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11:05 Uhr - 16.11.2017

«SNB-Zinserhöhung kommt frühestens 2019»

Sigi Böttinger, CIO und Mitgründer von Pilatus Partners, erwartet wegen der niedrigen Inflation noch lange keine Normalisierung der schweizerischen Geldpolitik.

Herr Böttinger, nach der US-Notenbank Fed hat Anfang Monat auch die Bank of England die Leitzinsen erhöht. Wann folgen ihr die Europäische Zentralbank und die Schweizerische Nationalbank?

Bis zum Zinsschritt der EZB und der SNB (SNBN 3971 0.4%) wird es noch lang dauern. Ich erwarte die erste Leitzinserhöhung im Jahr 2019. So sieht es auch die Mehrheit am Markt: Die Zins-Futures signalisieren in den nächsten zwölf bis achtzehn Monaten keine Änderung der Geldmarktzinsen im Franken- und im Euroraum.

Bis dahin müssen wir mit also Null- und Negativzinsen leben.
Ich fürchte ja. Das Gespenst der Deflation ist zwar gebannt, doch die Inflationsraten verharren auf sehr niedrigem Niveau. In der Eurozone ist die Kerninflation, also die Teuerungsrate ohne die Preise für Energie und Nahrungsmittel, wieder unter 1% gefallen. Selbst für die Konjunkturlokomotive Deutschland rechnen die Marktteilnehmer für die nächsten zehn Jahre mit einer durchschnittlichen Inflation von lediglich 1,2%. Und solange die EZB nicht den ersten Zinserhöhungsschritt wagt, ist auch die SNB in der Negativzinspolitik gefangen.

Wie passt das mit den Meldungen über eine kräftig anziehenden Konjunktur in Europa zusammen?
Die Wirtschaft erholt sich zwar selbst in den einstigen Krisenregionen der Eurozone, doch die Währungsunion ist nach wie vor ein fragiles Gebilde, mit einem starken Gefälle zwischen den Kernländern um Deutschland und den Staaten an der Peripherie. Die spanische Wirtschaft etwa wächst wieder kräftig, aber die Jugendarbeitslosigkeit beträgt immer noch fast 40%. Die Löhne sind in den letzten Jahren im Zuge der internen Abwertung massiv gesunken. Bis in einem solchen Umfeld eine positive Inflationsdynamik entstehen kann, dauert es Jahre.

Wie erklären Sie sich, dass auch in Ländern wie der Schweiz, Deutschland oder der USA, wo der Arbeitsmarkt in besserer Verfassung ist, die Inflation kaum anzieht?
Der Trend zu niedrigeren Inflationsraten ist die Folge des Strukturwandels. Es gibt keinen typischen Lohnzyklus mehr. Das hängt zum einem mit der Globalisierung zusammen und zum anderen mit der Digitalisierung. Diese Änderungen hinterlassen ihre Spur am Arbeitsmarkt. In den USA zum Beispiel ist die Arbeitslosenquote seit 2009 von 10 auf 4,1% gefallen. In der gleichen Periode ist aber die Erwerbsquote von 66% auf 62,5% zurückgegangen. Diese Divergenz zeigt, dass es ein enormes Arbeitskräftepotenzial gibt, das gerne beschäftigt werden würde, aber keine Arbeit findet und somit die Lohnbildungsprozesse beeinflusst.

War es ein Fehler der SNB, die Zinsen unter null zu senken?
Nein, das war unumgänglich und in der damaligen Situation richtig. Mit ihrem entschiedenen Vorgehen hat die EZB die Eurozone vor dem Auseinanderfallen gerettet. Und die SNB hat mit den Negativzinsen und dem Kauf von Devisen die Schweizer Exportwirtschaft vor Schlimmerem bewahrt.

Nächsten Frühling wird Jerome Powell das Präsidium der US-Notenbank übernehmen. Was bedeutet der Wechsel an der Fed-Spitze für die Zinsen?
Der Einfluss seiner Wahl auf die US-Geldpolitik ist unbedeutend. Es ist keine Trendwende zu erwarten. Das Fed unter Powell wird weiterhin die Leitzinsen behutsam in kleinen Schritten erhöhen. Die US-Wirtschaft ist nicht über alle Zweifel erhaben. Wir bewegen uns auf einem stabilen Wachstumspfad, aber von einer Überhitzung ist die US-Wirtschaft noch weit entfernt.

Welche Implikation hat das für die globalen Anleihenmärkte?
Die Bondrenditen werden – wenn überhaupt – nur langsam und graduell steigen.

