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15:08 Uhr - 09.09.2016

«Grosse Banknoten sind ein Fluch»

Kenneth Rogoff, Professor an der Harvard University, will Bargeld weitgehend abschaffen. Das soll Kriminalität erschweren und negative Zinsen effektiver machen.

Sein Vorschlag provoziert. Der amerikanische Starökonom Kenneth Rogoff zählt zu den prominentesten Befürwortern, wenn es um das Abschaffen von Bargeld geht. «Papiergeld steht oft im Zentrum der hartnäckigen Probleme, die uns heute im Bereich öffentliche Finanzen und Geldpolitik konfrontieren», argumentiert er in seinem brandneuen Buch «Der Fluch des Geldes». Er zeigt darin auf, dass heute vor allem kriminelle Kreise noch auf Cash angewiesen sind. In einer bargeldlosen Welt würden negative Zinsen zudem besser funktionieren, sagt der Harvard-Professor. Im Interview warnt er, dass Europas Banken anfällig für eine Krise bleiben und die Wachstumsabkühlung Chinas zu einer schweren Belastung für die Weltwirtschaft wird.

Herr Rogoff, Sie fordern die Abschaffung von Cash. Weshalb?
Mir geht es nicht um die totale Beseitigung von Bargeld. Gerade für kleinere Beträge ist es sehr praktisch. Auch gibt es in ärmeren Regionen oft keine Alternative. Anders ist es mit grossen Banknoten. Wer legal grössere Transaktionen abwickelt und ordnungsgemäss Steuern zahlt, kann heute gut darauf verzichten. In den USA macht Bargeld nur noch rund 12% des Zahlungsverkehrs aus. Weiter sind skandinavische Länder, wo der Anteil bereits weniger als 5% beträgt.

Warum ist ein Verbot nötig, wenn der Trend ohnehin in diese Richtung geht?
In den Industrieländern spielt Bargeld vor allem bei Steuerhinterziehung, kriminellen Aktivitäten und Korruption eine wichtige Rolle. Dasselbe gilt für Schwarzarbeit und illegale Einwanderung. Deshalb sage ich: Grosse Banknoten sind ein Fluch. Ich mache mir aber keine Illusionen. Die Menschen werden ihr Verhalten nicht ändern, nur weil wir grosse Noten abschaffen. Wenn wir so aber Kriminalität und Steuerhinterziehung etwas verringern können, hört sich mein Vorschlag doch simpel und vernünftig an.

Hätte man Bargeld nicht längst abgeschafft, wenn das so einfach wäre?
Ich befasse mich mit diesem Thema seit über zwanzig Jahren. Dass bis jetzt wenig passiert ist, hat hauptsächlich mit zwei Gründen zu tun: Erstens unterliegen Regierungen dem Trugschluss, dass sie mit dem Drucken von Bargeld ein gutes Geschäft machen. Cash ist für sie im Prinzip eine Form zinsfreier Staatsschulden. Wird es abgeschafft, muss der Staat mehr Kredit aufnehmen, um seine Ausgaben zu finanzieren. Derzeit ist das nicht so wichtig, da die Zinsen extrem tief sind. Das kann sich aber ändern. Der Staatskasse würde es zudem viel mehr nützen, wenn man so Steuerhinterziehung nur schon um 10% reduzieren könnte.

Um was für Beträge geht es hier?
In den USA werden rund 700 Mrd. $ pro Jahr am Fiskus vorbeigeschleust. Ein Grossteil davon entfällt auf kleinere und mittelgrosse Unternehmen. Steuerumgehung findet also primär im Inland statt. Die Hinterziehung über Länder wie die Schweiz oder Luxemburg fällt im Vergleich dazu  weniger ins Gewicht. Das, obwohl die Medien viel häufiger über solche Fälle berichten.

Und was ist der zweite Grund, weshalb Cash noch nicht verschwunden ist?
Eine kleine, aber einflussreiche Lobby übt massiv Druck dagegen aus. Das gilt speziell in Amerika, wo Leute, die grosse Noten beibehalten wollen, oft auch gegen ein Verbot halbautomatischer Schusswaffen sind. Sie hegen tiefes Misstrauen gegenüber der Regierung und fürchten, dass das Steueramt ihnen jederzeit das Haus stürmen wird. Das sind aber schwache Argumente. Wenn die USA ein totalitärer Staat wären, könnte die Regierung ihnen das Geld ganz einfach wegnehmen, indem sie es weginflationiert.

