Zurück zur Übersicht
07:11 Uhr - 28.08.2017

«In China stehen die Zeichen auf Sturm»

Anne Stevenson-Yang, Researchleiterin von J Capital, befürchtet, dass die Monsterblase am chinesischen Häusermarkt bald platzt und der Renminbi einbricht.

Exakt zwei Jahre ist es her, dass Turbulenzen am chinesischen Devisenmarkt eine Korrektur an den Weltbörsen auslösten. Auf den Schock vom August 2015 folgte Anfang 2016 ein weiterer Panikschub. Heute ist davon kaum mehr die Rede. Peking hat die Lage wieder im Griff, lautet der Konsens. Anne Stevenson-Yang ist skeptisch. Die Mitbegründerin des Anlageberaters J Capital hat lange in China gelebt und warnt, dass die Spekulation am Häusermarkt immer wildere Blüten treibe. «Das kann nicht mehr lange so weitergehen, ohne dass es zur Katastrophe kommt», sagt die Amerikanerin. Sie erwartet, dass sich Chinas Valuta stark abwerten wird, und erklärt, warum die Behörden nun den Expansionsdrang von Grosskonzernen wie HNA zügeln, der auch in die Schweiz vorgedrungen ist.

Frau Stevenson-Yang, China ist an den Finanzmärkten kaum mehr ein Thema. Was geht im Inneren des Riesenreichs vor?
Von allen Stufen der Regierung über den Bankensektor bis hin zur Immobilienbranche ist das ganze Land manisch nur auf ein Ziel fixiert: Wie können wir das Wachstum der Wirtschaft mit noch mehr Investitionen antreiben.

Warum sind Investitionen so wichtig?
Für Chinas Mittelklasse dreht sich alles darum, wie weit die Immobilienpreise noch steigen. Wie man im Berufsleben vorankommt, seinen Kindern eine bessere Ausbildung ermöglicht oder andere grundsätzliche Überlegungen interessieren hingegen kaum. Was die Menschen beschäftigt, sind Fragen wie: «Wow, ich habe diese Villa in Langfang im Süden Pekings gekauft, und ihr Wert ist 40% gestiegen. Soll ich jetzt verkaufen? Oder soll ich warten, bis der Preis weitere 60% steigt?»

Vor einer Spekulationsblase in Chinas Immobiliensektor wird aber schon lange gewarnt. Wie heiss läuft der Markt derzeit?
Heisser denn je. Gerade in der Gegend um Peking ziehen die Häuserpreise steil an. Vor wenigen Wochen war ich zum Beispiel in Zhuozhou, einer kleinen Industriestadt in der Provinz Hebei, wo sich die Stahlwerke befinden. Die Luftverschmutzung ist enorm, die Landschaft karg, und es gibt praktisch kein Freizeitangebot. Niemand will dort wohnen. Trotzdem sind die Immobilienpreise binnen Jahresfrist auf das Doppelte, das Dreifache und teilweise sogar auf das Vierfache gestiegen.

Was heizt diesen Boom an?
Wie bei jeder Blase legen sich die Leute eine nette Geschichte zurecht. Sie kaufen sich im Umkreis von Grossstädten wie Peking Appartements und wetten darauf, dass sich dort neue Bevölkerungszentren bilden und die Preise steigen. In Orten wie Zhuozhou herrscht zwar totale Einöde. Die Vorstellung ist aber, dass dereinst Schulen, Spitäler, Restaurants sowie andere öffentliche Einrichtungen entstehen und Pendler mit dem Hochgeschwindigkeitszug zur Arbeit in die Stadt fahren.

Wie wird der Bau solcher Geisterstädte überhaupt finanziert?
Das Paradebeispiel ist die in Hongkong kotierte Immobiliengruppe Evergrande. Sie steckt bis zum Hals in Schulden und ist das wohl grösste Pyramidensystem, das die Welt je gesehen hat. Ihr Portfolio umfasst rund 270 Projekte in ganz China. Ich habe über vierzig dieser grössenwahnsinnigen Anlagen besucht, doch nur eine war bewohnt. Trotzdem sind Evergrandes Showräume jeweils voll von jungen Menschen. Während ich künftige Bauruinen sehe, stellen sie sich Städte mit europäischem Charme und wohlhabenden Einwohnern vor. Es ist eine Massenillusion, an die der Konzern perfekt appelliert, indem er Projekte speziell zur Spekulation auf Immobilienpreise konzipiert.

