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17:00 Uhr - 02.09.2021

Die Schweiz wächst wieder

Im zweiten Quartal hat sich die Wirtschaft auf breiter Front erholt. Die Wertschöpfungseinbussen durch die Coronapandemie sind nun fast wettgemacht.

Die erste offizielle Schätzung des Schweizer Bruttoinlandprodukts für das zweite Quartal liefert ein solides Ergebnis. Real nahm es 1,8% gegenüber dem ersten Quartal zu. Wird das BIP um die Einnahmen aus sportlichen Grossveranstaltungen, primär der Fifa und des IOC, bereinigt, resultieren 1,6% Wachstum. Damit befindet sich die gesamtwirtschaftliche Wirtschaftsleistung 7,7% über dem Niveau des Vorjahrs (+7,6% ohne Sportevents).

Wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mitteilt, ist das Ergebnis vor allem durch eine starke Erholung des Dienstleistungssektors geprägt respektive der privaten Konsumausgaben. Denn im Berichtszeitraum wurden die Coronamassnahmen gelockert. Die Wirtschaft fasste erneut Fuss, der aufgestaute Bedarf konnte endlich wieder gedeckt werden.

Aufholjagd der Dienstleistungsbranchen

Vom Dienstleistungssektor kam ein Beitrag in Höhe von 1,7 Prozentpunkten zum BIP-Wachstum. Ein noch stärkerer Impuls sei seit Beginn der Datenerhebung 1980 nur im Zuge der Lockerungen nach der ersten Covid-Welle im dritten Quartal 2020 verzeichnet worden, teilt das Seco mit.

Mit Ausnahme der Finanzdienste, die von einem schwachen Zinsgeschäft gebremst wurden, verzeichneten alle Dienstleistungsbranchen ein Wertschöpfungsplus. Das Gastgewerbe schloss mit +49% ausserordentlich stark ab, was aber allein auf den Basiseffekt zurückzuführen ist, nach den Schliessungen in der Vorperiode. Tatsächlich lag die Wertschöpfung im zweiten Quartal immer noch 60% unter dem Vorkrisenniveau.

In der Industrie dominiert die Pharmaproduktion. Das übrige verarbeitende Gewerbe bekam bereits die ersten Auswirkungen der weltweiten Lieferengpässe zu spüren. Die Wertschöpfung verringerte sich leicht gegenüber dem Vorquartal. Aber insgesamt übersteigt sie das Vorkrisenniveau um knapp 2%.

Im Baugewerbe setzte sich die Seitwärtsbewegung fort (–0,3% gegenüber dem Vorquartal), die Bauinvestitionen (+0,1%) liegen leicht über dem Niveau vor Ausbruch der Pandemie. Vor allem der Wohnungsbau legte zu, dank rekordtiefer Zinsen und der in der Coronakrise gestiegenen Nachfrage nach Immobilieneigentum. Gemäss Seco leistete der Sekundärsektor insgesamt einen Beitrag zum BIP-Wachstum, der dem historischen Mittel entspricht.

Staatsausgaben rekordhoch

Der markant gestiegene Beitrag am BIP-Wachstum durch die Konsumausgaben lässt sich zu drei Vierteln auf den privaten Verbrauch zurückführen. Hier spiegelt sich der Aufholprozess nach dem markanten Rückgang im Winter. Die Privathaushalte zögern weiterhin bei grösseren Anschaffungen, insgesamt hat sich die Konsumentenstimmung jedoch stark aufgehellt, auch dank der zuversichtlichen Aussichten am Arbeitsmarkt.

Ein Viertel des Beitrags des Konsums zum BIP-Wachstum stammt von den staatlichen Ausgaben. Hier wirken sich u.a. die Ausweitung der Coronatests und die breitflächige Impfkampagne aus. Der Zuwachs ist rekordhoch – aber voraussichtlich vorübergehender Natur.

Bereit für den Gegenwind aus dem Ausland

Der Quartalsausweis des BIP belegt, dass die Schweizer Wirtschaft die Coronarezession nicht nur schnell verlassen hat, sondern der Aufschwung breit abgestützt ist. Auch im internationalen Vergleich kann er sich sehen lassen. Im zweiten Quartal befand sich das reale BIP lediglich noch 0,3% unter dem Stand des Schlussquartals 2019. Im direkten Vergleich schneiden nur die USA besser ab. Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin, erwartet, dass die Wirtschaft im dritten Quartal im gleichen Tempo weiterwächst.

Alexander Koch, Konjunkturexperte bei Raiffeisen, ist sich dessen nicht so sicher. Er verweist auf den wöchentlichen Aktivitätsindikator des Seco, der sich abgeflacht hat, und folgert: Der blitzartigen Erholung sei zur Jahresmitte schnell die Luft wieder ausgegangen. Jan-Egbert Sturm, Leiter der Kof-Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, warnt allerdings trotz der sich abflachenden Konjunkturindikatoren im Interview mit «Finanz und Wirtschaft» vor zu viel Pessimismus. Die Erholung sei breit abgestützt.

Die am Donnerstag veröffentlichten BIP-Daten in Kombination mit dem überdurchschnittlichen Ausweis des Einkaufsmanagerindex PMI und des Kof-Barometers unterstreichen, dass die Schweiz gut gewappnet ist gegen die Tempoverlangsamung, die diesen Herbst in Europa ansteht.

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