Der Franken notiert stärker als der Euro. Wie es weitergeht und was das für die Schweiz bedeutet.
Der Franken hat erstmals seit März die Parität zum Euro durchbrochen – ist also mehr wert als die europäische Gemeinschaftswährung und scheint vorläufig so stark zu bleiben. Zwar ist der Durchbruch der Schwelle nur symbolischer Natur, so hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) seit Januar 2015 keine offizielle Untergrenze für den Euro-Franken-Kurs gesetzt. Dennoch wirft die Aufwertung viele Fragen auf. «Finanz und Wirtschaft» gibt die wichtigsten Antworten, was die Frankenstärke für Geldpolitik, Wirtschaft und Märkte bedeutet.
Wie hat sich der Franken zum Euro entwickelt?
Die schweizerische Valuta hat gegenüber dem Euro in den vergangenen Jahren immer wieder unter Aufwertungsdruck gestanden (vgl. Grafik unten). Besonders stark hat sich der Frankenkurs während der Eurokrise entwickelt. Zeitweise sackte er im Jahr 2011 auf 0.85 Fr./€ ab. Grund waren damals Kapitalzuflüsse von Anlegern, die den Franken als sicheren Hafen betrachteten. Statt für Kapitalkontrollen entschied sich die SNB, eine Untergrenze von 1.20 Fr./€ durchzusetzen. Die Untergrenze hielt bis Januar 2015. Seitdem hat die Nationalbank durch Interventionen den Kurs stabilisiert. Bis November 2021 wurde am Devisenmarkt ein inoffizieller Mindestkurs von 1.05 Fr./€ angenommen.
Was ist der aktuelle Auslöser für den Durchbruch der Parität?
Die SNB hat vor zwei Wochen den Leitzins überraschenderweise um 50 Basispunkte erhöht. Damit liegt er mit –0,25% nun über dem Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) von –0,5%. Die EZB wird wohl erst an ihrer nächsten Sitzung am 6. Juli eine Zinserhöhung beschliessen.
Diese positive Zinsdifferenz lockt ausländisches Kapital in die Schweiz und führt so zu einem stärkeren Wechselkurs. Gleichzeitig signalisiert die Nationalbank mit dem Zinsschritt einerseits eine klare Priorität, die Inflation unter Kontrolle zu halten. Andererseits stellt sie klar, dass sie nicht mehr erst auf die Zinsschritte der EZB wartet – und damit auch eine Frankenaufwertung in Kauf nimmt.
Handelt es sich um eine Stärke des Frankens – oder eine Schwäche des Euros?
Ein Vergleich der Wechselkurse des Euros und des Frankens gegenüber dem Dollar zeigt, dass sich der Euro in den vergangenen Jahren gegenüber der US-Valuta deutlich schwächer entwickelt hat. Der letzte Abwertungsschub des Euros gegenüber dem Dollar hat im Mai 2021 eingesetzt (vgl. Grafik unten).
Marktbeobachter verweisen auf die relativ starke US-Konjunktur sowie den Zinsvorteil von amerikanischen Anleihen. Seit Februar bringt der Ukrainekrieg die Gemeinschaftswährung zusätzlich unter Druck. Und es wird angenommen, dass die EZB wegen des Fragmentierungsrisikos – also der schmerzhaft steigenden Risikoprämien auf Staatsanleihen von südeuropäischen Ländern – ihre Geldpolitik nicht so deutlich straffen kann wie die Währungshüter der USA oder der Schweiz.
Interveniert die Nationalbank noch? Wird sie eine weitere Aufwertung des Frankens akzeptieren?
Die wöchentlich publizierten Sichteinlagen bei der SNB sind der aktuelle Indikator für die Interventionen am Devisenmarkt. Diese Summe ist zuletzt gesunken, es wurden also seit Mitte Mai wohl keine Transaktionen ausgeführt, um den Franken zu schwächen (vgl. Grafik unten). Die Sichteinlagen zeigen auch: Nach dem Beginn des Ukrainekrieges waren die Trader der Nationalbank besonders aktiv, um eine Aufwertung zu verhindern.
Die Nationalbank hat klargestellt, dass sie bei einer «übermässigen» Aufwertung weiterhin intervenieren werde. Also würde man bei starken und schnellen Ausschlägen wohl noch eingreifen. Neuerdings will die SNB bei einer Abschwächung des Frankens ihre Fremdwährungsbestände aber auch abbauen. Die Ökonomen der Credit Suisse glauben, dass eine Abwertung des Frankens auf 1.04 Fr./$ «Devisenverkäufe seitens der SNB nach sich ziehen könnte».
