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16:57 Uhr - 07.11.2014

«Schädliche Regeln für Schulden»

Atif Mian, Professor in Princeton, fordert im Gespräch mit der FuW die Beteiligung der Gläubiger am Abbau der hohen Schulden, damit die Wirtschaft endlich in Fahrt kommt.

Das Rätsel lautet: Weshalb bewegt sich die Wirtschaftsleistung in den USA und Europa weiter weg vom langfristigen Trend, statt endlich wieder auf Kurs zu kommen? Eine Antwort liefert Atif Mian, Wirtschaftsprofessor in Princeton und Mitautor des vielbeachteten Buchs «House of Debt» über Schulden und die grosse Rezession. Atif Mian, Wirtschaftsprofessor in Princeton. Bild: ZVGEr referierte auf Einladung von Ayaltis, einem Dachfonds für Hedge Funds, am Mittwoch in Zürich.

Rätselhaft sei diese lange und zähe Rezession in den hochentwickelten Indust­rieländern deshalb, weil sich 2008 in der Produktionskapazität «absolut nichts verändert hat»: Es gab weder ein Erdbeben noch eine schlimme Dürre oder einen Krieg. Die Ursache liegt gemäss Mian in schlechten Regeln für Schulden, die wir uns auferlegt haben. «Und statt das zu ­erkennen und die Regeln zu ändern, haben wir sie noch verschärft.»

Schock und Abwärtsspirale

Schulden seien im Grunde genommen ein Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner, erklärt Mian. Gemäss den üblichen Vertragsbestimmungen liege das Markt­risiko vollständig beim Schuldner; gut sichtbar sei das im Immobilienmarkt. Ein Hausbesitzer mit 20% Eigenkapital und ­einer Hypothek von 80% leidet einseitig, wenn der Hauspreis 30% fällt. Dann ist sein Haus weniger wert als die Hypothek. Der Hausbesitzer ist «unter Wasser», wie das in den USA genannt wird, sein Eigenkapital wandelt sich in eine Schuld. Der Hypothekargeber dagegen erleidet keinen Verlust und hat weiterhin Anspruch darauf, dass das Darlehen verzinst und vollständig zurückbezahlt wird.

Ähnlich ergeht es einem Studenten, der einen Ausbildungskredit aufgenommen hat, aber nach dem Abschluss keine Stelle findet. Die Bank fordert die Amortisation des Kredits, aber wegen der schlechten Arbeitsmarktlage gerät der ­Absolvent in eine schwierige Lage.

Für den Einzelfall könne man durchaus argumentieren, jeder sei für seine Schulden selbst verantwortlich, führte Mian aus. Doch aggregiert seien all diese Einzelfälle für die Volkswirtschaft fatal.

Grund dafür sei eine Abwärtsspirale: Ein Schock wie der Einbruch der Immobilienpreise trifft vor allem die Hausbesitzer, die eine Hypothek haben. Sie verfügen ­typischerweise über wenig Vermögen. Im Gegensatz dazu hat das reichste Fünftel der Hausbesitzer in den USA fast keine Schulden. Die ärmeren Haushalte reduzieren in der Immobilienbaisse ihren Konsum. Darunter leidet die gesamtwirtschaftliche Nachfrage beträchtlich. In US-Bundesstaaten mit einer besonders heftigen Baisse und hohen Hypothekarschulden habe die Konsumnachfrage drastisch abgenommen, argumentiert Mian. In der Folge drosseln Unternehmen die Produktion und bauen Stellen ab. Die Misere breitet sich aus, worauf die Konsumnachfrage weiter sinkt.

Notenbank kann nicht helfen

Und es komme noch schlimmer. In der andauernden wirtschaftlichen Schwäche gebe es immer mehr Langzeitarbeitslose, worunter das Humankapital leide und damit auch das Produktionspotenzial der Wirtschaft. «Die makroökonomischen Konsequenzen der mikroökonomischen Entscheidungen aufgrund schlechter Vertragsregeln werden ignoriert», sagte Mian. Um die Abwärtsspirale zu durchbrechen, müsse die Finanzlage der Hypothekarschuldner verbessert werden. Aber das sei nicht gemacht worden.

Keine Abhilfe schüfen da die Massnahmen der Notenbanken, auch wenn diese «taten, was sie konnten». Direkten Beistand hätten bloss die Banken erhalten. Die Nullzinspolitik, der Kauf von Staatsanleihen und die deshalb steigenden Aktienmärkte würden die Lage der meisten Hausbesitzer nicht verbessern und somit die Konsumnachfrage nicht genug antreiben. «Das Kernproblem ist die Überschuldung, die bereinigt werden muss. Schulden müssen abgeschrieben werden.»

In der Baisse hätten die später verstaatlichten Hypothekargeber Fannie Mae und Freddie Mac die Schulden der Hausbesitzer restrukturieren sollen, sagt Mian. Die Notenbank hätte im Höhepunkt der Krise Druck auf die Banken ausüben und Notkredite an Bedingungen knüpfen müssen: Die Banken sollen Hypotheken abschreiben und Häuser nicht zwangsversteigern. Solche Foreclosures seien ineffizient, schadeten dem Markt und verstärkten die Krise. «Doch das Fed verlangte nichts dergleichen.» Darüber hinaus müssten die Banken mehr Eigenkapital aufweisen, um Abschreibungen tragen zu können. Das Bankensystem sei nach wie vor zu fragil.

Gemeinsame Verantwortung

Mian fordert: Künftig sollten wir eine Krise respektive einen Schock in den Vertragsbestimmungen einkalkulieren. Schuldner und Gläubiger müssten das Risiko fallender Marktpreise gemeinsam tragen.

Das Konzept der gemeinsamen Verantwortung: Sinkt der regionale Immobilienpreisindex, nimmt auch die monatliche Zahlung des Hausbesitzers an den Gläubiger ab. Der Fahrplan für die Amortisation wird davon aber nicht beeinträchtigt. Der Gläubiger trägt also das Marktrisiko mit. Dafür erhält er eine Gewinnbeteiligung, falls der Immobilienpreisindex steigt.

Dadurch würden Hypothekargeber anders kalkulieren, und es käme zu weniger Übertreibungen am Häusermarkt, erklärt Mian, basierend auf Modellrechnungen. Und falls eine Blase platzt, müssen die Hausbesitzer ihre sonstigen Ausgaben nicht so stark beschneiden. Damit leidet die Konsumnachfrage weniger, und die Abwärtsspirale kommt langsamer in Gang.

Das Konzept der gemeinsamen Verantwortung für die Schulden lasse sich auf verschiedene Märkte

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