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11:53 Uhr - 20.03.2015

«Es besteht kein Grund zur Euphorie»

Hariolf Kottmann, CEO des Spezialchemiekonzerns Clariant, zur Nachfragesituation in der chemischen Industrie und zu den Vorteilen des niedrigen Ölpreises.

Clariant (CLN 18.11 0.5%) macht weiter Fortschritte, erhält von aussen aber wenig Unterstützung. Die Wechselkurssituation belastet, die Nachfrage nach Produkten der chemischen Industrie ist gedämpft. Das Ziel, auf Basis des Betriebsgewinns vor Abschreibungen und Amortisation (Ebitda) eine Marge von 16 bis 19% zu erreichen, ist für 2015 ausser Reichweite gerückt. Viel fehle allerdings nicht, betont CEO Hariolf Kottmann. Im Gespräch erklärt er zudem, inwiefern und wie lange der niedrige Ölpreis für das Spezialchemieunternehmen ein Vorteil ist.

Zur PersonHariolf Kottmann hat mit Clariant eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Unter seiner Führung seit Oktober 2008 ist die Spezialchemiegruppe neu ausgerichtet und auf einen Pfad profitablen Wachstums gebracht worden.

Das Rüstzeug dafür holte sich der promovierte Chemiker mit Jahrgang 1955 über Karrierestationen bei Hoechst, Celanese und SGL Carbon.
Bei SGL war er Mitglied der Geschäftsleitung, zuständig für die Division Advanced Materials sowie für Asien und Osteuropa. Zudem war er verantwortlich für Technologie und Innovation sowie für SGL Excellence. Dieses Programm zielt darauf ab, eine Kultur stetiger Verbesserung zu schaffen. Mit Clariant Excellence hat Kottmann bei Clariant Ähnliches implementiert.
Herr Kottmann, Clariant hat sich neu erfunden und operativ deutlich gesteigert. In Erfolgszahlen wie der Marge kommt dies aber nur bedingt zum Ausdruck.
Leider ja. Das hat mit Währungseffekten zu tun, namentlich aus Schwellenländern, im Grunde aber auch mit den Märkten. Die Umstände machen es uns nicht leicht. Mit Wechselkursverhältnissen, wie sie vor dem Erstarken des Frankens im Jahr 2011 galten, wären wir heute in der Marge nicht bei gut 14%, sondern weit über 15. Doch auch selbstkritisch nach innen schauend, gibt es ein paar Punkte zu nennen.

Zum Beispiel?
Ein Grund ist struktureller Art. Clariant entstand 1995 als Abspaltung von Sandoz und ist danach über diverse Transaktionen weiter gewachsen. Als Folge all dessen haben wir heute etwa 130 lebende Produktionswerke weltweit, grössere und kleinere. Wir haben aber auch rund hundert stillgelegte. Die sind einfach da, wollen gepflegt werden und verursachen in unterschiedlichem Umfang Kosten.

Fast die Hälfte liegt still?
Besonders in den Anfängen waren im Zuge der einen oder andern Akquisition Dinge mit übernommen worden, die aussichtslos waren. Darum arbeiten wir noch heute mit einer höheren Kostenbasis als Unternehmen, die unter strukturell einfacheren Bedingungen expandiert haben.

Was offenbart der selbstkritische Blick nach innen sonst noch?
Zum Beispiel, dass das Füllen einer Pipeline mit Innovationen, guten Produkten und neuen Projekten ein wenig langsamer vonstattengeht, als ich mir das erhofft hatte. Unterschätzt habe ich zudem die Bemühungen, die nötig sind, um die Vertriebsorganisation auf den Markt und die Kunden zu fokussieren. Clariant hatte da sehr viel nachzuholen. Auch wenn wir inzwischen einiges aufgeholt haben, stehen wir hier noch vor einer gewissen Entwicklungsphase.

Ihr Ziel, vor Einmaleffekten 16 bis 19% Marge zu erreichen, gilt weiter, aber nicht mehr für 2015. Fehlt denn viel?
Nein, viel fehlt nicht. Mit ein bisschen mehr Nachfrage da und dort sowie mit Währungen, die nicht so stark gegen uns arbeiten, wären wir locker über 16%. Wir hatten schon Monate mit 17 und 18% Marge. Solche Highlights belegen: Unser Ziel ist erreichbar. Glaubte ich das nicht, würde ich es nicht vor mir hertragen.

Sie hatten stets gesagt, 2015 müsse noch Rückenwind von der Nachfrage kommen. Zeichnet sich demnach keiner ab?
Nein, Rückenwind zeichnet sich derzeit nicht ab.

Tut sich die chemische Industrie schwer?
Sagen wir es so: Es besteht kein Grund zur Euphorie. Die Chemie ist eine Wachstumsbranche, aber ihr Steigerungspotenzial ist nicht grenzenlos. Viele Verbände und Unternehmen äussern sich Anfang Jahr jeweils überaus optimistisch. Dafür sehe ich keine Rechtfertigung, nicht in den nächsten Jahren. Damit müssen wir uns abfinden.

Clariant erwartet 2015 für sich nur ein organisches Umsatzplus im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Ist das Ausdruck einer schwierigen Branchenlage?
Das ist es insofern nicht, als wir denken, in den Volumen die 4% Zuwachs des Vorjahres in etwa halten zu können. Dass wir 2015 voraussichtlich unter unserem organischen Zielwachstum von 4 bis 5% bleiben werden, liegt allein an den gesunkenen Rohstoffpreisen. Wir gehen davon aus, dass wir manchenorts niedrigere Absatzpreise sehen werden. Diskussionen darüber laufen im Markt bereits.

