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16:19 Uhr - 20.10.2014

«Wir bevorzugen Banken in Peripheriestaaten»

Laurent Denize, Co-Chief-Investment-Officer von Oddo Asset Management, verrät im Interview mit FuW, wo er in Europa investiert.

Herr Denize, wie beurteilen Sie den Zustand der europäischen Wirtschaft sowie die Wirkung des EZB-Massnahmenpakets?
Die Massnahmen haben bereits positive Wirkung entfaltet. Das Kreditumfeld wird besser, und die Eurozone steckt nicht mehr in einer Kreditklemme. Zwei grosse Probleme bleiben allerdings bestehen: Einerseits ist das Risiko einer Disinflation respektive einer Deflation gewachsen. Andererseits ist der Kreditfluss in die Realwirtschaft weiterhin gestört. Das wirkt sich – anders als in den USA – in Europa besonders tiefgreifend aus, weil hier rund 80% der Kredite über den Bankensektor führen. EZB-Chef Mario Draghi tut also gut daran, das Problem über das Bankensystem anzugehen.

Die erste Angebotsrunde der zielgerichteten EZB-Refinanzierungsgeschäfte, der TLTRO, fiel aber ziemlich enttäuschend aus.
Die TLTRO stellen eine sehr wirkungsvolle Massnahme dar. Aber man darf die in der ersten Runde aufgenommenen 82,6 Mrd. € nicht als Indikator für den langfristigen Erfolg betrachten. Die Partizipation der Banken wird steigen. Wenn man so günstig Kapital aufnehmen kann, lässt sich damit definitiv irgendwo eine attraktive Investitionsrendite erzielen.

Laurent Denize«Für Anleger heisst es vorläufig ‹go west›.» Bild: ZVGDie EZB hat sich mit den jüngsten Massnahmen vor allem Zeit gekauft. Jetzt müssen in vielen EU-Staaten tiefgreifende Reformen folgen. Wie präsentiert sich in dieser Hinsicht die Lage in Sorgenkindern wie Frankreich, Italien und Spanien?
Spanien hat es erfolgreich geschafft, über tiefere Lohnstückkosten und eine höhere Produktivität die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und internationale Investitionen anzuziehen. Das ist in Frankreich und Italien nicht der Fall. Wird sich dies bald ändern? Ich bin mir da nicht so sicher. In Frankreich blinken alle Warnlichter rot auf. Etwa ist der Beitrag der Investitionen zum BIP-Wachstum stark negativ. Das bedeutet, dass zurzeit nicht produktiv investiert wird, was das künftige Wachstum belastet. Gleichzeitig ist die Sparquote nach oben geschossen. Das lässt darauf schliessen, dass von einer weiteren Wirtschaftsabschwächung ausgegangen wird.

Welche Gegenmassnahmen sollte Frankreich denn konkret ergreifen?
Es sind dringend strukturelle Reformen notwendig. Zum Beispiel müssen die Unternehmenssteuern deutlich gesenkt werden. Das ist eines der Ziele des «pacte de responsabilité», des Pakts der Verantwortung. Das heisst aber auch, dass das Haushaltsdefizit weiterhin hoch bleibt – und Brüssel darüber kaum erfreut sein wird.

Wie dürfte die Reaktion der EU ausfallen?
Ich gehe davon aus, dass – angesichts des Verstosses gegen die Regeln des Stabilitätspakts – das französische Budget von Brüssel zurückgewiesen wird und überarbeitet werden muss. Weitere Einsparungen von 8 bis 10 Mrd. € dürften nötig sein.

Wird das französische Volk die Massnahmen schlucken?
Ich denke, die Bevölkerung Frankreichs ist sich der Tragweite der Probleme durchaus bewusst und wird deshalb bereit sein, tiefgreifende Massnahmen zu akzeptieren. Was sie allerdings bestimmt nicht will, sind Steuererhöhungen, sondern Reduktionen auf der Ausgabenseite.

Wo würden Sie den Investitionsfokus setzen? In einem höher bewerteten US-Aktienmarkt, wo sich die Wirtschaft solider entwickelt? Oder im günstigeren Europa, das dafür makroökonomische Probleme hat?
Der US-Aktienmarkt ist zwar teuer. Gemessen an den von uns betrachteten Frühindikatoren liegt das Momentum aber auf seiner Seite. So sind die Einkaufsmanagerindizes nach oben geschossen, ohne dass sich das in den erwarteten Gewinnen pro Aktie niedergeschlagen hätte. Auch denken wir, dass die US-Unternehmen in der laufenden Berichtssaison mehrheitlich positiv überraschen werden. Ein konträres Bild präsentiert sich dagegen in Europa: Hier sind die Frühindikatoren stark gefallen. Deshalb heisst es für die Anleger vorläufig «go west».

Wie nachhaltig ist das Gewinnwachstum in den USA? Die positive Entwicklung scheint auch auf kosmetische Massnahmen wie Aktienrückkäufe zurückzuführen zu sein.
Tatsächlich dürften in den USA allein 2014 rund 900 Mrd. $ über Dividenden und Aktienrückkäufe ausgeschüttet werden. Das entspricht 95% aller erwirtschafteten Unternehmensprofite. Sind das erfreuliche Nachrichten? Ja – wenn es denn darum geht, die Kurse weiter nach oben zu treiben. Ist es aber ein gutes Signal für das künftige Wachstum? Ich glaube kaum.

