Schweizer Unternehmen brauchen keine staatliche Industriepolitik. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Arno Schmocker.
Als die Coronakrise ausbrach im Frühjahr 2020, waren viele Unternehmen froh um kurzfristige Finanzhilfe vonseiten des Staates. Besonders das Instrument der Kurzarbeit wurde rege genutzt und hat sich als sinnvoll erwiesen. Es trug dazu bei, in einer zunächst völlig unübersichtlichen und ungewissen Situation Arbeitsplätze zu erhalten. Die Wirtschaft hat sich seither weit rascher gefangen als damals angenommen. Die dynamische Erholung war auch eine Folge davon, dass die Schweiz keine staatliche Industriepolitik betreibt.
In Coronazeiten indessen könnte diese salonfähig werden, warnt Avenir Suisse in einer am Freitag veröffentlichten Studie. Ein Kernbefund ihrer Analyse lautet: Die Schweizer Industrie floriert, ein weiterer Schub in der Deindustrialisierung ist entgegen den Befürchtungen nicht festzustellen. Trotz wachsendem Kostendruck und raschem technologischen Wandel ist die Zahl der Arbeitsplätze gemäss dem liberalen Think Tank in den vergangenen zwei Jahrzehnten stabil geblieben. Gleichzeitig haben sich die Exporte verdoppelt. Produktivität und Wertschöpfung der Industrieunternehmen sind gestiegen – und erst noch mehr als in umliegenden Ländern wie Frankreich, die im sekundären Sektor gern mal dirigistisch eingreifen.
In der Schweiz hat der Strukturwandel insgesamt nicht zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Gewicht der Branchen und Wesen der Arbeit haben sich allerdings stark gewandelt. Pharma sowie Uhren- und Elektronikindustrie haben einen grossen Anteil am Erfolg: Gemäss der Studie erwirtschafteten sie 2019 jeden vierten Franken von zehn, doppelt so viel wie 1997. Die Pharmaindustrie hat doppelt so viele Stellen geschaffen, wie in der Chemie verloren gegangen sind, während die Uhren-, die Elektro- und die Medizintechnik massgeblich dazu beigetragen haben, dass der Jurabogen reindustrialisiert wurde.
Mit Blick auf die Umschichtung der Arbeit spricht Avenir von einer «Tertiärisierung» des verarbeitenden Sektors. Zur Spezialisierung und zum hohen Automationsgrad kommt ein wachsender Anteil von Dienstleistungen für die Kunden hinzu. Dazu zählen etwa Reparaturen, Ersatzteile, Wartung von Produkten und Anlagen sowie digitale Lösungen. Kaum ein kotiertes Unternehmen, das die Steigerung des Serviceanteils nicht in die strategischen Ziele integriert hätte. IPO-Kandidat Skan ist ein gutes Beispiel hierfür (vgl. Seite 7). Für Investoren interessant: Dienstleistungen versprechen höhere Profitmargen und einen stetigeren Strom von Einnahmen.
Die Schweizer Industrie hat stets eine hohe Anpassungsfähigkeit bewiesen. Unter dem weitgehenden Verschwinden der Textilfertigung und dem Niedergang der Papierindustrie etwa hat sie insgesamt nicht gelitten. Auch wenn Corona die Umformung der Wirtschaft beschleunigen wird: Eine strukturerhaltende Industriepolitik ist langfristig kontraproduktiv. Der Staat sollte vielmehr für bessere Rahmenbedingungen besorgt sein und Grundlagenforschung für neue Technologien fördern.
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