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18:26 Uhr - 08.12.2015

Was man zum Öl-Kollaps wissen muss

Rohöl der europäischen Sorte Brent fällt unter 40 $ je Fass. Das ist so tief wie seit Anfang 2009 nicht mehr. Was hat zum Einbruch geführt?

Der Ölmarkt kollabiert. Der Preis für Öl der Sorte Brent ist am Dienstag zum ersten Mal seit Anfang 2009 unter 40 $ pro Fass gesunken. Damals war der Tiefpunkt der Finanzkrise erreicht. Heute ist die Welt zwar nicht in einer Wirtschaftskrise, doch der Ölmarkt hat trotzdem wenig Hoffnung auf eine baldige Besserung.

Hier die wichtigsten Faktoren, um den Kollaps zu verstehen.

1. Die Erholungsrally ist gescheitert

Seit Anfang 2014 sind die Preise für die beiden wichtigsten Sorten, Brent und WTI, um mehr als 40% gesunken. Der Versuch einer Erholungsrally in der ersten Jahreshälfte 2015 auf zeitweise über 60 $ ist gescheitert. Nun beschleunigt der Ölpreis seinen Absturz.

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2. Die US-Ölproduktion will nicht abnehmen

In den letzten Monaten ist einer Zahl an den Ölmärkten grosse Beachtung geschenkt worden, die zuvor kaum diskutiert wurde: dem sogenannten Rig Count. Das ist die Zahl der aktiven Bohrungen in den USA. Dank der Technologie, Öl aus Schiefergestein zu fördern, kam dort ein zweiter Ölboom in Gang. Seit Anfang Jahr sinkt die Anzahl der Bohrungen dramatisch. Anfang Dezember ist sie so tief wie noch nie. Heute gibt es nur noch 545 Bohrungen. Vor einem Jahr waren es noch fast 1600. Das sollte dem Ölpreis eigentlich Auftrieb geben.

Doch die Zahl trügt. Anscheinend haben sich die Ölproduzenten auf die ergiebigsten Bohrungen konzentriert und ihre Produktion kaum abgebaut. Denn die US-Ölproduktion ist nicht gesunken, sie stagniert lediglich seit Anfang Jahr.

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3. Der starke Dollar

Die Rohstoffe werden grossteils in Dollar gehandelt. Wird der Dollar stärker, werden die Rohstoffe für Konsumenten ausserhalb des Dollarraums teurer. Der Abstieg der Rohstoffpreise hat begonnen, als der Dollar immer stärker wurde. Die untenstehende Grafik zeigt das: Seit 2014 hat sich der handelsgewichtete Dollar markant aufgewertet, gleichzeitig ist der Bloomberg Commodity Index um mehr als 30% gesunken.

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4. Die zerstrittene Opec

Es ist lange vorbei, dass das Ölkartell Opec mit höheren Ölpreisen der Welt das Fürchten lehrte. Am Freitag hat das Ergebnis der Opec-Versammlung bestätigt, wie zahnlos die Organisation geworden ist. Das hängt an einem Land: Saudi-Arabien. Es hatte früher die eigene Förderung jeweils eingeschränkt oder ausgeweitet, um eine von der Opec beschlossene Höchstförderung durchzusetzen. Doch das ist vorbei. Dahinter steckt wohl die Strategie, mit einem tiefen Ölpreis die US-Ölproduktion unrentabel zu machen und so den eigenen Marktanteil zu sichern.

Schon seit 2014 wird das Fördermaximum der Opec von 30 Mio. Fass pro Tag regelmässig überschritten. Zwar fordern einzelne Länder wie Venezuela ein neues, strenges Fördermaximum, um den Wert des geförderten Öls zu erhöhen. Doch die Mitgliedländer im Nahen Osten wollen so viel vom fossilen Brennstoff fördern, wie nur möglich ist. Die Marke von 30 Mio. Fass gilt übrigens auch nicht mehr: Nun will man nur noch die jetzige Förderung beibehalten.

Die meisten Marktakteure haben es daher aufgegeben, daran zu glauben, dass die Opec dem Ölpreis noch helfen kann.

