Yerlan Syzdykov, Leiter Schwellenmärkte bei Amundi, sieht dank des Erholungskurses in China gute Einstiegsmöglichkeiten im dortigen Aktienmarkt.
Herr Syzdykov, riskante Anlagen – auch die aus Schwellenländern – haben sich seit Anfang Jahr rapid erholt. Ist die Rally nur stimmungsgetrieben?
Der positive Ausblick für die Schwellenländer basiert auf fundamentalen Faktoren. Die Wachstumsdifferenz zwischen Schwellen- und Industrieländern hat zugenommen. Diese Verbesserung zeigt sich nun früher, als wir erwartet hatten.
Was ist der Grund für diese Verbesserung?
Ein Faktor ist die Zinspolitik im Westen. Es ist jetzt offensichtlich, dass die Zentralbanken die Geldpolitik locker halten. Die Erwartung höherer Zinsen hatte zuvor die Schwellenländeranlagen belastet. Mit steigenden US-Zinsen hätte sich der Dollar aufgewertet. Dieser Ausblick hatte US-Vermögenswerte im Vergleich zu den Schwellenländern attraktiv erscheinen lassen. Durch die geldpolitische Wende haben nun Vermögenswerte ausserhalb der USA an Attraktivität gewonnen.
Aber die Zentralbanken haben die Zinserhöhungen abgeblasen, weil sie die Wachstumsdynamik pessimistischer einschätzen. Sind die Märkte angesichts dieses Ausblicks nicht zu positiv gestimmt?
Nach der Kursrally stellt sich die Frage, ob man den Einsatz vom Tisch nehmen sollte. Aber wir sind immer noch optimistisch, da es neben einer lockereren Geldpolitik zwei weitere positive Faktoren gibt. Zum einen glauben wir nicht, dass alle guten Nachrichten über die Lösung des Handelsstreits zwischen den USA und China eingepreist sind. Zweitens erholt sich die chinesische Konjunktur. Im Januar sah es noch nach einer Verlangsamung aus. Das wurde dank eines grossen fiskalischen und monetären Stimulus vermieden.
Sie machen sich gar keine Sorgen um die Schwellenländer?
Es gibt länderspezifische Risiken. Die politischen und wirtschaftlichen Spannungen in Argentinien und in der Türkei spiegeln sich nicht vollständig in den Marktpreisen. Wenn sich die Situation verbessert, könnte es an der Zeit sein, diese Märkte wieder zu betreten – aber dafür muss man geduldig warten. Es gibt auch Fragezeichen zu anderen grösseren Volkswirtschaften.
An welche Märkte denken Sie?
An Mexiko und Brasilien. Von der mexikanischen Regierung kommen gemischte Signale. Es ist nicht klar, wie sich die Politik dort auf die Märkte auswirken wird. In Brasilien scheint der anfängliche Optimismus der Anleger für den neuen Präsidenten Jair Bolsonaro zu extrem gewesen zu sein. Es noch lange nicht sicher, ob er die Haushaltsdisziplin wie ursprünglich erhofft umsetzen wird.
Welche anderen Risiken sehen Sie?
Das Wachstum in den Industrieländern verlangsamt sich. Diese Verlangsamung könnte möglicherweise in eine Rezession umschlagen. Wenn eine grosse Volkswirtschaft wie die USA in eine Rezession gerät, beeinträchtigt das die Vermögenspreise weltweit, einschliesslich der Schwellenländer. Aber eine Rezession ist nicht unser Hauptszenario. Wir waren von dem schwächeren Wachstum in der Eurozone überrascht, gehen aber davon aus, dass es im Laufe dieses Jahres wieder aufwärtsgehen wird mit der Konjunktur in der Währungsunion. Für die USA erwarten wir eine leichte Abschwächung in der zweiten Jahreshälfte. Für die Schwellenländeranlagen ist dies aber kein grosses Problem – wenn sie ihren Vorsprung beim Wirtschaftswachstum halten können.
Wie setzen Sie den positiven Ausblick für die Schwellenländer um?
Aktien bieten die beste Entschädigung für das eingegangene Risiko, da die Bewertungen an den Börsen die Erholung des chinesischen Wachstums und erfolgreiche Handelsverhandlungen zwischen den USA und China noch nicht reflektieren. Bei festverzinslichen Papieren sehen die Risikoaufschläge fair aus, was bedeutet, dass man keine signifikanten Kursgewinne durch eine Einengung der Spreads erwarten darf. Der höhere Coupon hingegen ist eine Ertragsquelle. Anleihen in lokaler Währung könnten besser laufen, da sich auch die Zentralbanken der Schwellenländer tendenziell auf einem Pfad der geldpolitischen Lockerung befinden. Aber Aktien sind aus Sicht des Risiko-Rendite-Verhältnisses attraktiver.
