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07:03 Uhr - 05.07.2019

In den USA sind Negativzinsen tabu

Das Federal Reserve will die Geldpolitik reformieren, legt aber Grenzen fest. Das Inflationsziel von 2% soll bleiben und der Leitzins nicht unter null fallen.

Das Fed hört zu. Unter diesem Motto veranstaltet die Zentralbank dieses Jahr in allen zwölf Notenbankdistrikten Treffen mit der Öffentlichkeit. Bürger, Fachverbände und Non-Profit-Organisationen sollen sich in eines der umfassendsten politischen Projekte seit Jahren einbringen: eine Reform der geldpolitischen Strategie, ihrer Instrumente und Kommunikationsmittel. Vergangene Woche wurde in Chicago eine Zwischenbilanz gezogen. Auf einer zweitägigen Fachkonferenz debattierten Fed-Vertreter mit führenden Ökonomen über das, was machbar ist und was nicht.

Im Mittelpunkt der Reformüberlegungen steht das Inflationsziel des Fed von 2%. Seit 2012 blickt es dabei auf die Kernrate (Preise ohne Energie und Nahrungsmittel) der persönlichen Konsumausgaben (PCE). Sowohl Fed-Chef Jerome Powell als auch sein Vize, Richard Clarida, betonen, der Wert werde beibehalten. Marktteilnehmer, die darauf spekulieren, dass das Fed in Zukunft eine Inflation von 3% anpeilen könnte, um die niedrigen Teuerungserwartungen nach oben zu hieven, dürften enttäuscht werden.

Neuer Umgang mit Inflation

Das zeigte sich in Chicago, als der Harvard-Ökonom Benjamin Friedman sich zu Wort meldete. Er appellierte an alle, nicht ungeprüft an der 2%-Schwelle festzuhalten. Wissenschaftlich sei nie ausreichend abgeklärt worden, ob 3% Inflation höhere  ökonomische Kosten verursachten als 2%. Der Kongress habe dem Fed den Auftrag erteilt, für Preisstabilität zu sorgen, aber nicht definiert, dass es sich dabei um 2% Inflation handeln müsse. Friedmans Appell wurde von den anwesenden Ökonomen und Fed-Vertretern abgeschmettert.

Realistischer sind Konzepte, die es dem Fed erlauben, das 2%-Ziel ausnahmsweise zu überschreiten. Damit soll erreicht werden, dass nach einer Phase, in der die Inflation tiefer lag als der Zielwert, diese Teuerungslücke ausgeglichen wird (englisch: to make up). Entsprechend ist von «Make-up-Strategien» die Rede.

Zum Beispiel könnte sich das Fed am Preisniveau orientieren. Ausgehend von einer definierten Steigerungsrate würde es das Indexniveau der PCE-Kernpreise anpeilen. Mit diesem Konzept läge das Preisniveau in den USA heute 5% höher. Vielleicht hätte man auf diese Weise den Rückgang der Inflationserwartungen aufhalten können. Der frühere Fed-Chef Ben Bernanke schlägt vor, dass die Zentralbank  vorübergehend von  der aktuellen 2%-Inflationsstrategie zu einer Preisniveaustrategie sollte wechseln können. Zum Beispiel wenn das Zinsniveau auf 0% sinkt und die Inflation niedrig ist. Dann würde das Fed de facto mehr Inflation zulassen, so lange, bis der Rückstand wettgemacht ist. Danach würde es zum alten Inflationsziel zurückkehren.

Eine dritte Variante wäre, dass das Fed sich an einem mehrjährigen Durchschnitt der Inflation ausrichtet. Je länger die zugrundeliegende Periode für das Mittel ausfällt, desto mehr gleicht sich dieses Inflationsziel einem Preisniveauziel an. So würde die Zentralbank die unbestrittenen Vorteile einer Preisniveaustrategie übernehmen und trotzdem gegenüber der Öffentlichkeit Inflationsraten kommunizieren. Sie seien verständlicher, sagt das Fed, und deshalb für die Praxis geeigneter.

Powell und seine Kollegen hinterliessen in Chicago den Eindruck, dass sie den neuen Konzepten skeptisch gegenüberstehen. Was bringen die ausgefeiltesten geldpolitischen Strategien, solange nicht sicher ist, dass die angepeilten Inflations- und Preisziele erreicht werden können? Entscheidend sei für eine Zentralbank, glaubwürdig zu bleiben, unterstrichen sie.

Timing ist nicht so wichtig

Hier kommen die Instrumente ins Spiel. Die Ökonomen Janice Eberly, James Stock und Jonathan Wright kommen in einer Simulationsanalyse zu dem erstaunlichen Schluss, dass Timing in der Geldpolitik gar nicht so wichtig ist. Hätte die Zinswende in den USA ein Jahr früher als 2014 oder ein Jahr später begonnen, würden Realzinsen, Arbeitslosenrate und Kerninflation heute kaum anders ausfallen.

Dafür weisen die Ökonomen nach, dass das Fed künftig nicht mehr ohne Wertschriftenkäufe (QE) auskommt. Diese halfen vor allem, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Auch eine Politik, die, wie in Japan, die Verzinsung von Staatsanleihen tief hält, hat demnach am Arbeitsmarkt positive Effekte. Bei einer solchen Kontrolle der Zinskurve steigt die Arbeitslosigkeit in der Rezession viel weniger.

Diese Ergebnisse haben die Fed-Politiker beeindruckt, müssen sie doch das Doppelmandat Preisstabilität und Vollbeschäftigung verfolgen. Dagegen sind der Leitzinspolitik Grenzen gesetzt. Das natürliche Zinsniveau ist gemäss Schätzungen führender Wissenschaftler massiv gesunken. Erfahrungsgemäss muss der Leitzins 5 Prozentpunkte fallen, um eine schwere Rezession bekämpfen zu können. Ausgehend vom jetzigen Niveau hätte das Sätze weit unter null zur Folge.

Aber Negativzinsen sind in den USA tabu. Das wurde in Chicago erneut deutlich. Niemand forderte sie, niemand  konnte ihnen etwas Positives abgewinnen. Jonathan Wright erinnerte daran, dass in den USA äusserstenfalls ein Rückgang des Leitzinses auf –0,4% möglich sei.  Modellrechnungen hätten jedoch ergeben, dass die Wirkung am Arbeitsmarkt  und bei den Preisen gering sei. Die USA sollten das Instrument vergessen.

Das Fed wird die Debatte im zweiten Halbjahr fortsetzen. 2020 dürften die Weichen dann neu gestellt werden. Grosse Veränderungen sind nicht zu erwarten. Aber künftig dürfte das Fed toleranter gegenüber mehr Inflation sein. Und QE wird endgültig zum Instrumentarium der amerikanischen Geldpolitik gehören.

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