Valentijn van Nieuwenhuijzen, Anlagechef von NN Investment Partners, erklärt, weshalb die Hausse pausieren dürfte. Chancen sieht er in den Schwellenländern.
Herr Van Nieuwenhuijzen, die Märkte wandeln zwischen positiven Fundamentaldaten und politischen Störfaktoren. Welcher Einfluss ist stärker?
Wir gehen davon aus, dass mit dem synchronen globalen Wachstum eine der besten Welten für Anleger von den Märkten bereits eingepreist ist. Die positive Grundtendenz bleibt zwar bestehen. Wir müssen uns aber auf eine deutlich schwankungsanfälligere Börse einstellen.
Was heisst das konkret?
Die Politik ist ein ständiger Einflussfaktor an den Finanzmärkten. Das haben wir in den vergangenen zwei Jahren gesehen. Wir hatten den Brexit-Entscheid, die verschiedenen Parlaments- und Regierungswahlen in Europa sowie die Wahl von US-Präsident Donald Trump. Jedes Mal wurden Marktverwerfungen befürchtet. Eingetroffen sind Kursausschläge, die zwischen fünf Minuten und einigen Tagen dauerten. Für diese nur kurzfristigen Ausschläge gab es Gründe.
Warum waren die Turbulenzen jeweils schnell vorbei?
In den vergangenen zwei Jahren konnten die Erwartungen ständig nach oben geschraubt werden, sei es bei der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, beim Gewinnwachstum oder bei den Analystenprognosen. Der politische Lärm wurde überkompensiert, weil Anleger auf einen wirtschaftlichen Aufwärtstrend setzen konnten. Heute ist das Gewinnwachstum zwar gut, steigt aber nicht mehr weiter. Die Konjunkturdaten sind positiv, doch Überraschungen werden seltener.
Steht der aktuelle Konjunkturzyklus bald vor dem Wendepunkt?
Ich erwarte, dass wir in den kommenden zwei Jahren vereinzelt an Kapazitätsgrenzen stossen. Dies würde zu einer wirtschaftlichen Verlangsamung führen. Noch sehe ich in den entwickelten Ländern aber keine Anzeichen dafür.
Die Inflation ist vielerorts noch immer tiefer als erhofft.
Wir erleben keinen richtigen Inflationsschub. In den USA ist die Teuerung zwar etwas gestiegen, aber noch nicht auf ein alarmierendes Niveau. Auch die Lohnsteigerungen in den USA waren zwischenzeitlich etwas besorgniserregend, aber insgesamt entwickeln sich beide Variablen moderat.
Die jüngste Börsenkorrektur hat viele Anleger auf dem falschen Fuss erwischt. Sollten Investoren vielleicht gar das Wort Rezession im Hinterkopf behalten?
Die Furcht vor einer Rezession ist an den Märkten stets vorhanden, weil sie sich nie mit langer Vorlaufzeit ankündigt. Aber noch ist es nicht unser Basisszenario. Erst wenn sich Inflations- oder Lohndruck bildet, könnten sich Zentralbanken gezwungen sehen, schneller zu handeln als erwartet, was die Rezessionssorgen anheizen würde. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession erachte ich für dieses Jahr als tief.
Im ersten Quartal hat die Börse den Anlegern Verluste beschert. Haben wir den Tiefpunkt bereits erreicht?
Eine schwierige Frage. Seit zwei Monaten warten wir ab. Ich bin nicht überzeugt, dass die Korrektur bereits vorüber ist. Wir glauben, dass die Finanzmärkte 2018 noch einige Male durchgeschüttelt werden. Das kann durchaus auf einem höheren Kursniveau sein als heute. Momentan bleiben wir deshalb bei unserer neutralen Markthaltung.
Was heisst das bezüglich Anlageklassen?
Wir haben unsere Allokation wieder unserer strategisch neutralen Gewichtung angepasst und einzelne Risiken reduziert.
Eine risikoärmere Positionierung würde defensive Aktien bevorzugen. Ist die Zeit für eine Rotation aus zyklischen Titeln bereits gekommen?
Die Frage lässt sich nicht generell beantworten. Sowohl bei zyklischen als auch bei defensiven Titeln gibt es Bereiche, die man heute haben oder nicht haben sollte.
Zum Beispiel?
Bei den Zyklikern haben wir unsere Positionen im Technologie- und im Finanzsektor leicht zurückgefahren. Tech war zuletzt der weitaus beliebteste Sektor, eine Korrektur war unumgänglich. Derzeit sind die Nachrichten aber eher negativ. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Datensicherheit, sondern auch darum, wo Tech-Unternehmen ihren Gewinn versteuern sollen. Technologie wird für die globale Entwicklung zentral bleiben und zu einem späteren Zeitpunkt wieder interessante Anlagemöglichkeiten bieten – aber nicht heute.