Auf wann erwarten Sie die erste Zinserhöhung der US-Notenbank Fed, und wie dürften die Aktienmärkte reagieren?
Im Gegensatz zu Europa stehen in den USA praktisch alle Lichter auf Grün. Die Frage ist deshalb: Was hält das Fed davon ab, die Zinsen bereits früher anzuheben? Wir sehen zwei Gründe: Zwar ist die Arbeitslosenrate in den USA jüngst unter 6% gefallen. Rechnet man allerdings die unfreiwilligen Teilzeitjobs dazu, liegt die Quote weiterhin 4 Prozentpunkte über dem Vorkrisenniveau von 2007. Zudem steigen die Löhne als wichtiger Vorlaufindikator kaum. Die Zinsen dürften deshalb nicht schon im März, sondern erst im Juni 2015 erhöht werden. Wir werden also wohl noch rund neun Monate eine sehr lockere US-Geldpolitik erleben – selbst wenn es keine Aufkäufe mehr von Staatspapieren oder besicherten Anleihen durch das Fed gibt. Das ist gut für risikoreichere Anlageklassen und Sparer, die im US-Aktienmarkt übergewichtet bleiben.

Trotz der schwierigen Lage: Welche Investmentstrategie verfolgen Sie in Europa?
Noch zu Jahresbeginn fokussierten wir auf binnenmarktorientierte Gesellschaften und versuchten so, von sinkenden europäischen Systemrisiken zu profitieren. Dieses Marktgefüge hat sich im Sommer umgedreht. Dazu haben sowohl die Ukrainekrise als auch schwache Makroindikatoren beigetragen. Seither haben sich erfolgreiche exportorientierte Valoren deutlich besser entwickelt. Wir empfehlen, diesem Trend vorerst zu folgen.

Welche europäischen Titel würden Sie im aktuellen Umfeld empfehlen?
Wir halten Aktien aus dem Immobiliensektor wie Unibail-Rodamco für attraktiv. Wegen der lockeren EZB-Geldpolitik dürfte das Zinsniveau noch längere Zeit tief bleiben. Das Immobiliengeschäft kann deshalb als Carry Trade angesehen werden: Die Rendite im französischen Geschäftsimmobiliensektor beträgt rund 6,5%. Die Zinsen zehnjähriger französischer Staatsanleihen liegen derweil nahe 1,5%. Die Differenz macht also 5 Prozentpunkte aus. Zudem hat der Sektor die Verschuldung nach der Finanzkrise kräftig abgebaut. Damit verfügen die Unternehmen wieder über einigen Spielraum, den Fremdkapitaleinsatz zu erhöhen.

Sehen Sie weitere Anlagechancen?
Wir empfehlen auch, in den Bankensektor zu investieren. Er dürfte definitiv von den EZB-Massnahmen profitieren. Lange waren die Finanzinstitute gezwungen, ihre Bilanzen zurückzufahren. Jetzt sind sie wieder in der Lage, den Verschuldungsgrad aufzustocken. Damit dürften sich die Margen erhöhen – selbst wenn der Druck vonseiten der Regulierungsbehörden vorerst bestehen bleibt.

Präferieren Sie denn Banken der Kernzone oder der EU-Peripherie?
Wir würden Banken in den Peripheriestaaten bevorzugen, dabei aber vornehmlich auf bereits gut kapitalisierte Institute wie Intesa Sanpaolo (ISP 2.264 4.04%) setzen. Denn es gibt übliche Verdächtige wie etwa die Banca Monte dei Paschi di Siena, die zur Kapitalaufnahme gezwungen sein dürfte. Bei diesen Banken ist der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen, um zu investieren.

Sollte man denn die Resultate des Bankenstresstests abwarten, deren Publikation auf nächstes Wochenende angesetzt ist?
Man muss die Ergebnisse nicht abwarten. Angesichts der engen Kooperation zwischen dem Finanzsektor und der EZB gehen wir davon aus, dass es keine grossen Überraschungen geben wird – allerhöchstens bei den sehr kleinen Instituten.

Welche Sektoren empfehlen Sie sonst?
Wir setzen jetzt auf taktisch übergewichtete zyklische Unternehmen, beispielsweise aus dem Automobilsektor. So empfehlen wir etwa Volkswagen (VOW 189.8 3.38%) zum Kauf. Die Titel weisen zurzeit ein attraktives Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter 7 auf. Auch profitiert der Konzern von seiner geografischen Diversifikation und dem sich abschwächenden Euro.

Gibt es andere attraktive Zykliker?
Der Reifenhersteller Michelin (ML 70.38 0.54%) dürfte ebenfalls davon profitieren, wenn der Euro sinkt und die Weltwirtschaft anzieht.

Sehen Sie weitere Opportunitäten?
Attraktiv ist auch Orpea, eine französische Gesellschaft, die Pflegeheime betreibt. Das Geschäft mit der Altenpflege dürfte deutlich an Schwung gewinnen. Der Markt ist noch ziemlich fragmentiert, konsolidiert sich aber zunehmend.

Gibt es Segmente, die Sie als zu teuer erachten und deshalb meiden würden?
Wir sind der Meinung, dass der Healthcare-Sektor mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis zwischen 17 und 23 überbewertet ist. Hier würden wir empfehlen, Profite mitzunehmen.

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