Wie lange geht das noch gut?
Das frage ich mich seit Jahren. Kritische Momente gab es bereits. In der Provinz Ordos etwa, wo Chinas Kohlevorkommen liegen, sind die Häuserpreise 2011 plötzlich 50% eingebrochen. Ähnlich brenzlig war die Situation in Wenzhou in der Region Zhejiang, wo sich viel Privatgeld befindet. In beiden Fällen startete die Zentralregierung eine Rettungsaktion. In den lokalen Medien wurde das aber nicht erwähnt. Im Gegenteil: Sie berichteten, wie robust sich der Häusermarkt entwickle.

Wird die Blase überhaupt je platzen?
Die Zeichen in China stehen auf Sturm. Wie lange es bis zu einem Crash noch dauert und was ihn letztlich auslösen wird, ist allerdings schwierig zu sagen. Denkbar ist zum einen, dass die Öffentlichkeit das Vertrauen verliert. Dazu braucht es ein Ereignis, das sich nicht kaschieren lässt und die Menschen aufrüttelt, beispielsweise den Kollaps einer Bank, eines Immobilienentwicklers oder eines populären Investmentprodukts.

Und was wäre die zweite Möglichkeit?
Eine signifikante Abwertung des Renminbis. Dass es bisher noch nicht zum Desaster gekommen ist, hat damit zu tun, dass sich all die Immobiliengesellschaften stets refinanzieren können. Vereinfacht gesagt weitet sich die Geldmenge dadurch immer mehr aus, womit die chinesische Valuta international an Wert verliert. Noch ist der Wechselkurs relativ stabil, und ausländische Konzerne wie BMW (BMW 79.29 -0.63%) oder Swatch Group (UHR 377.6 0.03%) vertrauen dem Renminbi, weil die Regierung ihn stützt. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis ihr die Devisenreserven ausgehen werden.

Nach den Turbulenzen von 2015 und 2016 scheinen Sorgen um den Renminbi und Kapitalabflüsse aber vergessen zu sein.
Der Abfluss hat zwar abgenommen. Es handelt sich aber nur um eine Pause, wobei der schwache Dollar hilft. Auffällig ist zudem, dass die Reserven Monat für Monat abnehmen oder konstant bleiben, wenn man von harten Währungen absieht. Dennoch steigt der Bestand in der Summe. Eine grosszügige Interpretation wäre demnach, dass diese Angaben vielleicht sogar stimmen, der Zuwachs aber nur auf Aufwertungen beruht. Kritischere Beobachter hingegen sagen, dass die Zahlen massiert werden. So oder so: Tatsache bleibt, dass China keinen Zustrom an Devisen mehr verzeichnet.

Zu rätseln gibt auch, warum die Regierung Konzerne wie HNA nun an die Leine nimmt, nachdem sie im Ausland auf Akquisitionstour gegangen sind. Was geht da vor?
Es begann damit, dass Xiao Jianhua, der Chef des Versicherungsriesen Tomorrow Group, Ende Januar in Hongkong von chinesischen Behörden gekidnappt und zum Verhör aufs Festland verschleppt wurde. Er pflegte enge Kontakte zu Chinas wohlhabendsten Familien und wusste genau, wer wo Geld hatte. Was mit ihm passiert ist, wissen wir bis heute nicht. Nach dem Vorfall hat Peking die Aufsicht über die Versicherungsbranche aber verschärft. Zudem wurden Ermittlungen gegen die Konzerne HNA, Anbang, Wanda und Fosun eröffnet. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie über das Assekuranzgeschäft Geld im Inland aufnahmen. Das, indem sie Produkte verkauften, die kaum etwas mit Versicherung zu tun hatten, sondern de facto Finanzinvestments waren.

Und was hat das mit den Übernahmen im Ausland zu tun? HNA zum Beispiel hat in der Schweiz unter anderem Gategroup (Gategroup 0 0%) akquiriert und ist zum grössten Aktionär des Reisedetailhändlers Dufry (DUFN 149.7 -0.73%) avanciert.
HNA und die anderen drei Unternehmen finanzierten ihre Zukäufe mit Einnahmen aus diesen Investmentprodukten. Rein formell tauschten sie dafür zwar nicht direkt Renminbi in Fremdwährungen um. Sie hinterlegten damit aber Bankdepositen und nutzten sie als Besicherung, um Darlehen im Ausland zu beziehen.

Warum passt das der Regierung nicht?
Im Prinzip ist das ein Weg, um Geld aus China zu schleusen, und genau das missfällt der Regierung. Sie will verhindern, dass die Liquidität, die von der chinesischen Zentralbank in die Wirtschaft gepumpt wird, ins Ausland abfliesst. Eine Rolle spielen zudem Spannungen im Machtzirkel der Parteielite, worüber wir aber nur spekulieren können.

