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14:53 Uhr - 08.12.2015

«Die Schweizer Börse ist nicht überbewertet»

Gero Jung, Chefökonom von Mirabaud Asset Management, erwartet steigende Zinsen in den USA und empfiehlt Aktien aus der Schweiz, der Eurozone und Japan.

Gero Jung Bild: ZVGHerr Jung, wichtige Frühindikatoren signalisieren, dass die US-Wirtschaft an Schwung verliert. Kommt der vom Markt erwartete Zinsschritt am 16. Dezember zu spät?

Man sollte sich das Mandat der US-Notenbank Fed in Erinnerung rufen. Sie hat zwei Aufträge. Einer davon lautet, die Arbeitslosigkeit nahe dem Gleichgewicht zu halten – hier wurden grosse Fortschritte erzielt.

Und das zweite Mandat?

Das zweite Mandat betrifft die Inflation, und da ist die Sache nicht ganz so klar. Das Fed möchte eine Inflationsrate von 2% erreichen. Aktuell notiert die Kerninflationsrate, also die Teuerung ohne die stark schwankenden Energie- und Nahrungsmittelpreise, bei 1,9%. Ein anderes Mass, der Kerndeflator für die persönlichen Konsumausgaben, liegt bei rund 1,3%. Wir sind also noch unter den avisierten 2%.

Also kommt der Schritt nicht zu spät?

Wir hatten bereits mit einer Zinserhöhung im September gerechnet, als Arbeitslosigkeit und Inflation ungefähr gleich hoch waren. Damals hat das Fed aus anderen – vor allem externen – Gründen auf den Schritt verzichtet. Das war überraschend für uns, aber es scheint ganz klar, dass die Erhöhung jetzt kommen wird. Ist das Fed zu spät? Natürlich gibt es eine Zeitverzögerung, bis die Geldpolitik reagiert. Am 16. Dezember dürfte das Fed jedenfalls mit dem Schritt Ernst machen. Das ist zwar drei Monate später als von uns erwartet, aber zu einem passenden Zeitpunkt.

Kann das Fed von einem Zinsschritt absehen, ohne unglaubwürdig zu werden? 

Das Fed hat schon eine Wahl. Bereits im September waren die Markterwartungen relativ hoch, dass die Zinsen erhöht werden. Doch das Fed sieht den Disinflationsdruck aus China. 20% der US-Importe kommen aus dem Reich der Mitte, wo die Produkte laufend billiger werden. Der zweite Punkt ist der starke Dollar. Handelsgewichtet hat sich der Greenback in einem Jahr rund 20% aufgewertet.

Wie sieht der weitere Zinspfad aus?

Im Markt eingepreist ist jetzt ein Dovish Hike, also ein gemächlicher Zinserhöhungszyklus. Das Fed wird ganz klar kommunizieren, dass es im Januar und März nicht automatisch zu weiteren Zinsschritten kommt. Für uns entscheidend ist die Divergenz zwischen den Erwartungen der stimmberechtigten Fed-Mitglieder über den weiteren Verlauf der Leitzinsen und den Markterwartungen.

Das müssen Sie erklären.

Die Fed-Ökonomen rechnen für die nächsten Jahre mit spürbar höheren Leitzinsen, als der Markt aktuell einpreist. Bis Ende 2016 beträgt die Diskrepanz rund 50 Basispunkte (0,5 Prozentpunkte). Für 2017 ist der Unterschied noch grösser. Unserer Meinung nach werden die Fed-Ökonomen Recht behalten. Zumal nächstes Jahr mehr «Falken» im Fed stimmberechtigt sein werden. Es werden also diejenigen Ökonomen im Gremium an Gewicht gewinnen, die die Zinsen aggressiver anheben wollen.

Was bedeutet das für die Anleger?

Der Dollar dürfte weiterhin – langsam zwar, aber doch spürbar – an Stärke gewinnen. Wir sind deshalb generell optimistisch in Bezug auf den Greenback, und eher zurückhaltend gegenüber amerikanischen Aktien.

Wegen des stärkeren Dollars?

Wegen des Dollars, aber auch aus fundamentalen Gründen. Wenn wir uns die Bewertungen – wie zum Beispiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis – anschauen, so sind sie in den USA bereits auf relativ hohen Niveaus. US-Aktien sind also eher teuer, während sich das wirtschaftliche Umfeld im nächsten Jahr nicht allzu stark verbessern wird. Drittens sprechen die Geld- und Fiskalpolitik gegen amerikanische Valoren.

Nächstes Jahr sind Wahlen.

Genau, im nächsten Jahr finden Präsidentschaftswahlen statt, was historisch gesehen positiv wäre für US-Aktien. Aber die Geldpolitik und die Unsicherheit über den weiteren Zinserhöhungspfad dürften für Verunsicherung sorgen.

Erwarten Sie fallende Kurse?

Wir gehen davon aus, dass die Notierungen stabil bis leicht negativ tendieren werden. Deshalb empfehlen wir unseren Kunden, US-Aktien im Vergleich zur Benchmark unterzugewichten.