Viele Leute sind aber einfach nur gegen einen weiteren Eingriff in die Privatsphäre.
Jedes Land ist anders. Verzichtet Japan auf Papiergeld, muss das nicht unbedingt auch die Schweiz tun. Es braucht aber eine sinnvolle Balance zwischen individuellem Recht auf Privatsphäre und dem Auftrag der Regierung, das Steuer- und das Strafrecht durchzusetzen. In der Schweiz würde ich Zehnernoten daher nicht abschaffen. Wer etwas für 1000 oder 2000 Fr. kaufen will, kann das so problemlos mit Bargeld tun. Bei Transaktionen von 100 000 oder 1 Mio. Fr. wird das dann aber schwieriger. Grundsätzlich geht es darum, organisiertes Verbrechen und Korruption möglichst zu erschweren, ohne in den Alltag der Bürger zu intervenieren.

Kriminelle Kreise können heute jedoch auch Zahlungsmittel wie Bitcoin nutzen.
Ich bin absolut dagegen, dass man Bitcoin und andere Kryptowährungen als Alternative zu Bargeld fördert. Im Gegenteil: Sie müssen strenger reguliert werden.

Inwiefern müsste das Abschaffen grosser Noten demokratisch legitimiert sein?
In der Schweiz hat das Referendum eine reiche Tradition, weshalb man es in dieser Frage konstruktiv nutzen könnte. In den meisten Ländern wäre es aber lächerlich, so etwas zur Abstimmung zu bringen. Das US-Schatzamt etwa ist schon heute befugt, Fünfhunderternoten zu drucken oder Hunderternoten aus dem Verkehr zu ziehen. In diesem Zusammenhang denke ich übrigens auch, dass die Brexit-Abstimmung in Grossbritannien ein historischer Fehler war, der Europa ins Chaos stürzen könnte. Für einen so wichtigen Entscheid braucht es eine deutlich grössere Zustimmung als nur das einfache Mehr.

Trotzdem: Kritiker sagen, es gehe letztlich doch nur darum, dass Zentralbanken Massnahmen wie negative Zinsen besser durchsetzen können, wenn das Halten von Bargeld verboten wird.
Genau das ist mein zweites zentrales Argument: Negative Zinsen können ein sehr wirkungsvolles Instrument sein, um die Konjunktur zu beleben. In einer Welt ohne Bargeld wären sie lediglich eine Fortsetzung der konventionellen Geldpolitik. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ist ihr Effekt jedoch begrenzt, weil grosse Marktakteure Cash horten können, wenn die Zinsen zu tief ins Negative fallen.

Negative Zinsen haben bisher aber eher für Verunsicherung unter Investoren gesorgt.
Wir kratzen erst an der Oberfläche, was negative Zinsen betrifft. Für mich ist das keine Alltagsmassnahme, sondern eine Notfallintervention in einer Finanzkrise oder einer schweren Rezession. In solchen Situationen lassen sich negative Zinsen viel einfacher anwenden als Helikoptergeld oder massive Wertschriftenkaufprogramme. Das zeigt sich in Europa, wo die EZB mit dem QE-Programm jetzt sogar Anleihen von Privatkonzernen kauft. Die Zentralbanken werden heute gezwungen, Fiskalpolitik zu betreiben. Sie erhalten immer mehr politische Aufträge, was ich für gefährlich halte. Das auch deshalb, weil sie von Technokraten geleitet werden, die nicht demokratisch gewählt sind. Könnten negative Zinsen ihre volle Wirkung entfalten, würde das Druck von den Zentralbanken nehmen. Ihr Mandat würde wieder auf den Bereich reduziert, für den sie vor der Krise zuständig waren.

Was aber würden Sie zum Beispiel einer Rentnerin sagen, die wegen negativer Zinsen um ihre Pension fürchtet?
Die Zentralbanken sind nicht dafür verantwortlich, dass die Zinsen so tief sind. Der Grund dafür ist, dass wir in einer Welt geprägt von Angst und schwachem Wachstum leben. Die Unternehmen sind pessimistisch und halten sich mit Investitionen zurück. In einem solchen Umfeld muss man sein Geld anders anlegen. Ältere Menschen etwa sollten mehr an Diversifikation denken und einen grösseren Anteil an Aktien halten, als das bisherige Richtlinien empfehlen.

