlbezirk stark demokratisch geprägt ist, dürften die Republikaner davon kaum profitieren und Ocasio-Cortez mit 28 Jahren die jüngste Frau im Kongress werden.
In Boston gewann Ayanna Pressley ebenfalls überraschend gegen den etablierten Kandidaten. Sie wird die erste Afroamerikanerin aus Massachusetts im Repräsentantenhaus sein, da die Republikaner keinen Kandidaten stellen. In den demokratischen Hochburgen zeichnen sich ein Generationenwechsel und ein Ruck nach links ab. Für Spannung sorgt darum auch die Ausmarchung der Demokraten für den Gouverneur von New York (vgl. Text unten). Die Radikalisierung der Partei und das Aufbäumen einer neuen Generation erinnert an die Tea-Party-Bewegung der Republikaner vor acht Jahren.
Das Selbstvertrauen der Demokraten sorgt selbst in republikanischen Hochburgen für Nervosität. Beto O’Rourke setzt mit seiner liberalen Linie den texanischen Senator Ted Cruz unter Druck. Die Wahl im durch und durch republikanischen Bundesstaat wird eng. Und das, obwohl sich O’Rourke nicht der republikanischen Linie angenähert hat.
Der Verlust jedes republikanischen Sitzes im Senat ist für die Grand Old Party gefährlich, fehlen den Demokraten für die Mehrheit in der kleinen Kammer doch nur zwei Sitze. Das weiss auch der Präsident. So eilt er unter anderem dem texanischen Senatoren zu Hilfe, den er vor zwei Jahren noch als «Lügen-Ted» bezeichnet hatte.
Trotz des geringen Vorsprungs ist der Machtwechsel im Senat unwahrscheinlicher als derjenige im Repräsentantenhaus. Denn die Demokraten haben im Senat mehr Sitze zu verteidigen, als sie gewinnen können. Obama unterstützt darum in Kalifornien Kandidaten für die grosse Kammer. Im Staat an der Westküste herrscht um sechs republikanische Sitze ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
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