Vor hundert Jahren kam Nelson Mandela zur Welt. Er kämpfte gegen die Apartheid, siegte nach langer Gefangenschaft – und zeigte sich weise und versöhnlich.
An einem Wintertag im Mai 1994 donnerte das Elitegeschwader der südafrikanischen Luftwaffe im Tiefflug über die Hügel von Pretoria. Als die Maschinen den Regierungssitz oberhalb der Landeshauptstadt erreichten, wippten die (weissen) Piloten für einen Augenblick mit den Flügeln ihrer Kampfjets, um ihren dort gerade vereidigten neuen Oberbefehlshaber zu grüssen: Nelson Mandela. Dieselben Piloten, die unter der Apartheid die Widerstandskämpfer seines Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in den Nachbarstaaten bombardiert hatten, schworen nun dem ersten schwarzen Präsidenten von Südafrika ihre Treue und Loyalität.
Jedem, der das Manöver verfolgte, war dessen Bedeutung bewusst: Mehr als alles andere symbolisierten die zum Gruss geneigten Tragflächen den Moment, in dem die weisse Minderheit nach fast 350 Jahren Alleinherrschaft ihre Macht in schwarze Hände legte – und die Rassentrennung am Kap offiziell zu Ende ging. Es war auch der Höhepunkt im langen Leben des Nelson Mandela, der am 18. Juli dieses Jahres hundert Jahre alt würde.
Während seiner fünf Präsidentschaftsjahre, die auf die Vereidigung folgten, beeindruckte vor allem, wie natürlich Mandela den Mantel der Macht nach den 27 Jahren der Gefangenschaft trug. Sie war erst 1990 zu Ende gegangen. Mandelas Ausstrahlung fusste nicht darauf, dass er die grosse Bühne suchte, sondern dass er sich nicht übermässig ernst nahm. Das Geheimnis seiner Macht bestand darin, dass er sie nicht dauernd suchte.
Mandelas Gabe, auch einfache Zeitgenossen und politische Gegner wertzuschätzen, galt als seine vielleicht grösste Stärke. Erst diese «Kunst der Verführung» ermöglichte es ihm auch, die scheinbar zementierten Rassenschablonen am Kap zu sprengen. Aber noch etwas anderes zeichnete ihn aus: Im Gegensatz zu allen anderen afrikanischen Gründervätern trat er nach nur einer Amtszeit 1999 zurück – und gab damit ein Beispiel, das in Afrika bis heute zu den grossen Ausnahmen zählt.
Als Staatschef bündelte Mandela nicht nur die Hoffnungen der Schwarzen, sondern zog auch immer mehr Weisse auf seine Seite, durch seine Versöhnungspolitik und ein untrügliches Gespür für grosse Gesten: Er besuchte die Witwe des Apartheidarchitekten Hendrik Verwoerd zum Tee und vereinte schliesslich das Land zur Rugby-Weltmeisterschaft 1995 hinter dem fast blütenweissen Team der «Springböcke». Als Südafrika im Finale den Favoriten aus Neuseeland schlug, lagen sich Schwarz und Weiss am Kap in den Armen – es war der Höhepunkt der von Mandela angestrebten nationalen Aussöhnung.
Doch schneller als erwartet ist die Euphorie tiefer Ernüchterung gewichen. Kaum fünf Jahre nach seinem Tod am 5. Dezember 2013 ist Mandelas Erbe akut bedroht: Vieles deutet darauf hin, dass auch Südafrika im Aufbau der Demokratie zumindest im ersten Anlauf scheitern wird. Der lange, schleichende Niedergang des einstigen afrikanischen Hoffnungsträgers hat sich unter dem im Februar vorzeitig abgelösten Präsidenten Jacob Zuma stark beschleunigt.
Mandelas Privatleben war eher zerrissen. Die lange (zweite) Ehe mit Winnie, die während seiner Gefangenschaft die Erinnerung an ihren Mann wachhielt und kürzlich mit 81 Jahren verstorben ist, zerbrach schnell nach der Freilassung. 1996 wurden sie geschieden. Es war eine der dunkelsten Stunden in Mandelas Leben, wie er in seiner Biografie «Long walk to freedom» schreibt. Erst mit Graça Machel, der Witwe des früheren mosambikanischen Präsidenten Samora Machel, die er an seinem 80. Geburtstag heiratete, fand er ein spätes Glück.
Es fragt sich, was von Mandela überdauern wird, jetzt, wo seine Nachfolger das Erbe in Machtkämpfen verspielen. Etwas Grosses wird bleiben, das für viele selbstverständlich geworden ist: Südafrikas Menschen leben heute in einem freien Land, auch wenn es Armut, Kriminalität und anderen sozialen Zündstoff gibt. «Seine Ideale und sein Wunsch nach Freiheit haben am Ende gesiegt», schreibt der Historiker Tom Lodge in der bislang wohl besten Biografie «A critical life» (weil keine reine Heldenverehrung). «Wir können uns unendlich glücklich schätzen, am Kap einen solch reifen Revolutionär gehabt zu haben.»
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