Eine stetige Aufwertung hat den Vorteil, dass sie mässigend auf die Inflationsrate wirkt, indem sich die Importpreise verringern. Eine Abwertung würde den Teuerungsdruck durch die Importpreise dagegen erhöhen. Die Analysten der meisten Banken gehen jedoch davon aus, dass der Franken sich vorläufig nicht weiter aufwerten wird.
Wann ist die Zeit der Negativzinsen in der Schweiz vorbei?
Die Geschäftsbanken beginnen bereits, ihren Kunden keine Negativzinsen mehr zu berechnen. Auch die negativen Leitzinsen könnten in den nächsten Monaten Geschichte sein. So schreibt Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, in einem Kommentar: «Trotz dem stärkeren Franken wird die SNB nicht darum herumkommen, die Zinsen weiter anzuheben, um die Inflationsrate wieder unter 2% zu drücken.»
Da die Nationalbank nun keine Bedenken mehr zeigt, gegenüber dem Euroraum eine positive Zinsdifferenz zu erhalten, könnte sie die nächsten Zinsschritte der EZB nachmachen.
Aber ist der Franken jetzt nicht viel zu teuer?
Ökonomen betrachten bei der Frage nach der Über- oder der Unterbewertung einer Währung den realen Wechselkurs. Im Gegensatz zum nominalen Kurs, der an den Devisenmärkten gehandelt wird, berücksichtigt er die Preisniveaus der verschiedenen Volkswirtschaften. Die Überlegung: Wenn in einer Volkswirtschaft die Preise stärker steigen, entspricht dies einer realen Aufwertung.
Es ist davon auszugehen, dass sich der Franken gegenüber dem Euro in den vergangenen Jahren real abgewertet hat. Ein Indikator dafür: Gemäss Konsumentenpreisindex haben sich die schweizerischen Güter und Dienstleistungen seit Anfang 2015 um 4% verteuert, die europäischen Preise sind dagegen um 28% gestiegen (vgl. Grafik unten). Demnach sollte zumindest eine potenzielle Überbewertung gegenüber dem fairen Wert zurückgekommen sein.
Die Schätzungen zum fairen Wechselkurs gehen aber je nach Methode weit auseinander. So geht das Beratungshaus Wellershoff & Partners davon aus, dass der Franken handelsgewichtet gegenüber dem Ausland fast 15% unterbewertet ist.
Wie wirkt sich der starke Franken auf die Wirtschaft aus? Wer gewinnt, wer verliert?
Ein sich aufwertender Franken verteuert die Exporte und verbilligt die Einfuhren. Damit könnte ein höherer Kurs das Geschäft von exportorientierten Unternehmen tendenziell belasten – besonders von solchen, die ihre Produkte in der Europäischen Union absetzen. Die schweizerische Industrie hat in der Vergangenheit jedoch gezeigt, dass sie sich dank ihrer Positionierung in margenträchtigen Nischen, hoher Produktivität sowie Standorten im Ausland auch bei einem stärkeren Franken gut behaupten kann.
Deutlich wichtiger als der Frankenkurs wird für den Ausblick der Exportindustrie wohl sein, wie sich die Situation um die Ukrainekrise, die gestörten Lieferketten, die globale Konjunktur und die Versorgung mit Energie entwickeln.
Die Ökonomen der ZKB sehen zwar, dass sich «die Schweizer Wirtschaft im zweiten Halbjahr unter anderem aufgrund des forschen Vorgehens seitens der Notenbanken abschwächen wird», das Wachstum werde mit 2% aber «trotzdem sehr stattlich ausfallen».
Gewinner des starken Frankens sind die Konsumenten. Ihnen bleibt wie schon in den vergangenen Monaten eine sehr hohe Teuerung wie in den USA und im Euroraum erspart. Ausserdem sind dank der klaren Priorität der SNB, die Inflation im Griff zu halten, die Teuerungserwartungen wohl fester verankert als im Ausland. Damit ist das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale wohl auch kleiner.
Was bedeutet ein stärkerer Franken für Anleger?
Mit der stärkeren Schweizer Valuta sinkt – in Franken gerechnet – der Wert von Anlagen, die in ausländischen Währungen notieren. Im Portfolioauszug von Schweizer Investoren erscheinen dann beispielsweise Aktien aus dem Euroraum mit einer schlechteren Performance. Auch in der Schweiz kotierte Unternehmen, die in Franken rapportieren, müssen wegen des Translationseffekts einen geringeren Umsatz und Gewinn ausweisen: Ihr Geschäft im Ausland erscheint durch den Wechselkurs bedingt weniger wert.
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