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11:34 Uhr - 11.01.2016

«Für Stabilität werden enorme Preise bezahlt»

Martin Wirth und Raik Hoffmann von Frankfurt Performance Management mögen zyklische Aktien, die vom Markt ungerechtfertigt abgestraft werden.

Herr Wirth, Herr Hoffmann, was halten Sie als Value-Investoren von den allseits beliebten defensiven Wachstumswerten?
zoomWirth: Wegen der traumatischen Nachkrisenerfahrungen sind Investoren bereit, für Stabilität, wie Fresenius (FRE 59.72 -1.89%) oder Beiersdorf (BEI 79.03 -0.32%) sie bieten, enorme Preise zu bezahlen. Mit Unsicherheit und Gewinnwarnungen will der Markt nichts mehr zu tun haben. Wir sind jüngst bei Deutz (DEZ 3.165 -0.69%) eingestiegen, die nach einer Gewinnwarnung 40% einbrachen und trotz solider Bilanz und guter Substanz 30% unter Buchwert handelten.

Warum hat Deutz die Erwartungen nicht erfüllt?
Wirth: Das Unternehmen produziert Dieselmotoren unter anderem für Land- und Baumaschinen. Der Absatz ist 2015 aus zwei Gründen gesunken. Einerseits wurde in Europa Anfang 2015 eine neue Abgasnorm eingeführt. Motoren, die 2014 bestellt wurden, durften aber noch verbaut werden, was Vorzieheffekte zur Folge hatte. Andererseits wurden wegen der fallenden Preise für landwirtschaftliche Güter 30% weniger Landmaschinen verkauft – diesem Trend konnte sich Deutz nicht entziehen. Aus diesen Gründen ist der Umsatz 2015 20% geschrumpft, statt 10% wie vom Markt erwartet.

Wie bewerten Sie das Unternehmen angesichts dieses Umsatzeinbruchs?
Wirth: Deutz hat zwei Bereiche, Kompakt- und grössere, massgeschneiderte Motoren. Letzterer zeichnet sich durch längere Auftragslaufzeiten und Margen über 10% aus und ist demnach relativ stabil. Allein diese Einheit ist so viel wert wie das ganze Unternehmen. Der Bereich Kompaktmotoren schreibt 2015 zwar Verlust, doch das dürfte vorübergehend sein. Wenn sich die Margen in Europa normalisieren, handelt die Aktie zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 4.

Industrieaktien scheinen wegen der schleppenden Konjunktur generell ausser Mode zu sein.
Wirth: Das kommt auf den Bereich an. Gabelstaplerhersteller wie Jungheinrich sind extrem beliebt, denn schliesslich läuft der Internetversand auf Hochtouren. Und das Unternehmen liefert gute Zahlen. Es stimmt einfach alles: Rekordmarge, Rekordgewinn und darauf eine rekordhohe Bewertung. Wer zweifelt denn schon, dass ein tolles Unternehmen in einer tollen Branche eine blendende Zukunft vor sich hat? Nur: In den Analystenberichten von 2008 stand davon nichts.

Das ist doch ein typisches Marktverhalten.
Wirth: Die Amerikaner sprechen von Time Horizon Arbitrage. Der Markt kümmert sich nur um die nächsten ein bis zwei Quartale, der Rest ist ihm egal. Deshalb besteht für längerfristige Investoren, die auf normalisierte Gewinngrössen abstellen, eine Art Free Lunch.

Der Autovermieter Sixt, eine Ihrer grössten Positionen, weist ein KGV von rund 19 auf. Was ist daran Value?
Wirth: Als wir Sixt (SIX3 36.21 -0.39%) gekauft haben, handelte die Aktie zum Buchwert, warf 5% Dividendenrendite ab, und das Unternehmen wuchs mehr oder weniger unbemerkt vor sich hin. Das änderte sich, als Sixt vor ein paar Jahren den Sprung in die USA wagte und nun quer durch das Land expandiert. Der US-Mietmarkt ist riesig – allein in Florida werden so viele Autos gemietet wie in ganz Deutschland. In der Folge wurde Sixt vom Markt entdeckt. Inzwischen wird der Autovermieter als Wachstumsunternehmen mit entsprechender Bewertung betrachtet.

Warum stossen Sie den Titel nicht ab?
Wirth: In den USA kann Sixt noch gut zehn Jahre expandieren – und dies mit geringem Investitionsaufwand. Deshalb kann das Unternehmen den grössten Teil der Gewinne ausschütten, die auf Konzernstufe im mittleren bis hohen einstelligen Bereich wachsen.

Wie hoch schätzen Sie das Potenzial ein?
Wirth: Vereinfacht ausgedrückt entspricht der Ertrag einer Aktienanlage der Rendite des freien Cashflows – also freier Cashflow im Verhältnis zur Marktkapitalisierung – zuzüglich des Wachstums desselben. Wir investieren nur, wenn eine Aktie mehr als 10% jährlichen Ertrag verspricht – und das ist bei Sixt immer noch möglich.

