Daniel Murray, Research-Chef von EFG Asset Management in London, investiert wegen der besseren Wachstumsaussichten lieber in den USA als in Europa.
Herr Murray, der Brexit-Termin wurde auf Oktober verschoben. Schaffen die Briten bis dann den geregelten EU-Austritt?
Die Wahrscheinlichkeit eines geordneten EU-Austritts hat sicherlich zugenommen. Die Mehrheit im Unterhaus will keinen harten Brexit, aber sonst gibt es wenig Konsens. Dreimal wurde der Brexit-Vertrag verworfen, während die EU Nachverhandlungen des Vertrags ablehnt. Möglicherweise gibt es Spielraum in der rechtlich nicht bindenden politischen Deklaration. In diese Richtungen gehen nun die Diskussionen zwischen den Konservativen und der Labour-Partei.
Muss das Volk nochmals abstimmen?
Dazu wird es wohl nicht kommen. Das Parlament hat ein zweites Referendum abgelehnt, zudem ist die Zeit zu knapp.
Während sich die britische Wirtschaft trotz Brexit-Unsicherheit recht gut schlägt, steht die Eurozone am Rand einer Rezession. Wie ist dieser Unterschied zu erklären?
Die Abwertung des Pfunds hilft dem verarbeitenden Gewerbe. Deshalb ist auch der Industrie-Einkaufsmanagerindex recht hoch. Ausserdem werden wegen des drohenden Brexits viele Käufe vorgezogen. Die wirtschaftliche Verlangsamung in der Eurozone ist viel ausgeprägter, als es zu Beginn den Anschein machte. Es sind nicht nur temporäre Faktoren am Werk wie die Einführung des neuen Abgastests oder der Zwist zwischen Brüssel und Rom. Die Schwäche kommt vom Aussenhandel, darunter leidet vor allem die Industrie.
Die Europäische Zentralbank verspricht Nullzinsen bis mindestens Ende Jahr. Was wird sie sonst noch unternehmen?
Die Handlungsmöglichkeiten sind sehr beschränkt. Noch tiefer runter mit den Zinsen wird sie nur schon wegen der Nebeneffekte für das Bankensystem nicht gehen. Eine Erhöhung der Anleihenkäufe ist auch keine Option, weil etwa bei deutschen Staatsanleihen die Obergrenze schon fast erreicht ist. Mit neuen Langfristkrediten für die Banken, sogenannten TLTRO, sorgt die EZB für genügend Liquidität. Das ist dann aber auch alles.
Was müsste geschehen, dass es mit der Konjunktur in der Eurozone wieder aufwärtsgeht?
Da die geldpolitischen Instrumente mehr oder weniger ausgeschöpft sind, bräuchte es jetzt eine fiskalpolitische Antwort. Ein koordinierter Stimulus der Euroländer zusammen in der Höhe von 0,5% des BIP läge im Bereich des Möglichen und wäre im aktuellen Umfeld sehr hilfreich. Der Schlüssel aber liegt in Deutschland: Europas grösste Volkswirtschaft hat am meisten fiskalpolitischen Spielraum.
Wie sähe so ein Stimulus optimalerweise aus? Steuern runter?
Am sinnvollsten wären Mehrausgaben in die Infrastruktur, denn dort ist der Multiplikator-Effekt am grössten. Das heisst, die eingesetzten Gelder wirken sich besonders positiv auf die Gesamtnachfrage aus. Aber in der aktuellen Situation würde jede Art von fiskalischer Expansion helfen, auch Steuersenkungen, die gemäss der ökonomischen Literatur eine geringere Wirkung haben.
Auch die US-Notenbank hat eine Kehrtwende vollzogen. Am Markt sind sogar Zinssenkungen eingepreist. Steht es wirklich so schlecht um die US-Wirtschaft?
Panik ist fehl am Platz. Es ist ganz normal, dass die Notenbank nach mehreren Zinserhöhungen mal eine Pause einlegt und abwartet, wie die Zinsschritte wirken. Ich würde nicht von einer geldpolitischen Kehrtwende sprechen.
Aber die Konjunkturaussichten haben sich auch in den USA deutlich eingetrübt.
