Der neue Chef der US-Notenbank gilt an den Märkten als geldpolitische Taube. Das könnte sich als Fehleinschätzung erweisen, sagt Vincent Reinhart, er ist Chefökonom von Standish und war früher beim Fed.
Seit Tagen wurde an Wallstreet darüber spekuliert, nun herrscht Gewissheit: US-Präsident Donald Trump hat am Donnerstag Jerome Powell zum nächsten Präsidenten des Federal Reserve ernannt. Das Weisse Haus habe damit eine sichere Wahl getroffen, sagt Vincent Reinhart, der früher im wirtschaftlichen Beratungsteam der amerikanischen Zentralbank tätig war und heute als Chefökonom bei dem zu BNY Mellon gehörenden Anlagespezialisten Standish arbeitet. Was den künftigen Kurs der Geldpolitik betreffe, werde Powell jedoch eine härtere Haltung einnehmen, als die Finanzmärkte erwarten, sagt Reinhart.
Herr Reinhart, was können Investoren von Jerome Powell an der Spitze der mächtigsten Zentralbank erwarten?
Powell hat sich im Vorsitz des Federal Reserve als loyaler und zuverlässiger Notenbankgouverneur erwiesen. Er ist seit Frühjahr 2012 im Amt und war primär für administrative Aufgaben zuständig, wozu die Aufsicht über die Geldmärkte gehörte. Mit geldpolitischen Fragen hat er sich allerdings kaum konkret befasst und meist darauf vertraut, dass Fed-Chefin Janet Yellen die richtigen Entscheide trifft. Deshalb hat er auch nie gegen einen Beschluss des Gremiums votiert und in öffentlichen Reden stets die Ansicht der Mehrheit im Fed-Vorsitz vertreten. Sein bisheriges Verhalten als Fed-Gouverneur sagt damit wenig darüber aus, wie er künftig als Präsident der Notenbank agieren wird.
Was ist Ihre Prognose?
Powell ist von seiner politischen Einstellung her ein zentrumsorientierter Republikaner. Als Notenbankchef wird er deshalb wohl eine strengere Zinspolitik vertreten, als er das bislang als Fed-Gouverneur getan hat.
Sie selbst haben lange für den geldpolitischen Steuerungsausschuss der US-Notenbank gearbeitet. Wie haben Sie Powell während Ihrer Zeit beim Fed erlebt?
Ich arbeitete Anfang der Neunzigerjahre enger mit ihm zusammen, als er für das US-Schatzamt tätig war. Es ging damals um den Skandal um die Investmentbank Salomon Brothers, die Auktionen von US-Staatsanleihen manipuliert hatte. Ich machte die Erfahrung, dass er sehr kooperativ ist, sich intensiv mit der Materie auseinandersetzt und sich aber auch nicht davor scheut, sich unbekannte Sachverhalte erklären zu lassen, um einen fundierten Entscheid zu treffen. Das ist enorm wichtig in einer Institution wie der US-Notenbank, die ihre geldpolitischen Beschlüsse in einem Komitee trifft.
Im Gegensatz zu Fed-Chefin Yellen und ihrem Vorgänger Ben Bernanke hat Powell jedoch keinen ökonomischen, sondern einen juristischen Hintergrund. Könnte sich das als Nachteil herausstellen?
Ein kurzer Rückblick auf die Fed-Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg macht klar, dass es für diese Position drei zentrale Faktoren braucht: ökonomische Kenntnis, Vertrautheit mit den Finanzmärkten sowie ein Verständnis der Notenbank als Institution. Alle drei Voraussetzungen zusammen hat bisher kaum je ein Fed-Chef erfüllt. Alan Greenspan beispielsweise kannte sich gut in ökonomischen und marktrelevanten Fragen aus. Es fehlte ihm aber an praktischer Erfahrung, weshalb er sich in diesen Belangen oft auf die Gouverneure im Fed-Vorsitz verliess. Yellen und Bernanke hingegen kannten sich zu Beginn ihrer Amtszeit zwar bereits gut in der Notenbank aus. Wenn es aber um die Mechanik der Finanzmärkte ging, mussten auch sie sich Hilfe holen.
Wie geht es mit der US-Notenbank nun generell weiter?
Wenn Powell Anfang Februar sein Amt antritt, hat Präsident Trump wahrscheinlich nicht nur den nächsten Fed-Chef bestimmt. Er könnte bis dahin sogar auf relativ einfachem Weg vier weitere Mitglieder im siebenköpfigen Gouverneursrat einsetzen.
Wie wird sich das Federal Reserve dadurch verändern?
Es wird vor allem in zwei Punkten Veränderungen geben: Erstens hat sich das politische Verhältnis der US-Notenbank sowohl zum Senat wie auch zum Repräsentantenhaus in den vergangenen Jahren zusehends angespannt. Da Powell in Washington grossen Support geniesst, wird sich die Beziehung zwischen dem Fed und dem Kongress deshalb mit Bestimmtheit verbessern.