Der Markt findet an Anleihen derzeit ebenso Gefallen. So war die Bond-Emission von Saudi Aramco stark überzeichnet.
Als Schwellenmarktspezialisten haben wir die Saudi-Aramco-Anleihen aus der Perspektive des Länderrisikos betrachtet. Denn der saudische Staat hält ja die volle Kontrolle. Die Regierung entscheidet über die Dividende und die strategische Ausrichtung des Unternehmens. Wir verlangen bei so einer Emission einen positiven Risikoaufschlag gegenüber Staatsanleihen. An der Auktion haben sich jedoch Investoren beteiligt, die die Anleihe aus einer Ratingperspektive betrachtet haben: Für sie war es entscheidend, dass die Anleihe eine Rendite von 30 bis 40 Basispunkten über Anleihen ähnlich bewerteter Unternehmen geboten hat.
An welche Art von Investoren denken Sie?
Es waren viele Anleiheninvestoren und Fonds aus den USA darunter, die über verschiedene Anlageklassen hinweg investieren. Einige von ihnen erwarteten wahrscheinlich, dass sie die Anleihen kurz nach der Emission an andere Investoren verkaufen könnten. Es gibt auch Hinweise, dass die Banken in der Region versucht haben, die Orderzahl möglichst hoch erscheinen zu lassen, um die Rendite nach unten zu drücken. Das waren keine guten Voraussetzungen: Die Anleihe hat sich nach der Emission trotz der Überzeichnung nicht gut entwickelt.
Wie beurteilen Sie die Währungen der Schwellenländer?
Da die US-Notenbank die Zinsen nicht erhöht, wird der Dollar nicht so stark sein, wie zuvor erwartet wurde. Das ist positiv für die Schwellenländerwährungen. Aber angesichts der historisch hohen Volatilität scheinen Währungen nicht das ideale Mittel für Anleger zu sein, sich gegenüber Schwellenländern zu exponieren.
Welche Aktienmärkte bevorzugen Sie?
Man kann die Rolle Chinas nicht überbewerten. Ein Treiber für die dortige Aktienperformance ist technischer Natur: die Aufnahme von A-Aktien in die wichtigen Indizes. Die Indexinklusion bietet auch an den Börsen der Golfstaaten eine einzigartige Chance. Der Mittelzufluss könnte Kursgewinne im zweistelligen Prozentbereich ermöglichen. Die Börsen in Indien und Indonesien könnten positiv reagieren, wenn die Phase der Unsicherheit über die kommenden Wahlen endet.
Welche Art von Aktien mögen Sie in China?
Der Immobiliensektor ist attraktiv, da die Regierung die Bauwirtschaft zur Ankurbelung der Wirtschaft braucht. Attraktiv erscheinen auch andere zyklische Sektoren wie Konsum, Banken sowie Unternehmen, die in die industrielle Lieferketten integriert sind. Auch Automobilvaloren profitieren enorm von den fiskalpolitischen Massnahmen. Daneben investieren wir in Internettitel, die von den internationalen Spannungen an der Technologiefront profitieren.
Warum sollte es positiv sein, dass der Westen chinesischen Technologieunternehmen zunehmend misstraut?
Der Protektionismus im Technologiesektor nimmt zu. Dies hilft Unternehmen, die den heimischen Markt in China bedienen. Ich erwähne hier keine Einzeltitel, aber denken Sie an Firmen, die für chinesische Verbraucher ein ähnliches Angebot wie Amazon (AMZN 1901.75 -1.14%) offerieren.
Ausländische Anleger könnten aufgrund der früheren Boom-and-Bust-Zyklen zögern, in chinesische Aktien zu investieren.
Phasen extremer Volatilität gehören dazu. Der Grund dafür ist, dass der inländische Aktienmarkt nach wie vor von Privatanlegern geprägt wird. Sie spekulieren eher, statt sich auf Fundamentaldaten zu verlassen. Als institutioneller Investor konzentrieren wir uns jedoch hauptsächlich auf die Fundamentaldaten und weniger auf kurzfristige Trends und Bewegungen. In diesem Markt muss man analytisch vorgehen und sehr diszipliniert sein.
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