Ist es normal, dass die Konjunktur nach einer Finanzkrise einfach nicht in Schwung kommt? Sie haben mit der Ökonomin Carmen Reinhart ja intensiv darüber geforscht.
Das Besondere am letzten Crash war, dass er vor allem reiche Länder getroffen hat. Der Staat kann es sich daher leisten, echte Lösungen aufzuschieben. Das erschwert die Erholung im Vergleich zu früheren Finanzkrisen. Griechenland ist ein Paradebeispiel. Betroffen ist aber das gesamte Finanzsystem in Europa, zumal die Banken nach wie vor viele faule Kredite halten. In einem armen Entwicklungsland hingegen würden diese rasch abgeschrieben, was einen Neustart ermöglicht. Europa würde heute viel schneller wachsen, wenn die Länder im Süden all die schlechten Kredite getilgt hätten. In den USA trifft das Gleiche auf Subprime-Hypotheken zu.

Wie problematisch ist diese Situation?
In Europa herrscht finanzielle Repression. Die Banken werden praktisch dazu gedrängt, die unprofitablen Anleihen ihrer Regierung zu kaufen. Damit fehlt ihnen das Geld, Kredite an kleine und mittelgrosse Unternehmen zu sprechen, die der Motor für Innovation und Wachstum sind. Europa beleibt deshalb gelähmt, wobei die Banken in Italien sogar am Beginn einer erneuten Krise stehen.

Was sollte dagegen unternommen werden?
Die Banken müssten ihre Bilanzen bereinigen und die Kapitalisierung deutlich erhöhen. Stattdessen geht der Trend zu einem Finanzsystem, das zusehends dem von Schwellenländern gleicht und in dem der Staat bedeutenden Einfluss auf die Kreditvergabe nimmt. Der Freiraum der Banken wird immer mehr eingeschränkt. In Frankreich etwa erachtet man sie im Prinzip bereits als nationalisiert. Solche Eingriffe können kurzzeitig helfen, eine Finanzkrise zu stoppen. Wenn die Kreditverteilung aber nicht richtig funktioniert, schadet das dem Wachstum.

Was hat das für Folgen?
Länder wie Spanien haben zwar strukturelle Reformen durchgeführt. Viele andere Staaten tun sich aber schwer, wie sich gerade in Frankreich zeigt. Die politische und wirtschaftliche Situation in Europa ist sehr besorgniserregend. Wenn das Wachstum so schwach bleibt, erhalten populistische Strömungen immer mehr Zulauf. Das ist nicht nur für die Konjunktur eine Gefahr, sondern auch ein politisches Risiko für die gesamte Europäische Union.

Und wie steht es um den Rest der Welt?
In den USA läuft die Konjunktur zwar besser als in Europa. Viele Wunden aus der Krise sind aber nicht verheilt. Grosse Sorgen mache ich mir um China. Dort spielt sich nun die dritte Stufe des Schuldensuperzyklus ab, der mit der Subprime-Krise begann, sich dann auf Europa ausgeweitet hat und nun China erreicht. Das Land steckt in einer extrem schwierigen Lage. Es hat immer mehr Kredite angehäuft, um das Wachstum hoch zu halten. Doch das funktioniert jetzt nicht mehr.

Was hat das für Konsequenzen?
China ist anders als der Westen, weil es im Prinzip keine Privatschulden gibt. Dennoch wird die Konjunktur künftig viel langsamer wachsen. Darunter leiden Rohstoffexporteure wie Russland, Brasilien, Argentinien oder Indonesien. Aber auch Länder wie Deutschland und die Schweiz sind betroffen, die grosse Gewinne mit China gemacht haben. Die Situation ist zwar nicht so schlimm, wie wenn Amerika in eine Rezession abgleiten würde. Prozentual ist der Einbruch in China aber viel stärker. Nachdem das Wachstum jährlich 10% betrug, sind es jetzt noch 2 oder 3%. Das wird die ganze Welt belasten und bedeutende Anpassungen erfordern.

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