In den USA hat sich die Zinskurve verflacht. Was hat das zu bedeuten?
Es drückt die Skepsis des Anleihenmarkts über die weitere Wachstums- und Inflationsdynamik aus. Auch die Break-even-Inflationsrate ist gefallen. Sie berechnet sich aus der Renditedifferenz zwischen normalen und inflationsgeschützten Staatsanleihen und ist ein marktbasiertes Mass der Inflationserwartungen.

Es häufen sich Stimmen, die vor einer Blase am Bondmarkt und einem Crash warnen. Was halten Sie davon?
Nicht viel. Der letzte richtige Bond-Crash war im Jahr 1994. Doch seither hat sich der Anleihenmarkt stark verändert. Es gibt ganz andere Möglichkeiten, ein Thema umzusetzen. Wenn ein Anleger unerwartete Inflation befürchtet, kann er inflationsgeschützte Anleihen kaufen und einen Teil der Realzinsen über die Laufzeit sichern. Ähnliches gilt für den Kreditmarkt, wo die Ausfallrisiken mit Derivaten viel besser gemanagt werden können als vor zwanzig Jahren. Das Killerargument gegen einen Crash ist aber meiner Ansicht nach die ungebrochen hohe Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Anleihen.

Wer sind denn die Käufer?
Die Nachfrage kommt vor allem aus dem institutionellen Bereich: Versicherungen und Pensionskassen, die zum Teil auch aus regulatorischen Gründen in festverzinsliche Papiere mit höchster Bonität investieren müssen, selbst wenn die Renditen negativ sind. Es kommt nicht selten vor, dass Neuemissionen bis zu dreissigfach überzeichnet sind.

Die durchschnittliche Rendite bis Verfall des Obligationenindex SBI der Schweizer Börse beträgt 0,24%. Schlechter waren
die Ertragsaussichten für einen Zinsinvestor noch nie.
Ich bin überzeugt, dass auch im aktuellen Tiefzinsumfeld mit aktiver Portfoliobewirtschaftung und Diversifikation eine zufriedenstellende Rendite erreicht werden kann. Was zählt, ist schliesslich die reale Rendite, also das, was nach Abzug der Inflation übrig bleibt. Als die Zinsen bei 5% lagen, war es nicht einfacher. Damals war auch die Inflation viel höher. Meine Zielgrösse ist eine reale Rendite von 1,5%. Das ist auch in diesem Jahr realistisch.

Wie wollen Sie das erreichen? Mit ganz langen Laufzeiten und hoher Duration?
Nein, im aktuellen Umfeld sollte man das Zinsänderungsrisiko gering halten. Sinnvoller ist es, sich gezielt stärker gegenüber Kreditrisiken zu exponieren.

Wie sieht eine solche Strategie konkret aus?
Wenn Sie Futures auf deutsche Bundesanleihen leer verkaufen und gleichzeitig eine Euro-Unternehmensanleihe kaufen, ist das Investment gegen ein steigendes Zinsniveau teilweise immunisiert. Als Gewinn bleibt der Spread, also die Renditedifferenz zwischen der Unternehmensanleihe und der Bundesobligation.

Am Frankenmarkt ist dieser Spread auch nicht mehr besonders gross.
Deshalb müssen Schweizer Bondanleger auch am Dollarmarkt aktiv werden. Dort bleibt selbst nach Kosten für die Währungsabsicherung mehr übrig. Zudem ist der Markt liquider.

Was ist mit den Schwellenländern?
Es kommt immer auf die Schuldendynamik an, egal ob das Land nun als Schwellenland oder Industrieland klassifiziert ist. Südkorea und Chile sind gemäss MSCI Schwellenländer, sie haben ihren Staatshaushalt aber besser im Griff als viele Industrieländer. In den Schwellenländern gibt es insbesondere bei Emittenten mit Staatsgarantie attraktive Titel.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie Empresa de Energia de Bogota. Das sind sozusagen die Stadtwerke der kolumbianischen Hauptstadt. Das Unternehmen weist stabile Ertrags- und Bilanzkennzahlen aus in einem Land, das wirtschaftlich auf der Überholspur ist. Die Rendite der 2021 fälligen Dollaranleihe beträgt 5,5%, bei einem mittleren Rating von BBB–.

Argentinien hat im Sommer eine hundertjährige Anleihe zu weniger als 8% begeben. Was ist davon zu halten?
Das ist absurd. Argentinien ging zuletzt 2001 pleite und der Streit mit den Gläubigern wurde erst kürzlich beigelegt. Der Fall lehrt uns: Man darf sich als Bondanleger nicht zu sicher auf den Staatspapieren bewegen. Es gibt kaum ein Staat, der in den vergangenen hundert Jahren nicht zahlungsunfähig war.

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