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17:05 Uhr - 03.06.2022

Versäumnisse rächen sich

Stromversorgung im Winter wird noch wackliger. Kurzfristig ist wenig auszurichten. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Arno Schmocker.

Gross war mancherorts das Erstaunen, als die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) im Herbst vor einer Stromlücke 2025 warnte. Im Extremfall könnte über mehrere Wochen ein Mangel herrschen. Nun droht Stromknappheit bereits im kommenden Winter.

Die unabhängige Überwachungsbehörde nennt dafür zwei Gründe. Beide waren im Herbst noch nicht abzusehen. Fraglich geworden sind die Gaslieferungen aus Russland. Im Fall eines vollständigen Lieferstopps würde es laut Elcom «unausweichlich» zu Bewirtschaftungsmassnahmen kommen, wie es im Behördenjargon heisst. Im Klartext: Der Stromverbrauch würde eingeschränkt und rationiert.

Grösste Importquelle unzuverlässig

Der zu befürchtende Engpass in der Versorgung ist auch der eingeschränkten Stromexportfähigkeit von Nachbarländern geschuldet. Fatal, nicht nur kurzfristig, ist die hohe Abhängigkeit von Frankreich und Deutschland, die nahezu zwei Drittel der Importe liefern. Frankreich ist bis auf weiteres besonders unzuverlässig – derzeit sind wegen Unterhalts- und Kontrollarbeiten über die Hälfte von 56 Kernkraftwerken ausser Betrieb.

Was tun? Guter Rat ist mehr als teuer. Jetzt rächt sich, dass Warnungen über Deckungslücken in der Elektrizitätsversorgung von der Linken, aber letztlich auch von der Landesregierung, seit Jahren in den Wind geschlagen wurden. Auf die Schnelle lässt sich die nötige Zusatzmenge an Stromkapazität nicht bereitstellen.

Dass im Winter die ohnehin beschlossene Hydro-Reserve ein Jahr früher als vorgesehen zum Tragen kommen soll, reicht nicht. Diese sieht vor, dass Speicherkraftwerksbetreiber gegen Entgelt eine bestimmte Menge Energie zurückbehalten, die bei Bedarf abgerufen werden kann. Die für 2025 zusätzlich als Reserve für Notfälle gedachten Spitzenlast-Gasturbinenkraftwerke sind ohnehin noch nicht betriebsbereit.

Neu denken

Ein Glück, kann sich die Schweiz im kommenden Winter voraussichtlich auf eine «normale» Verfügbarkeit der noch vier Kernkraftwerke stützen. Sie decken ein Drittel des Strombedarfs, im Winter sogar bis zur Hälfte.

Die Schweiz hat sich auf mehrere Winter mit wackliger Stromversorgungssicherheit einzustellen. Zum Schlimmsten muss es nicht kommen – aber es kann. Auf gesicherte Importe kann sich das Land auf jeden Fall nicht mehr verlassen.

In der Sicherheitspolitik hat der Ukrainekrieg ein Umdenken provoziert. Nicht so in der Energiepolitik. Der Glaube, der stabile und vor allem wintersichere Strom aus Kernkraftwerken liesse sich allein durch erneuerbare Energie ersetzen, ist in Bundesbern (noch) nicht ins Wanken geraten – wohl aber ein wesentlicher Pfeiler der Energiestrategie 2050, nämlich gesicherte Stromimporte.

Bis zum Ja zur Energiestrategie 2050 vor fünf Jahren (das Verbot neuer Kernkraftwerke war bloss ein Teil davon) hat sich das Volk seit Ende der 1970er-Jahre mit der Ausnahme eines Moratoriums stets gegen den Ausstieg aus der Atomenergie ausgesprochen. Im Licht der geänderten Verhältnisse drängt sich eine neuerliche Befragung auf.

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