Und zweitens?
Die Deregulierung des Finanzsektors wird sich beschleunigen. An der Fed-Sitzung von dieser Woche hat erstmals Randal Quarles teilgenommen, der als Vizepräsident für die Aufsicht über den Bankensektor verantwortlich ist. Powell wird Quarles’ Bestrebungen zur Lockerung des regulatorischen Umfelds entschieden unterstützen. Dabei wird er auch Zuspruch von Kollegen anderer Behördenstellen wie des Schatzamtes oder der Börsenaufsicht SEC erhalten, die in Sachen Deregulierung eine ähnlich offene Linie vertreten. Das wird sich rasch in Bereichen bemerkbar machen, wo sich Veränderungen leicht umsetzen lassen, wie zum Beispiel in der Interpretation und der praktischen Auslegung bestehender Gesetze.
Wie begrüssenswert ist eine solche Entwicklung? Was passieren kann, wenn die Kontrolle über den Bankensektor versagt, hat die Finanzkrise von 2008/09 gezeigt.
Bei der Finanzregulierung schwingt das Pendel hin und her, wobei es meist zu stark ausschlägt. So herrscht heute ein Konsens, dass der Regulierungsapparat für Finanzgesellschaften zu kompliziert geworden ist. Deshalb wären einfachere Auflagen nützlich, die sich darauf fokussieren, dass Banken über ein genügend dickes Eigenkapitalpolster verfügen. Wie weit der Gegentrend in der Finanzregulierung während der Trump-Regierung letztlich gehen wird, ist schwierig zu sagen. Wir werden aber nicht zu einer Situation zurückkehren wie 2007.
Fed-Chefin Yellen hat unlängst behauptet, dass es zu ihren Lebzeiten kaum zu einer neuen Finanzkrise kommen werde. Wie beurteilen Sie Yellens Leistung an der Spitze der Notenbank?
Janet Yellen war in den Jahren 2015 und 2016 zwar oft gleicher Meinung wie die meisten ihrer Kollegen im Fed-Gremium, wonach die Geldpolitik gestrafft werden müsse. Wann immer sie konnte, hat sie es aber hinausgezögert, die Zügel anzuziehen. Dieses Jahr hingegen hat sie eine wesentlich strengere Haltung eingenommen und sich darauf konzentriert, den geldpolitischen Kurs für ihren Nachfolger vorzuspuren. Das, weil sie annehmen musste, dass Trump sie nicht für eine zweite Amtszeit bestätigen wird.
Was bedeutet das für Powell?
Yellen ist grundsätzlich der Ansicht, dass die Geldpolitik nur graduell und über einen langen Zeitraum normalisiert werden kann. Wenn das Fed das Zielband für den Leitzins an der nächsten Sitzung im Dezember voraussichtlich weiter auf 1,25 bis 1,5% anhebt, entspricht das aber bereits der dritten Straffung dieses Jahr. Nach dieser Vorarbeit wird Powell bei seinem Antritt daher zunächst weniger unter Druck stehen, sich mit zusätzlichen Zinserhöhungen zu beeilen.
Das Fed hat im Oktober zudem mit dem Abbau seiner riesigen Bilanz begonnen. Wie geht es hier weiter?
Um die Bilanz zu verkürzen, hat Fed-Chefin Yellen ein umsichtiges und weit im Voraus kommuniziertes Programm in Gang gesetzt. Selbst wenn Powell das Portfolio an Wertschriften so weit wie möglich abbauen will, wird er es nicht riskieren, an diesem Plan grosse Veränderungen vorzunehmen. Es fragt sich also lediglich, ob das Bilanzprogramm bereits 2019 oder erst 2022 enden wird. Sowohl bei den Zinsen wie auch beim Bilanzabbau hat Yellen der US-Geldpolitik damit für lange Zeit ihren Stempel aufgedrückt.
Ein wichtiger Aspekt zur amerikanischen Wirtschaft und Geldpolitik ist auch, wie Trumps Pläne für Steuerkürzungen vorankommen. Am Donnerstag legen die Republikaner dazu einen ersten Gesetzesentwurf im Repräsentantenhaus vor.
Das wird kein einfaches Unterfangen, zumal der Kongress ein Gesetz bis Ende Jahr verabschieden muss. Ich rechne aber nach wie vor damit, dass es zu Steuerkürzungen kommen wird. Ein zentraler Grund dafür ist, dass die Aussicht auf die Zwischenwahlen im Herbst 2018 die Republikanische Partei zusammenschweissen wird. Die Zustimmung durch den Senat wird wohl jedoch bis zur letzten Minute in der Schwebe hängen.
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