Wie lange kann ein Anbieter wie Clariant vom niedrigen Ölpreis profitieren, ehe der Vorteil weitergegeben werden muss?
Wenn der Ölpreis sinkt, haben wir in einem Teil unseres Geschäfts rund sechs Monate Zeit, um die Verkaufspreise weiter hoch zu halten und mehr Marge zu machen. Das erste Halbjahr 2015 wird entscheidend davon geprägt sein, wie gut unsere Organisation in der Lage ist, das zu bewerkstelligen. 2010 und 2011 gelang das wunderbar. Mehr Zeit haben wir auch deshalb nicht, weil etliche unserer Preise formelbasiert sind und sich automatisch an geänderte Rohstoffkosten anpassen.

Clariant gilt als grösserer Nutzniesser eines niedrigen Ölpreises. Wie viele Ihrer Rohstoffe sind ölbasiert?
Etwa 30% unserer Rohstoffe hängen direkt am Öl. Weitere 20% kommen in der Wertschöpfung ein paar Stufen später. Hier handelt es sich um Zwischenprodukte, wo es etwas länger braucht, bis eine Preisänderung für Öl und Petrochemikalien ankommt. Unsere übrigen Rohstoffe haben gar nichts mit Öl zu tun.

Sie haben auch Kunden aus der Ölindustrie. Wie sieht es da aus?
Wir setzen im Bereich Oil Services rund 600 Mio. Fr. um, ein Zehntel des Gruppentotals. Davon kommen 20% von der Exploration und 80% aus der Produktion. Fällt der Ölpreis, zeigt sich das primär in der Exploration. Dort wird rasch gestoppt. In der Produktion, wo wir unter anderem mit Mitteln für das Abscheiden von Öl und Wasser sowie für den Korrosionsschutz und einen guten Fluss in der Pipeline vertreten sind, zeigen sich allfällige Bremsspuren später, in sechs bis acht Monaten.

Ist die Produktnachfrage derzeit also nur zu einem geringen Teil vom Ölpreisrückgang beeinträchtigt?
Einzelne Kunden von Oil Services fordern radikale Preissenkungen. Betroffen ist indes nur ein kleiner Teil des Geschäfts. Im anderen Teil können sich mit besagter Verzögerung Effekte einstellen – falls sich der Ölpreis bis dahin nicht erholt. In unserem Katalysatorgeschäft ist der niedrige Ölpreis übrigens kaum ein Problem, da wir nicht im Raffineriegeschäft sind. Unsere Katalysatoren wirken vor allem in gasbasierten Prozessen mit und in Chemieprozessen mit Rohstoffen aus solchen.

Völlig unabhängig voneinander sind Öl und Gas aber nicht.
Es besteht eine gewisse Konkurrenz. So führt der niedrige Ölpreis etwa in den USA auch bei Schiefergas zu gewissen Fragezeichen und Verlangsamungen. Von den Amerikanern wird das aber mit der selbstbewussten Überzeugung gekontert, die Kosten durch Effizienzsteigerungen drastisch senken zu können. Zudem sind alle Anlagen, die wir mit Katalysatoren beliefern dürfen oder die sich im Bau befinden, auf Kurs. Was sich wegen des niedrigen Ölpreises verzögert, sind einzig Projekte, die in den Jahren 2018, 2019 oder 2020 hätten kommen sollen.

Ist Clariant unter dem Strich also ein Nutzniesser des niedrigen Ölpreises?
Momentan ja. Ob das so bleibt, hängt aber von der weiteren Preisentwicklung und den Reaktionen darauf ab.

Darf daraus geschlossen werden, dass die Marge 2015 wenn auch kaum 16% erreichen, so doch einen grösseren Sprung nach oben machen wird?
Wir hatten einen solchen Sprung schon 2014 erwartet. Anfang Jahr deutete alles darauf hin. Doch dann machte uns Europa einen Strich durch die Rechnung, kühlte sich das Wachstum in China und Brasilien ab, fiel dieses Projekt aus, wurde jenes Segment rückläufig, begannen Wettbewerber mit Preisspielen und so weiter. Da steckt man dann einfach mit drin.

Für 2015 ist Fortschritt im Cashflow versprochen. Werden die freien Mittel weiter zum Schuldenabbau genutzt?
Sicher dafür, aber wir werden auch weiter in Wachstum investieren, und in einem bestimmten Umfang werden wir freie Mittel weiter auch an die Aktionäre weitergeben. Die Politik, 25 bis 35% des um Sondereinflüsse bereinigten Gewinns auszuschütten, wollen wir bis auf weiteres beibehalten.

Inwiefern sind Akquisitionen ein Thema?
Wir werden weiter kleinere Zukäufe machen. Über eine transformierende Transaktion wird derzeit dagegen nicht scharf verhandelt. Ideen gibt es zwar genug. Ich treffe pro Quartal sieben oder acht Kollegen. Da spricht man offen miteinander und lotet Dinge aus. Im Moment sehe ich aber kein Unternehmen, das zu uns passte und bereit wäre, in Clariant aufzugehen.

Clariant wird selbst immer wieder als Übernahmekandidat gehandelt…
(Lacht) Ich wäre enttäuscht, wenn wir nicht auf dem Wunschzettel verschiedener Firmen stünden.

Die Übernahme einer erfolgreich veränderten Gesellschaft dürfte jedoch schwer zu rentabilisieren sein, wenn zum Börsenwert noch eine Prämie bezahlt werden muss.
Das ist der Punkt. Zudem glauben wir nach wie vor, dass wir allein ganz gut und vielleicht gar ein bisschen besser zurechtkommen, als wenn wir in einem grossen Gebilde in der zweiten oder der dritten Ebene verschwinden und unsere Identität verlieren. Das wollen wir nicht. In der Branche ist das bekannt, und die Branche ist in dem Punkt eher konservativ. Unfreundliche Übernahmen sind sehr selten.

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