Mit dem 19. Parteikongress steht im Herbst ein politisches Grossereignis an. Was bedeutet das für Chinas weiteren Kurs?
Von aussen kann das niemand genau sagen. Wir verstehen nur sehr wenig davon, was sich in Chinas Führung abspielt, welche Fraktionen sich untereinander bekämpfen und wie der Staatsapparat überhaupt genau funktioniert.

Wie nimmt Präsident Xi Jinping denn die neue Regierung in den USA wahr?
Als Donald Trump die Präsidentschaftswahlen gewann, brach Jubel aus: «Das ist das Beste, was uns passieren konnte, sogar noch besser als der Brexit», hiess es in Regierungskreisen. Trump glaubte dann wohl, er könne einen cleveren Deal einfädeln, wenn er Xi in seinen «Palast» nach Florida einlade und seine Grosskinder chinesische Kinderverse vortragen lasse. In Tat und Wahrheit lacht man sich in China jedoch über ihn ins Fäustchen.

Warum?
Trump spricht gerne von grossen Plänen für die US-Wirtschaft. Seine persönliche Agenda besteht aber hauptsächlich darin, Präsident Obamas Hinterlassenschaft zu tilgen. Für Peking ist das ein Glücksfall, kam es sich mit der Obama-Regierung doch häufig in die Quere. Das grösste Ärgernis war das geplante Handelsabkommen zur Transpazifischen Partnerschaft, das China aussen vor liess und Amerika wesentliche Vorteile in Asien gebracht hätte. Trump hat es jedoch als eine seiner ersten Amtshandlungen beerdigt, worüber sich China natürlich freut.

Für beunruhigende Nachrichten haben zuletzt die Spannungen zwischen den USA und Nordkorea gesorgt. Was denkt man in Peking über den schwelenden Konflikt?
China werden oft grosse Ambitionen in der Weltpolitik nachgesagt. Ich zweifle aber, ob sie wirklich existieren. Chinas Kontrolle über Nordkorea ist zudem viel geringer, als man meinen könnte. Ebenso scheint es sich nie wirklich zu engagieren, wenn es um die Einflussnahme auf internationale Organisationen geht. Chinas Teilnahme an der Weltgemeinschaft ist primär darin motiviert, sich zu nehmen, was es gerade braucht. Eine weitsichtige Strategie fehlt, was sich in diplomatischen wie in militärischen Aspekten zeigt.

China rüstet aber kräftig auf, baut sich eigene Flugzeugträger und schüttet im Südchinesischen Meer Inseln auf.
Anders als die USA verfügt China kaum über militärische Aussenposten in Asien. Es ist daher über Amerikas Einfluss in der Region besorgt. Das bedeutet aber nicht, dass es die Rolle der USA übernehmen will. Der Grund dafür ist nicht etwa Unvermögen oder Friedfertigkeit, sondern reine Geldgier. Alles, was China will, ist, möglichst viele Ressourcen für die Regierung und chinesische Unternehmen zusammenzuraffen. Ich glaube daher nicht, dass es Amerikas momentane Schwäche in der Aussenpolitik ausnutzen wird. Die Vorteile daraus wird jemand anderes ziehen, wobei ich auf Europa tippe.

Immerhin ist China jedoch bereits zur zweitgrössten Volkswirtschaft avanciert.
Wir im Westen glauben gerne an die Story eines aufstrebenden Volkes, das seinen Platz in der Welt einnimmt. Wer aber die Realität betrachtet, sieht einen winzigen Machtzirkel, der sich enormen Wohlstand anhäuft und die Ressourcen des Landes für gigantische Infrastrukturprojekte verschwendet. Die Elite füllt sich so die eigenen Taschen, was den Menschen im Land wenig hilft. Ich bestreite damit nicht, dass China in den letzten dreissig Jahren grosse Fortschritte gemacht hat. Die Bevölkerung wird aber um einen Grossteil des wirtschaftlichen Reichtums betrogen.

Was heisst das alles nun für Investoren?
Das bedeutet nicht, dass China ein totaler Schrotthaufen ist. In der Wirtschaft steckt viel Potenzial, und es gibt interessante Unternehmen. Das wird sich zeigen, wenn sich das Land nach einer mehrjährigen Rezession erholt hat. Der Anteil der Investitionen an der Wirtschaft wird sinken und der Konsum an Bedeutung gewinnen. Das spricht etwa für Konzerne aus dem Nahrungsmittelsektor wie Tingyi und Vitasoy, deren Margen sich deutlich verbessern werden. Auf lange Sicht sind ihre Aktien daher günstiger, als es derzeit erscheint.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.