Zurück zur Übersicht
07:06 Uhr - 24.11.2014

Wachsende Sorge um US-Energiesektor

Die sinkenden Ölpreise schüren Befürchtungen, dass es am amerikanischen Junk-Bond-Markt zu Zahlungsausfällen kommt.

Die USA erleben einen Energieboom. Dank neuen Fördertechnologien ist das Land zum grössten Ölproduzenten der Welt aufgestiegen. Angezogen von der Aussicht auf rasche Gewinne, ist Kapital in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar in den Sektor geflossen; die in der Öl- und Gasförderung tätigen Unternehmen konnten sich zu günstigen Konditionen finanzieren. Nur mit einem schienen Förderer und Investoren nicht gerechnet zu haben: mit einem kräftig sinkenden Ölpreis. Doch genau das ist in den vergangenen fünf Monaten geschehen und bringt die Branche nun in eine ungemütliche Lage. Die Furcht vor Zahlungsausfällen am Bondmarkt steigt.

zoom«Wir haben eine Blase im Ölgeschäft», sagt Ed Yardeni, der langjährige Wallstreet-Ökonom und Gründer von Yardeni Research. «Enorme Summen sind in Investitionen für Fördervorhaben geflossen. Die Ölproduktion ist massiv gestiegen. In vielen Fällen basierten die Ausgaben aber auf der Annahme, dass sich der Ölpreis um 100 $ bewegen wird.» Von dieser Marke sind die Notierungen derzeit jedoch weit entfernt: Seit Anfang November kostet ein Fass Rohöl weniger als 80 $. Der Preis ist von seinem Jahreshöchst im Juni über 30% eingebrochen.

Junk Bonds unter Druck

zoomNeue Fördertechnologien (Fracking) zur Erschliessung von Schieferölvorkommen haben den US-Energiemarkt revolutioniert. Allein die Ölproduktion hat seit 2008 etwa 70% zugenommen. Heute fördern die USA jeden Tag knapp 13 Mio. Fass Rohöl und Erdgas (Erdgas 4.266 -4.97%). Diese Entwicklung hat auch international zu einer Verschiebung der Gewichte geführt: Der Schieferölboom hat die USA an die Spitze der Energieförderer katapultiert und Saudi-Arabien und Russland auf die Plätze zwei und drei verwiesen.

zoomFracking ist ein äusserst kapitalintensives Verfahren. Entsprechend schiessen die Investitionen der amerikanischen Energieunternehmen seit Ende der Zweitausenderjahre, als die Energieförderung mithilfe von Fracking populär wurde, in die Höhe. Die Branche investiert gegenwärtig jährlich 220 Mrd. $ in die US-Wirtschaft.

zoomDie Kapitalinvestitionen wurden zu einem beträchtlichen Teil durch die Emission von hochverzinslichen Anleihen (High Yield Bonds) finanziert, sogenannten Ramschanleihen oder Junk Bonds. Diese Papiere haben eine Bonität von maximal BB+ und gelten als spekulativ. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres wurden im US-Energiesektor Junk Bonds im Volumen von über 50 Mrd. $ ausgegeben. Der Anteil der Unternehmen, die direkt im Bereich Ölförderung und -produktion tätig sind, beläuft sich dabei auf mehr als die Hälfte. Gemäss den Analysten von Barclays (BARC 236.4 1%) dürften die Emissionen bis Ende Jahr den bisherigen Rekord von 2012 übertreffen. Inzwischen dominiert der Energiesektor den Markt für hochverzinsliche Anleihen: 16% der ausstehenden Bonds, die in Dollar denominiert sind, wurden von Energieunternehmen emittiert. 2001 lag ihr Marktanteil bei lediglich 4%.

Bislang konnten die Ölförderer den Preisverfall abfedern, indem sie etwa Investitionspläne aufgeschoben haben. Doch spätestens wenn sie die Kredite am Bondmarkt refinanzieren müssen, könnten sie unter Druck geraten.

Parallelen zur IT-Blase

Experten sind sich uneinig, wie prekär die Lage der Schuldner bereits ist. «Wir werden im US-Energiesektor im Jahr 2015 zahlreiche Zahlungsausfälle sehen», warnt Steen Jakobsen, Chefökonom der dänischen Saxo Bank, im Gespräch mit «Finanz und Wirtschaft». Yardeni zieht Parallelen zur IT-Blase der Neunzigerjahre. «Die Ölförderer verheizen ihre Liquidität. Vielen bleibt vielleicht noch ein Jahr, bevor sie sich refinanzieren müssen. Das könnte schwierig werden», erklärt er.

Anders schätzen die Analysten von Barclays die Situation ein. «Selbst wenn der Ölpreis auf dem aktuellen Stand verharrt oder gar weiter sinkt, werden wir voraussichtlich frühestens 2016 finanzielle Restrukturierungen auf breiter Front erleben», schreiben die Ökonomen. Es gebe allerdings einzelne Emittenten, die bereits früher in Schwierigkeiten geraten könnten. Barclays nennt Quicksilver Resources, Connacher Oil & Gas und Venoco. Die Situation dürfte sich allerdings akzentuieren, sollten die Notierungen erneut drastisch fallen. «Wenn der Ölpreis um weitere 20 $ sinkt, dann wird das ein grosses Problem», sagt Ajay Rajadhyaksha, Co-Chef des Anleihen-Research von Barclays.

Funny MoneySeit «Colonel» Drake 1859 in Pennsylvania erstmals auf Öl stiess, hat es in der US- Energiebranche immer wieder spektakuläre Boomphasen gegeben. Genauso oft zogen diese Exzesse gravierende Konsequenzen an den Finanzmärkten nach sich. Ein besonders wildes Spekulationsfieber setzte gegen Ende der Siebzigerjahre in Oklahoma ein. Die Ölkrise trieb damals die Energiepreise nach oben, was eine kräftige Investitionswelle auslöste.

Überall in Oklahoma wurde nach Öl und Gas gebohrt. Finanziert wurden viele dieser Projekte über die Penn Square Bank. Das kleine Finanzhaus, das seinen Sitz in einem Shoppingcenter in Oklahoma City hatte, übernahm die Vermittlerrolle zwischen den Landbesitzern und den Investoren, die das Geld hatten, um die Ressourcen aus dem Boden zu holen. Allerdings war Penn Square keine gewöhnliche Bank.

Wie Autor Mark Singer in seiner Insiderstory «Funny Money» erzählt, kam ihr Chef des Öfteren mit einer Batman-Maske, Mickey-Mouse-Ohren oder einem Nazi-Sturmtruppenhelm zur Arbeit, trank Bier aus Cowboy-Stiefeln und startete Essensschlachten in Nobelrestaurants. Es war Partyzeit, und Kreditrisiken waren kein Thema. Das Geschäft florierte, und die Bilanz der Penn Square Bank explodierte in wenigen Jahren um das Fünfzehnfache. Entsprechend gross war der Kater, als die Energiepreise sanken und viele Förderprojekte nicht mehr rentierten. 1982 meldete Penn Square Konkurs an, was das gesamte Finanzsystem erschütterte.

Das Bankhaus hatte seine Kredite mitunter an den Finanzriesen Continental Illinois weiterverkauft, der 1984 unter grossem Krach kollabierte. Was heute mit den Darlehen an US-Förderunternehmen passieren könnte, wenn die Notierungen am Ölmarkt weiter fallen, ist schwierig zu sagen. Bemerkenswert ist aber, dass vor dem Einbruch des Ölpreises zuletzt gerade in Oklahoma die Förderaktivitäten besonders stark zugenommen hatten. CG

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.