Welche Regionen soll man übergewichten?

Die Aktienmärkte der Schweiz, der Eurozone und Japans.

Weshalb?

Es gibt verschiedene Gründe. In der Eurozone ist eine Verbesserung der Konjunktur zu beobachten – das geht manchmal vergessen. Auch wenn das Wachstum moderat bleibt, es verbessert sich. Die EZB ist zudem ein starker Käufer von Anleihen und hat zuletzt die Negativzinsen auf den Depositen erhöht. Damit resultiert praktisch eine Strafsteuer auf das Halten von Bargeld. Das ist positiv für risikobehaftete Anlagen wie Aktien.

Was spricht für die Schweiz? Die Bewertung scheint ja nicht mehr ganz günstig.

Stimmt, aber sie befindet sich auch nicht auf sehr hohem Niveau. Auf Basis des Shiller-KGV, das die Gewinne um die Schwankungen des Konjunkturzyklus bereinigt, notiert der Schweizer Markt bei rund 16 bis 17. In Europa stehen wir bei 13 bis 14. Zum Vergleich: Der US-Markt notiert bei 27, gegenüber dem langjährigen Mittel von rund 16. Die Bewertung des Schweizer Markts bewegt sich also in einem vernünftigen Rahmen.

Welche Renditen sind 2016 zu erwarten?

Für Europa und die Schweiz rechnen wir mit 5 bis 10%, in den USA dürften es nur 0 bis –5% sein.

Profitiert die Schweiz immer noch von der Anlegerpräferenz  für Qualitätsaktien?

Dieser Trend dürfte tatsächlich anhalten. Dafür sprechen auch die Exportzahlen. Der Pharma- und der Chemiebranche geht es vergleichsweise gut. Man darf nicht vergessen: Die Eurozone, der wichtigste Handelspartner der Schweiz, erholt sich. Natürlich hemmt der starke Franken. Aber die Exporte in den Dollarraum – und dazu zählt auch der Nahe Osten – laufen solide. Zudem gilt: Die Nachfrage nach Schweizer Produkten ist tendenziell wenig abhängig vom Preis.

Ist der Aufwertungsdruck für den Franken gebannt, nachdem die EZB zuletzt weniger aggressive Massnahmen verkündet hat?

Wir erwarten, dass sich der Euro-Franken-Kurs weiterhin in der Bandbreite von 1.05 bis 1.10 bewegen wird. Einer stärkeren Abwertung stehen die noch immer ungelösten Probleme in der Eurozone – Stichwort Griechenland – und politische Risikofaktoren wie die Wahlen in Spanien im Weg.

Und in Grossbritannien wird über den «Brexit», den Austritt aus der EU, debattiert.

Ein Brexit wäre gerade auch für den britischen Dienstleistungssektor, zu dem die Finanzbranche zählt, von grosser Tragweite. Allerdings lassen sich solche politischen Ereignisse nur schwer voraussagen.

Schwellenländeraktien bleiben seit Jahren zurück. Ist Besserung in Sicht?

Man muss differenzieren. Seit bald fünf Jahren schwächen sich in den aufstrebenden Volkswirtschaften die Wachstums-, aber auch die Inflationsraten ab. Die Einkaufsmanagerindizes stehen weiterhin auf Kontraktion. Insgesamt sieht es nicht gut aus. Dazu kommt die stark gestiegene Dollarverschuldung von EmMa-Unternehmen. Eine Zinserhöhung in den USA könnte hier schwerwiegende Folgen haben. Dieses Risiko wird unterschätzt.

Gilt also weiterhin Finger weg?

Wichtig ist, dass die Unternehmen und nicht die Staaten in Dollar verschuldet sind. Es droht also kein Szenario mit Staatsbankrotten wie 1998/1999. Es sind vor allem Firmen aus Brasilien, Chile, Südafrika und der Türkei, die Schulden in ausländischer Währung angehäuft haben. Wenn ich Unternehmer bin und Einnahmen in lokaler Währung erwirtschafte, meine Schuldzinsen aber in Dollar begleichen muss, wird es schwierig, wenn dieser steigt. Denn die Zinszahlungen werden immer teurer, während die Einnahmen in Lokalwährung unverändert sind

Wo lauern Gefahren, wo Chancen?

Wir sind sehr, sehr pessimistisch in Bezug auf Lateinamerika. Mexiko steht vielleicht etwas besser da. Aber die Meinung, in Brasilien könne es nicht mehr schlimmer werden und das Land sei deshalb langsam wieder interessant, teilen wir nicht. Wir bevorzugen Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen und geringem Inflationsdruck. Dazu gehören China, Südkorea und Taiwan. Indien und Russland stufen wir negativ bis neutral ein.

Droht kein Überschwappen der Krise aus den Schwellenländern nach Europa?

Grundsätzlich ist das nicht auszuschliessen. Aber die jüngsten Umfragewerte aus Deutschland zeigen, dass die Unternehmen recht optimistisch sind. Das negative Szenario bezüglich China teilen wir nicht. Wir rechnen mit einem Wachstum von gegen 6,5% für das kommende Jahr.

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