Das langjährige Niedrigzinsumfeld hat den massiven Aufbau von Verbindlichkeiten begünstigt. Doch langsam, aber sicher mehren sich Zeichen einer Trendwende.
Seit vielen Jahren fluten die Zentralbanken die Finanzmärkte mit billiger Liquidität. Die Folgen sind an allen Ecken und Enden zu erkennen: Nicht nur wird die Hausse an den Aktienbörsen massgeblich von der Kapitalinfusion angekurbelt. Auch haben viele Unternehmen das Niedrigzinsumfeld dazu genutzt, ihre Bilanzen mit günstigem Fremdkapital aufzupumpen – und das meist stärker, als es der Geschäftsverlauf eigentlich gerechtfertigt hätte. Kein Wunder, deuten diverse Indikatoren darauf hin, dass sich die Bilanzqualität allgemein verschlechtert hat. Dies sind keine guten Voraussetzungen, sobald es zu einer Normalisierung der Geldpolitik kommt und die Zinsen wieder zu steigen beginnen.
Die globalen Verbindlichkeiten notieren inzwischen deutlich höher als im Vorfeld der Finanzkrise 2008/09 – sowohl im Unternehmenssektor als auch bei den Staats- und Privathaushalten. Dies gilt nicht nur auf absoluter Basis, sondern auch im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung: Gemessen am globalen Bruttoinlandprodukt (BIP) notieren die Konzernschulden inzwischen bei 92% – gegenüber 77% anno 2007. Bei den Staatshaushalten ist die Differenz noch grösser.
Schlechtere Bilanzqualität
Allerdings sind regionale Unterschiede zu erkennen. So scheint sich die Bilanzqualität gerade bei US-Unternehmen eingetrübt zu haben. Das zeigt sich unter anderem im Verhältnis zwischen der Nettoverschuldung und dem Ebitda (Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisation): Laut einer Studie der Deutschen Bank notiert der Durchschnitt (Median) im Leitindex S&P 500 auf einem Fünfzig-Jahre-Höchst. Da die Zinsen immer noch äusserst tief liegen, schlägt sich die Schuldenlast vorerst kaum in den Kosten nieder. Die Frage ist freilich, was passiert, wenn es zu einem deutlichen Anstieg der Zinsen kommt.
Weniger extrem präsentiert sich die Situation derweil in Europa und in Japan, wo die Unternehmen eine grössere Bilanzdisziplin an den Tag gelegt haben. Zudem dürfte sowohl die Europäische Zentralbank als auch die Bank of Japan die Geldschleusen länger offen halten als ihr amerikanisches Pendant.
Den Warnfinger hob jüngst die Ratingagentur Standard & Poor’s, die in einer Studie rund 13 000 globale Bondemittenten analysierte: Der Anteil hochverschuldeter Unternehmen – definiert über ein Verhältnis zwischen Verschuldung und Ebitda von mehr als 5 – liegt inzwischen bei 37%. Das ist zwar leicht tiefer als 2016, jedoch fünf Prozentpunkte höher als 2007. «Sinkende Vermögenswerte sowie ein Entzug der Liquidität stellen bedeutende Risiken dar», kommentieren die Autoren die Resultate. Sollte dieses Szenario tatsächlich eintreten, dürften angesichts des hohen Verschuldungsgrads die Ausfallraten signifikant steigen.
Die Folgen der lockeren Geldpolitik werden auch bei den Hochzinsanleihen (High-Yield-Bonds) sichtbar, die Edward Altman als wichtiges Frühwarnsignal betrachtet. Ein Blick auf die vergangenen vierzig Jahre zeigt, dass ein deutliches Schuldenwachstum jeweils in einem Anstieg der Ausfallraten mündete. Nicht so im aktuellen Marktumfeld: Obwohl in den USA die Konzernverschuldung im Vergleich zur Wirtschaftsleistung einen neuen Rekord markiert, notieren die Ausfallraten von High-Yield-Anleihen auf vergleichsweise geringem Niveau.
Ein ähnliches Bild geben die Risikoaufschläge (Spreads) zu den US-Staatsanleihen ab, die im langjährigen Vergleich in tiefen Regionen verharren. Wie Standard & Poor’s geht auch die konkurrierende Ratingagentur Moody’s davon aus, dass die aussergewöhnlich tiefen Zinsen und die Liquiditätsinfusion der Zentralbanken die übliche Wechselwirkung ausgesetzt hat.
Erste Risse sichtbar
Ewig kann sich dieser Zustand allerdings nicht fortsetzen. Denn irgendwann sind die Zentralbanken gezwungen, die Unterstützung einzustellen. Schon jetzt scheinen sich erste Risse im Marktgefüge zu bilden. So weist etwa Edward Altman darauf hin, dass sich die Ausfälle in den USA über die letzten Wochen gehäuft haben.
Auch Morgan Stanley kommt in einer aktuellen Studie zum Schluss, dass der Kreditzyklus an einem Wendepunkt steht. So sei das Volumen an Distressed Bonds – Ramschanleihen, die gegenüber Staatsanleihen eine Risikoprämie (Spread) von mehr als 1000 Basispunkten aufweisen – innerhalb eines Jahres deutlich gewachsen.
Noch im März 2017 standen Anleihen im Wert von etwa 40 Mrd. $ kurz vor dem Konkurs. Inzwischen notiert das Volumen bei 55 Mrd. $ – mit einer Häufung in den Sektoren Telecom und Energie. Im laufenden Jahr dürfte die Kreditausfallrate zwar noch gering bleiben, schreiben die Analysten. Doch: «Das Marktumfeld wird sich in sechs bis zwölf Monaten fundamental ändern.»
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