Ja, das stimmt, und das hat seine Gründe. Die positive Wirkung der Senkung der Unternehmenssteuern lässt nach, gleichzeitig belastet der Handelsstreit mit China die Stimmung. Grosse fiskalpolitische Impulse sind bis zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr keine mehr zu erwarten: Die Infrastrukturvorhaben werden von den Demokraten blockiert, weil ein zu kräftiges Wirtschaftswachstum Trumps Wiederwahlchancen erhöht.
Die wirtschaftliche Expansion in den USA dauerte schon fast zehn Jahre. Wäre es nicht langsam Zeit für eine Rezession?
Expansionsphasen können noch viel länger anhalten. Australien hat seit 1991 keine Rezession mehr erlebt.
Die Langfristzinsen sind unter die Kurzfristzinsen gefallen. Das war in der Vergangenheit kein gutes Omen.
Die inverse Zinskurve macht mir schon etwas Sorgen, denn sie hat als Rezessionsindikator einen guten Leistungsnachweis. Die Gründe für den Zusammenhang von Zinskurve und Rezession sind allerdings nicht klar.
Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession in den nächsten zwölf Monaten?
Meiner Meinung nach eher gering. Der wichtige Häusermarkt sieht gesund aus. Es gibt schon einige heikle Punkte im US-Wirtschafts- und Finanzsystem, aber ein systemisches Risiko stellen sie nicht dar.
Welches sind die wunden Punkte?
Ich denke da zum Beispiel an die zunehmenden Kreditkartenschulden, die Verschuldung im Autosektor oder die Verschlechterung am Markt für Leveraged Loans. Kritisch ist auch der zunehmende Anteil BBB-Schuldner bei den Unternehmensanleihen. Wenn diese Papiere noch einmal herabgestuft werden, gelten sie als Ramsch und werden von den auf Sicherheit bedachten Investoren abgestossen. In der Regel sind die Finanzmärkte gut darin, solche Risiken aufzuspüren. So haben vor der Finanzkrise 2008 die Renditeaufschläge für Unternehmensanleihen zugenommen. Eine solche Spread-Ausweitung sieht man aktuell nicht. Anders als damals, als Leute wie Nouriel Roubini oder Nassim Taleb den Crash prophezeiten, sind heute auch kaum warnende Stimmen zu hören.
Dann steht einem weiteren Anstieg der Aktienkurse nichts im Wege?
Nach der kräftigen Erholung seit Anfang Jahr ist jetzt eine Konsolidierungsphase denkbar. Wir empfehlen aber weiterhin, Aktien im Portfolio überzugewichten. Wegen der besseren Wachstumsaussichten bevorzugen wir US-Aktien, besonders die aus konsumnahen Branchen. Europäische Börsen sind tiefer bewertet, aber das hat seinen Grund. Interessanter sind die ebenfalls niedrig bewerteten Schwellenländerbörsen und japanische Aktien.
Warum gerade Japan?
Japan ist das einzige Land, in dem sowohl die Geld- als auch die Fiskalpolitik sehr expansiv ist. Die Unternehmen werden immer aktionärsfreundlicher. Sie schütten mehr Dividenden aus und kaufen eigene Aktien zurück.
Wie wichtig ist China für die Märkte?
China hat einen enormen Einfluss auf die Börsen in der Region. Chinas Wirtschaftswachstum kühlt sich seit Jahren ab, aber das ist normal für eine Volkswirtschaft in diesem Entwicklungsstadium, in dem die Produktivitätsgewinne nicht mehr so gross sind. Spätestens ab Sommer dürfte es mit der Konjunktur wieder bergauf gehen, wenn die geld- und fiskalpolitische Lockerung vom letzten Halbjahr ihre Wirkung entfaltet. Die Einkaufsmanagerindizes zeigen bereits eine Verbesserung an.
Welche Sektoren sind Ihrer Meinung nach besonders interessant?
Grosses Potenzial haben Unternehmen an der Schnittstelle zwischen dem Tech- und Gesundheitssektor. So kann zum Beispiel künstliche Intelligenz in der Diagnose eingesetzt werden. Chinesische Unternehmen sind darin führend, weil dort viel mehr Daten gesammelt werden können.
Mit welcher Empfehlung heben Sie sich am stärksten vom Konsens ab?
Wir trauen Aktien aus dem Industriesektor einiges zu. Nach dem schlimmen letzten Jahr sind die Bewertungen extrem niedrig. Es braucht wenig für einen Stimmungsumschwung. Industrieunternehmen profitieren von einem fiskalischen Stimulus in China und anderen Schwellenländern.
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