Der neue CEO des Nahrungsmittelkonzerns, Ulf Mark Schneider, ist weder ein Eigengewächs, noch hat er Erfahrung in der Lebensmittelindustrie. Trotzdem oder gerade deshalb wird die Nominierung begrüsst.
Die Überraschung ist gelungen. Und das gleich mehrfach. Am Montagabend gab Nestlé (NESN 74.1 0.89%) die Nomination des neuen CEO bekannt. Ulf Mark Schneider wird per 1. Januar 2017 den Posten von Paul Bulcke übernehmen, als CEO und Delegierter des Verwaltungsrats. Erwartet wurde die Nomination erst für Herbst. Analog zum Wechsel 2008 von Peter Brabeck-Letmathe vom CEO-Posten auf den des Verwaltungsratspräsidenten (VRP). Da Brabeck das Präsidium im April 2017 altershalber abgeben muss, rückt CEO Bulcke nach – wie das bei Nestlé Tradition ist. Diese Tradition wurde nicht gebrochen. Eine andere hingegen schon.
Mehr zum ThemaUlf Mark Schneider: Besonnen und entschlossen zugleich. Erfahren Sie mehr über den neuen Nestlé-Chef im
Artikel von FuW-Ressortleiter Adrian Blum.
Geld aufnehmen, akquirieren, integrieren und die Kasse füllen: Lesen Sie hier das Erfolgsgeheimnis von Fresenius.Schneider ist kein Eigengewächs und hat keine Erfahrung in der Nahrungsmittelindustrie. Er leitete während dreizehn Jahren das Gesundheitsunternehmen Fresenius (FRE 63.64 2.74%). In der Geschichte von Nestlé wurde mit Louis Dapples 1922 erst ein Mal ein externer Kandidat zum Chef erkoren. Im Jahr zuvor schrieb der Nahrungsmittelmulti den bisher einzigen Jahresverlust. Die Lage war ernst. Ein Finanzexperte musste ans Werk.
Wachstumsimpulse gesucht
Zeitstrahl der Nestlé-CEOsSo dramatisch ist die Lage heute nicht. Nestlé schrieb im vergangenen Jahr einen Gewinn von 9 Mrd. Fr. Der Verwaltungsrat sieht dennoch Handlungsbedarf. Denn der Koloss hat den Nimbus des Primus verloren. Es fehlen die Wachstumsimpulse. Das gut diversifizierte Portfolio und die führenden Marktpositionen verleihen dem Unternehmen einen defensiven und stabilen Geschäftsverlauf. In den vergangenen drei Jahren hat Nestlé die eigenen Ziele aber nicht erfüllen können.
«Nach fünf Jahren Wachstum dank Schwellenländern fehlt ein neuer Wachstumstreiber», sagt Analyst Alain-Sebastian Oberhuber vom Broker Mainfirst. Wachstum sieht Nestlé im Gesundheitsbereich. Schon vor Jahren setzte der Konzern auf «Ernährung, Gesundheit und Wellness». «Auf Gruppenstufe haben die beiden Gesundheitsbereiche Nestlé Health Science und Nestlé Skin Health noch zu wenig Gewicht», sagt Oberhuber. Auch das Wachstum ist unbefriedigend. Kleine Zukäufe haben das Portfolio vergrössert, der grosse Wurf fehlt aber. Auf Konzernstufe resultiert ein Anteil von 5%. Bei Nestlé Health Science soll der Umsatz langfristig auf 10 Mrd. vervierfacht werden.
Eine solche Multiplikation hat Schneider bei Fresenius in dreizehn Jahren erreicht. Im vergangenen Jahr kam Fresenius auf 29 Mrd. Fr. Umsatz. Externes Wachstum steht wohl auch bei Nestlé an, vermutlich im Gesundheitsbereich. «Bezüglich der Kombination von organischem und akquisitorischem Wachstum erwarte ich zukünftig eher einen Trend zu einem stärkeren Gewicht auf Akquisitionen ähnlich der Entwicklung bei Fresenius», sagt Oberhuber. Spielraum hat Schneider genug. Bei Fresenius betrug die Nettoverschuldung im Mittel dreimal den Ebitda. Die von Nestlé ist deutlich niedriger.
Finanzchef François-Xavier Roger, seit einem Jahr im Amt, kam ebenfalls nicht aus der Nahrungsmittelbranche. Er stammt aus der Pharmaindustrie. Zu einem Pharmakonzern wird Nestlé dennoch nicht. Der designierte Verwaltungsratspräsident Bulcke erläuterte vergangene Woche in einem Interview mit dem «Handelsblatt», dass Nestlé nicht in Pharma investiere, sondern herausfinden wolle, «wie Nahrung und Gesundheit zusammenhängen». Pharma sei ein ganz anderes Geschäftsmodell und brauche ganz andere Forschungsansätze.
Aktienanalyst Jon Cox von Kepler Cheuvreux begrüsst die Wahl von Schneider. Er sieht kein Problem darin, dass der neue CEO keine Erfahrung im Nahrungsmittelbereich hat. «Alle anderen im Management haben Erfahrung in diesem Bereich», sagt er. Ein Externer bringt neuen Schwung ins Unternehmen. Die Kritik von Investoren, dass Nestlé zu «selbstgefällig» geworden ist, sei auch ein Grund, warum ein externer Kandidat gewählt wurde.
Vermutlich ist Brabeck aber auch ungeduldig geworden. «Der Verwaltungsratspräsident war unzufrieden mit dem Führungsstil von Bulcke», sagt ein Analyst, der nicht namentlich genannt werden will. «Auf Bulcke verzichten wollte er aber dann doch nicht», ergänzt er.
Wer springt ab?
Nicht zum Zug gekommen sind die drei zuvor als Favoriten gehandelten Chris Johnson, Laurent Freixe und Wan Ling Martello. «Jeder neue Chef führt zu Wechseln, besonders ein externer Chef», sagt Cox. Am stärksten würde ein Abgang von Wan Ling Martello ins Gewicht fallen. Sie hat in Indien und China den Turnaround geschafft und die Onlinestrategie massgeblich geprägt. Auch das US-Geschäft, für das Laurent Freixe verantwortlich ist, läuft wieder besser. Darum wird sich Schneider auf die wachstumsträchtigen Bereiche Health Science und Skin Health fokussieren können.
«Der Fokus auf Umsatzwachstum und Innovation ist sehr positiv», betont Cox. Analysten zeigen sich von Schneider überzeugt, und auch vom Markt wird der neue CEO positiv aufgenommen. Im Tagesverlauf haben die Titel 3,3% zugelegt. Die Nomination von Schneider erntet Applaus und hat den Unternehmenswert von Nestlé um 730 Mio. Fr. erhöht.
Die komplette Historie zu Nestlé finden Sie hier. »
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