Kein Trader wird mehr fotografiert als Peter Tuchman. An die Börse hat ihn der Zufall verschlagen.
Was die Finanzmärkte wirklich bewegt, lässt sich meistens nur erahnen. An den Grimassen von Peter Tuchman erkennt man jedoch sofort, wie es um die Tagesstimmung an den Weltbörsen steht. Mal vor Freude jauchzend, mal vor Verzweiflung die Hände verwerfend, ist der Aktienhändler in Diensten des Brokerhauses Quattro M. Securities das Gesicht Wallstreets. Kein anderer Trader wird so oft fotografiert wie er. Entsprechend illustrierte sein Lachen diese Woche rund um den Globus unzählige Medienberichte, als der Dow Jones (Dow Jones 20093.78 -0.04%) Industrial erstmals über 20 000 kletterte.
Auf dem Handelsparkett in Downtown Manhattan hat er schon manches Grossereignis hautnah miterlebt: vom Crash am Schwarzen Montag über die Exzesse der Internethausse bis hin zu den Panikschüben während der Finanzkrise. Weil er mit seinen wilden Haaren an Albert Einstein erinnert, wird er von Kollegen spasseshalber auch «the Mad Professor» genannt. «Ich bin dieser lustige, verrückte Typ, der seit Jahren an der New Yorker Börse arbeitet und so berühmt geworden ist, weil mein Gesicht überall zu sehen ist», sagte Tuchman unlängst in einem Radiointerview.
Dass die Hektik des Tageshandels seine grosse Leidenschaft ist, hat er vor mehr als dreissig Jahren entdeckt. Als Temporärangestellter tauchte er im Sommer 1985 zum ersten Mal in die Welt Wallstreets ein. Der Dow notierte damals um 1300, und an der New York Stock Exchange arbeiteten mehr als 10 000 Personen. Das Geschäft auf dem Parkett boomte. In den vollgepackten Handelsringen riefen sich die Trader zur Verständigung lauthals zu und signalisierten ihre Order per Handzeichen. Zunächst mit dem Eintippen von Transaktionen beauftragt, arbeitete sich Tuchman in der Hierarchie rasch empor und erwarb bereits drei Jahre später eine eigene Handelslizenz mit der Nummer 588. Obschon er seine Aufträge inzwischen über einen Tablet-Computer eingibt, trägt er aus Nostalgie bis heute stets einen alten Block mit den klassischen Kurszetteln auf sich.
Den Weg in die prominenteste Kampfarena des Kapitalismus fand der Sohn eines Arztes eher zufällig. Seine Eltern stammten aus Osteuropa. Als Überlebende des Holocaust kamen sie in den frühen Fünfzigerjahren nach Amerika. In New York aufgewachsen, studierte Tuchman zunächst Agrarwirtschaft. Bald merkte er aber, dass er nicht zum Leben auf einer Farm berufen war. Er stieg auf Betriebswirtschaftslehre um und versuchte sich nach dem Studienabschluss zunächst im Rohstoffhandel. Als Jazzliebhaber machte er im Künstlerviertel Greenwich Village zudem einen Plattenladen auf.
Das Abenteuer ging nicht lange gut. Nachdem Tuchman viel Geld verloren hatte, probierte er sein Glück Anfang der Achtzigerjahre in Westafrika. Er arbeitete zunächst für einen Ölkonzern und führte später die Finanzgeschäfte für den Diktator der damaligen Volksrepublik Benin aus. Zurück in den USA, verhalf ihm sein Vater zum Einstieg an der Börse. Ein Patient leitete das renommierte Brokerhaus Cowen & Company und schanzte Tuchman seinen ersten Job auf dem Parkett zu.
Mit der Welt von damals hat Wallstreet heute wenig gemein. Das Marktgeschehen wird längst von der lautlosen Geschwindigkeit der Computer dominiert. Die wenigen Händler an der New York Stock Exchange kommen nur noch für einen Bruchteil des Volumens auf. Zyniker spotten, dass der Tradingfloor zur Hintergrundkulisse von Finanzsendern wie CNBC verkommen ist.
Manche Investoren vertrauen jedoch weiterhin auf gesunden Menschenverstand. Dass selbst die emotionslosen Maschinen die Nerven verlieren können, hat der Flash Crash vom Mai 2010 gezeigt, als es den Dow Jones innerhalb von Minuten um 10% hin und her schleuderte. Tuchman und seine Kameraden hingegen bewahrten trotz der prekären Situation einen kühlen Kopf. «Ich bin kein Fan von Technologie. Ich hasse diesen Mist», meinte er letzthin zu einem TV-Reporter.
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