Warum gerade 10%?
Wirth: Aktien rentieren langfristig rund 8% pro Jahr. Ein Ertrag von jährlich 10% entspricht deshalb – als eine grobe Näherung – einer Sicherheitsmarge von 20%.

Weshalb ist der Investitionsaufwand bei Sixt gering?
Wirth: Der Vermieter muss zwar Autos erwerben, die nach einem halben Jahr aber zu fixierten Preisen an die Hersteller zurückverkauft werden. Die Ausstattung der Schalter an Flughäfen und Bahnhöfen ist in der Regel ebenfalls relativ günstig. Das ist ein grosser Unterschied zu einem Chemieunternehmen wie BASF (BAS 64.2 0.82%) oder einem Versorger. Eine neue Fabrik oder ein neues Kraftwerk bedingen hohe Investitionen und können nicht einfach abgestossen werden.

Günstig ist der Autovermieter aber nicht mehr. Wo finden Sie denn – abgesehen von Deutz – unterbewertete Aktien?
Wirth: Wir haben Lufthansa (LHA 14.805 -0.77%) gekauft. Auf Basis des für 2015 erwarteten Gewinns handelt die Aktie mit einem KGV von 6. Mit Eurowings verfügt die Airline seit 2012 über eine Tochtergesellschaft, die Verbindungen von Lufthansa übernehmen kann – und dies bei einer Kostenbasis, die mit EasyJet und Ryanair (RY4C 14.93 0%) vergleichbar ist.

Hoffmann: Kontron baut Embedded-Computer beispielsweise für Medizin- und Militärtechnik sowie für Transport und Verkehr. Das stellt hohe Anforderungen an die Sicherheit, da sichergestellt werden muss, dass Unberechtigte das System nicht hacken können. Im Jahr 2000 war Kontron noch ein Glamour Stock, die Aktie handelte über 70 €. Nach einer Reihe von Managementfehlern und -wechseln wurde das Unternehmen zum Restrukturierungsfall, der Kurs stürzte diesen Sommer auf 2.50 € ab, was 3% Marge ohne Wachstum implizierte. Da haben wir zugeschlagen, weil wir überzeugt waren, dass das Unternehmen mit dem seit drei Jahren amtierenden CEO mehr als 3% verdienen kann.

Günstig erschienen im Höhepunkt des VW-Skandals auch Autowerte. Haben Sie damals zugekauft?
Wirth: Nein, denn die Unsicherheit war erheblich.

Kaufen muss man doch, wenn die Kanonen donnern.
Hoffmann: Manchmal kauft man lieber 10% höher und hat dafür eine bessere Visibilität.

Wirth: Wir sind zwar Value-Investoren, wissen aber, dass Momentum ein gewaltiges Konzept ist. Deshalb macht es Sinn, schrittweise vorzugehen. So kauften wir Sixt in Raten, weil das Unternehmen tief ansagte und später die Erwartungen übertraf, was die Kurse höher trieb. Bei VW ist es umgekehrt. Bis sich dort der Nebel lichtet, kann es dauern – die schlechten Nachrichten halten an. Der Druck auf den Gewinn bleibt bestehen, weil VW bisher nicht genug Rückstellungen gebildet hat. Das gleiche Problem hat die Deutsche Bank (DBK 20.65 0.9%).

Inwiefern?
Wirth: Die Bank schleppt derzeit noch Altlasten mit, die in fünf Jahren wohl abgeschrieben sein werden. Dann wird sie mit den Gewinnen, die sie heute schon erzielt, über Buchwert handeln. Die Perspektive, jedes Jahr 15% zu verdienen, ist deshalb gut. Wenn Mid Caps aber wie in den letzten Jahren unabhängig von der Bewertung 25% pro Jahr steigen, während die Deutsche Bank wegen der Abschreibungen auf den Altlasten nicht vom Fleck kommt, reiten wir ein totes Pferd. Wenn wir das mit allen Titeln machen, haben wir zwar ein günstiges Portfolio, aber keine Investoren mehr.

Hoffmann: Perfekt ist, wenn Value und Momentum zusammentreffen, wenn also investiert wird, wenn Kurse und Gewinne anziehen.

Wie wichtig ist der Faktor Qualität für Ihre Aktienauswahl?
Wirth: Wir fragen uns, was wir mit wie viel Risiko verdienen können. Qualität oder nicht, Wachstum oder nicht, das ist sekundär. Wir freuen uns aber, wenn wir ein Wachstumsunternehmen wie Leoni (LEO 30.11 0.57%) zu einer Value-Bewertung kaufen können.

Können Sie das ausführen?
Wirth: Leoni wächst seit fünfzehn bis zwanzig Jahren mit hohen einstelligen Raten. Trotzdem wird der Autozulieferer nicht als Wachstumsunternehmen wahrgenommen. Dass es auch anders geht, hat ElringKlinger (ZIL2 21.905 0.18%) gezeigt, ebenfalls ein Autozulieferer. Das Unternehmen wächst respektabel, aber nicht schneller als Leoni. Dennoch waren Investoren zeitweise bereit, ein KGV von 20 zu bezahlen, weil ElringKlinger als qualitativ hochwertig angesehen wurde.

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