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14:07 Uhr - 15.09.2017

«Spekulanten werden verschwinden»

Lucas Betschart, Präsident der Bitcoin Association Switzerland, sieht Bitcoin als «Experiment», an dem man sich langfristig beteiligen müsse.

Herr Betschart, was raten Sie Freunden und Verwandten, wenn sie Bitcoin kaufen wollen?
Ich bekomme tatsächlich mehr Anfragen. Meine Verwandten wissen schon seit vier Jahren, dass ich mich im Bitcoin-Bereich engagiere. Und jetzt erst fangen sie an zu investieren. Da merkt man schon den Einfluss des Hype. Ich rate ihnen, so viel zu investieren, wie sie auch schmerzlos verlieren können. Und Bitcoin sollte man langfristig halten. Wenn es erfolgreich wird, ist das gut. Und sonst sollen sie es als Fehlinvestition abschreiben. Bitcoin ist ja immer noch ein grosses Experiment.

Ist der Hype eigentlich eine gute Sache für die Bitcoin-Szene?
Es gibt gute und schlechte Seiten. Viele werden durch die Medien erst auf Bitcoin aufmerksam. Die fühlen sich von der Idee oder dem Nutzen angesprochen. Aber es bringt natürlich auch Spekulanten. Langfristig werden die verschwinden, wenn sie ihren Gewinn mitnehmen und aus Bitcoin aussteigen. Schlussendlich bringt jeder neue Hype auch neue Leute zu Bitcoin.

Bitcoin ist zwar als Spekulationsobjekt interessant, aber hat noch kaum realwirtschaftliche Bedeutung. Warum ist das so?
Wir sind technisch noch nicht so weit, dass wir alle ständig Bitcoin verwenden können. Die Skalierbarkeit der Blockchain – der Technologie hinter Bitcoin – ist extrem schwierig. Es können nur drei Transaktionen pro Sekunde über Bitcoin abgewickelt werden. Das verblasst im Vergleich zum Kreditkartenanbieter Visa (V 106.08 0.24%), der 10’000-mal so viele Transaktionen abwickeln kann.

Wird sich das mit der Abspaltung von Bitcoin – Bitcoin Cash – bessern?
Ich bin skeptisch. Mit Bitcoin Cash können 24 Transaktionen pro Sekunde abgewickelt werden, es sollen einmal 1000 Transaktionen werden. Aber je mehr Transaktionen über die Blockchain laufen, desto weniger dezentral wird das System. Und je grösser die Veränderungen der Blockchain, desto grösser sind die möglichen Sicherheitslücken. Dazu kommt, dass fast alle Entwickler beim klassischen Bitcoin geblieben sind. Das Original wird von Netzwerkeffekten profitieren. Alle Börsen, Apps und Händler sind weiterhin auf den klassischen Bitcoin ausgerichtet.

Wie kann sich die Transaktionsgeschwindigkeit dann bessern?
Ähnlich wie beim Internet könnten Bitcoin-Transaktionen über verschiedene Schichten – Layering – abgewickelt werden. Kleine Transaktionen müssten nicht von allen Teilnehmern des Systems validiert werden. Das macht bisher die Skalierbarkeit so schwierig. Wenn ich nur 5 Fr. an Sie schicken will, braucht es die Validierung nicht. Man arbeitet bei Second-Layer-Systemen daran, solche Transaktionen Peer to Peer abzuwickeln – ohne dass sie direkt auf die Blockchain geschrieben werden. Aber sie wären trotzdem mit Kryptographie vor Betrug geschützt. Das ermöglicht Millionen von Transaktionen zu extrem niedrigen Preisen.

Aber sehen Sie es als Problem, dass mit Bitcoin spekuliert wird, statt sie als Währung zu verwenden?
Es ist verständlich, dass Leute ihre Bitcoin horten. Die Menge an Bitcoin ist ja beschränkt, und es kommen immer weniger neue hinzu. Die Geldmenge kann also nicht wie beim Franken von einer Zentralbank ausgeweitet werden. Das Horten wird wohl andauern, bis Bitcoin weit verbreitet ist. Bei Bitcoin kann der Wert weiter steigen. Beim Franken ist der Wert durch die Geldschöpfung der Nationalbank nach oben beschränkt. Es wird wohl noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis Bitcoin im täglichen Gebrauch verwendet wird.