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5. Der Iran steht in den Startlöchern

Die Produktion der Opec-Länder wird sich in Zukunft eher noch erhöhen – denn die Sanktionen gegen den Iran könnten schon im Januar gelockert werden. Dort stockt die Förderung, weil jahrelang keine moderne Technologie und keine ausländischen Investitionen für den Energiesektor bereitstanden. Am 15. Dezember wird die Internationale Atomaufsicht IAEA darüber urteilen, ob der Iran sich mit seinem Nuklearprogramm an internationale Vereinbarungen hält. Wenn die Sanktionen gelockert werden, will die islamische Republik auch ihre Ölproduktion steigern.

Nach Schätzung von Morgan Stanley (MS 34.08 -1.73%) könnte sich die Förderung im Iran nächstes Jahr sprunghaft erhöhen. Bis Ende 2016 erwarten die Analysten eine Förderung von 3700 Fass pro Tag – eine Steigerung von über 25% zu heute.

Iran

Quelle: Morgan Stanley

6. Die enttäuschten Spekulanten

Die hohen Ölpreise der letzten Jahre waren wohl nicht nur der physischen Nachfrage geschuldet. Auch die Finanzinvestoren – meist Hedge Funds, die Preissteigerungen erwarten – mischten im Energiemarkt heftig mit. Dort hat sich das Bild mit dem fallenden Ölpreis gekehrt.

Der Saldo zwischen Kauf- und Verkaufspositionen von Terminkontrakten auf Öl zeigt an, wie stark Hedge Funds mit Futures und Optionen auf einen steigenden Preis setzen. Diese Netto-Long-Positionen sind nun so tief wie in den letzten fünf Jahren nicht mehr. In der ersten Jahreshälfte stiegen diese Wetten noch markant. Doch auch an den Terminbörsen konnten sich die Optimisten nicht durchsetzen.

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7. Die unter Druck stehenden Ölexporteure

Viele Länder, die Öl exportieren, sind auf die Einnahmen daraus angewiesen. Oft ist die eigene Wirtschaft nur ungenügend diversifiziert. So kommt die Regierung von Saudi-Arabien bereits in Bedrängnis. Das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung wachsen.

Saudi-Arabien und andere Ölexporteure im Nahen Osten haben ihre Währung noch an den Dollar gekoppelt. Für andere Länder kann man den Druck am Wechselkurs ablesen. So werten sich die Währungen von Norwegen, Brasilien und Russland immer weiter ab. Der brasilianische Real und der russische Rubel haben sich in den vergangenen fünf Jahren zum Dollar über 50% abgewertet.

Um Staats- und Deviseneinnahmen zu sichern, muss bei einem fallenden Ölpreis immer mehr exportiert werden. Das führt zu einem Teufelskreis von steigendem Angebot und fallenden Preisen.

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8. Der letzte Optimismus

Der Ölmarkt könnte mit dem heftigen Absturz übertrieben haben. Dienstagabend konnte sich der Ölpreis immerhin auf über 41 $ je Fass erholen. Gerade wenn der Tiefpunkt der Stimmung erreicht ist, könnte es zu einer Erholung kommen.

So erwartet die Commerzbank (CBK 9.504 -3.26%) trotz zerstrittener Opec neuen Auftrieb für den Ölpreis im nächsten Jahr. Dabei setzen die Analysten auf eine steigende Nachfrage. Auch dieses Jahr sei nach Schätzung der Internationalen Energieagentur die Nachfrage nicht besonders schwach. Sie sei sogar so ausgeprägt gewachsen wie seit 2010 nicht mehr. Nur sei das Angebot zu stark ausgeweitet worden. Eine endlich fallende US-Produktion könnte den Ölmarkt nun ins Gleichgewicht bringen.

Nachfrage

Quelle: Commerzbank

Der GAM-Fondsmanager Roberto Cominotto glaubt an eine Preiserholung in der zweiten Jahreshälfte 2016. Die Produzenten müssten ihre Kosten decken. Und das sei nur bei einem Ölpreis von über 70 $ je Fass möglich. Morgan Stanley schätzt, dass im vierten Quartal 2016 das Überangebot am Ölmarkt reduziert wird.

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