Und bei den defensiven Titeln?
Wir sind vorsichtig gegenüber Versorgern und Telecomunternehmen. Sie haben strukturellen Gegenwind, solange die Wirtschaft sich in einem gesunden Zustand befindet. Chancen sehen wir im Energiesektor, auch dank des steigenden Ölpreises, sowie bei Basiskonsumgütervaloren.
Wo sehen Sie weitere Kaufmöglichkeiten?
Wir sind vom Potenzial der Schwellenländer überzeugt. Ihre relative Stärke zeigt sich daran, dass sie sich der jüngsten Korrektur entziehen konnten. Dies, obwohl einige Entwicklungen für eine Schwächephase sprechen würden, wie ein allfälliger Handelskrieg zwischen den USA und China oder die Zinserhöhungen in den USA. Auch bei den Festverzinslichen liegen Schwellenländer dieses Jahr weit vorne. Schwellenländerobligationen in Lokalwährungen sind seit Anfang Jahr die Anlageklasse mit der besten Performance.
Sie sagen, das Umfeld spreche eigentlich nicht für Schwellenländer. Weshalb laufen sie dennoch so gut?
Noch vor einigen Jahren wären Schwellenländer in einem Umfeld wie heute in Schwierigkeiten geraten. Doch derzeit sind sie um einiges weniger anfällig für externe Faktoren und auch weniger exportabhängig als früher. Der Binnenmarkt hat sich deutlich verbessert und sorgt für mehr Stabilität. Zudem haben die meisten Schwellenländer ihre Verschuldung reduziert und können ihre Zinsen relativ tief halten, bemerkenswert tief für Schwellenländerstandards.
Viele Anleger sind bullish für Europa.
Europa bietet noch immer attraktive Möglichkeiten, aber wir stufen die Region neutral ein. Wir nähern uns nun einer Phase, die in Europa für gewisse Unsicherheiten sorgen könnte. Möglicherweise läuft im September das Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank aus. Zudem wird nächstes Jahr das Präsidium der EZB neu bestellt. Das birgt vor allem für Anleihenbesitzer Unwägbarkeiten. Auf der Aktienseite ist Europa weiterhin interessant.
Welche Gefahren sehen Sie bei der Normalisierung der Geldpolitik?
Die Unsicherheit rund um die Normalisierung ist einer der Gründe, weshalb wir unser Risiko etwas reduziert haben. Alle wissen, dass dieses Jahr einige Änderungen bevorstehen, doch niemand kann voraussagen, was uns genau erwartet. Noch kennen wir den neuen Präsidenten der US-Notenbank nicht genau. Ebenso wenig wissen wir, wie die Bilanzen der Zentralbanken zurückgeführt werden sollen. Es wäre vermessen, hierzu eine genaue Meinung zu haben.
Ist das ein Grund, sich prinzipiell aus Obligationen zu verabschieden?
Nein. Weil man noch nicht weiss, was einen erwartet. Wichtig ist deshalb, die Entwicklung genau zu beobachten. Wir wissen nicht, wie der Markt den Entscheid, das Anleihenkaufprogramm zurückzufahren, verdauen wird. Wird dies ein Vakuum hinterlassen, oder füllen institutionelle Anleger die Lücke? Wir müssen nicht nur die Zentralbankpolitik analysieren, sondern auch das Anlegerverhalten, um ein genaues Bild zu erhalten.
In den letzten Jahren haben passive Obligationenprodukte viele Neugelder angezogen. Ein Risikofaktor?
Nein, aber sie helfen uns bei der Analyse. Wenn die Märkte eine bestimmte Richtung einschlagen, lässt sich aus den Zu- und Abflüssen aus ETF einiges ablesen. Daraus lässt sich das Verhalten der grossen Investoren ableiten.
Wo sehen Sie den grössten Risikofaktor für Anleger in diesem Jahr?
In einer Eskalation der Handelsspannungen. Falls nicht mehr nur Worte fallen, sondern konkrete Massnahmen diskutiert werden. Wir sind an einem Punkt, an dem ein paar falsche Worte fatal sein können.
Was empfehlen Sie Anlegern mittelfristig?
Mein Tipp ist, das Portfolio etwas ausgeglichener zu gestalten und Risiken zu reduzieren. Aktien bleiben interessant, sofern man mit höheren Kursschwankungen umgehen kann. Als Alternative bieten sich allenfalls alternative Märkte an. Gute Möglichkeiten sehen wir im Bereich Infrastruktur oder in illiquiden Märkten. Letztere sind weniger anfällig für Zinsveränderungen – wie zum Beispiel Unternehmenskredite, Schwellenländerkredite oder Hypothekarmärkte.
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