Könnten hier Länder mit einem unsicheren Währungssystem Vorreiter sein?
Für die Menschen in Venezuela ist Bitcoin von Nutzen, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Aber die Regierung in Venezuela versucht das natürlich zu verhindern. Die Börsen werden geschlossen. Und man geht gegen das elektronische Schürfen von Bitcoin – Mining – vor. Das Mining ist dort besonders attraktiv, da der Strom fast kostenlos ist.

Nicht nur Venezuela geht gegen Bitcoin vor. Auch China scheint nun Bitcoin-Börsen zu schliessen. Könnte Regulierung der Kryptowährung den Todesstoss geben?
Nein, Bitcoin ist ähnlich schwierig zu regulieren wie das Internet. Jedes Land, das zu sehr reguliert, schafft sich selbst Nachteile. Firmen werden in ein anderes Land abziehen, wenn sie zu sehr eingeschränkt werden. Und die Bürger verwenden es trotzdem. Besonders kleineren Staaten ist bewusst, dass sie Unternehmen verlieren, wenn sie zu sehr regulieren.

Wie wichtig ist China für den Hype um Bitcoin? Könnte der Bitcoinkurs durch die Verbote unter Druck geraten?
China ist natürlich wichtig für den Hype. Das Land ist eine Glücksspielnation. Dort wird gerne spekuliert. Wenn immer Nachrichten – oft sind es Fake News – von dort kommen, fällt der Preis. Wie kürzlich kann der Verlust dann 10% betragen. Aber der Effekt ist nicht mehr so stark wie früher. Es gibt genug Nachfrage ausserhalb Chinas. So läuft in der Schweiz relativ zur Grösse des Landes extrem viel. Auf der technischen Seite wie auch bei der Zahl an Investoren.

Was halten Sie von den Angeboten an neuen Digitalwährungen, den Initial Coin Offerings, ICO?
95% der ICO sind entweder Schrott oder Betrug. Langfristig ist das eher schädlich für die Kryptowährungen. Wenn man in neue Kryptowährungen investiert, muss man die Sache im Detail verstehen. Durch ICO wird oft nur die Regulierung von Neuemissionen umgangen. Oft gibt es keine technische Neuerung, sondern man will einfach Geld einsammeln, solange die Regulatoren noch nicht aufgeholt haben. Besonders bei kleinen und mittelgrossen Angeboten geht es grossteils nur um das Marketing. Bei einer börsengehandelten Aktie gab es im Vorfeld eine Due Diligence – bei einem ICO ist das nicht der Fall.

Und die Schweiz ist dabei ein Hotspot in Europa?
Für die Anwaltskanzleien ist es ein einträgliches Geschäft. Bei der Bitcoin Association werden wir täglich von Leuten kontaktiert, die ihr ICO vorstellen wollen. An solchen Werbevorträgen haben wir kein Interesse.

Die zweitgrösste Kryptowährung ist Ethereum. Warum sind viele von dieser Währung so begeistert?
Zum einen gibt es da die technischen Veränderungen gegenüber Bitcoin. Ethereum erlaubt Smart Contracts – also programmierbare Verträge, die automatisch ausgelöst werden. Ich bin aber skeptisch, ob die überhaupt einen Sinn haben. Zum anderen steht im Gegensatz zu Bitcoin hinter Ethereum eine Stiftung, die mit Marketing ihre Coins anpreist. Durch grosse Events wurden etwa viele Interessenten gewonnen. Ethereum ist ein noch grösseres Experiment als Bitcoin, und es werden noch grössere Versprechen gemacht.

Was halten Sie von der Aussage, dass sich die Blockchain-Technologie als wichtiger herausstellen wird als Bitcoin an sich?
Das halte ich für unwahrscheinlich. Hinter einer Blockchain ohne dezentrale Währung braucht es immer ein Konsortium. Wenn etwa verschiedene Banken untereinander die Blockchain nutzen wollen, müssen sie sich einig werden. Und das traue ich ihnen nicht zu. Ausserdem ist nicht klar, was für ein Problem gelöst werden soll. Für Überweisungen gibt es als Mittelsmänner die SIX in der Schweiz und international Swift. Die SIX gehört schon den Banken – sie sollte also nicht das Problem sein. Und Swift ist wohl auch kein Problem.

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