Nach sechs Monaten an der Spitze von Breitling enthüllt Georges Kern die neue Markenstrategie: Vergrösserung der Marktanteile durch Erweiterung des Sortiments.
Sie stehen seit sechs Monaten an der Spitze des Unternehmens Breitling, an dem Sie auch Anteile erworben haben (der britische Investmentfonds CVC hält seit Juni 2017 die Aktienmehrheit, Anm. d. Red.). Wie fühlen Sie sich in der Haut des Unternehmers?
Ich bin sehr glücklich in dieser Rolle. Jemand hat mich kürzlich gefragt, ob die Stellung des Chefs einer Firma, die von einem Private-Equity-Unternehmen übernommen wurde, fragiler sei, da gute Resultate gefordert werden. Da ich ebenfalls an der Firma beteiligt bin (ca. 5%, Anm. d. Red.), sagte ich, dass eine Kündigung aus diesen Gründen das kleinste meiner Probleme wäre. (lächelt)
Denken und überlegen Sie heute anders?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir Erfolg haben werden, und zweifle in keiner Weise an unserer Strategie. Die Marke befindet sich nicht in einer Restrukturierungsphase, die Erfolge in Nordamerika, Europa und Japan sind phänomenal. Was mich mehr beschäftigt, ist die Umsetzung der Strategie, bei der wir die Ausgabenseite aufmerksam beobachten müssen.
Die Produktion von Breitling umfasst etwa 145’000 Uhren, die zu 60% über unabhängige Händler vertrieben werden. Wollen Sie den Gewinn erhöhen, indem Sie eigene Filialen eröffnen?
Ja, unter anderem. Wir müssen im Markt präsent sein, um die Marke zu kontrollieren und die Richtung vorzugeben. Wir müssen die Distribution kontrollieren, denn dies ist unerlässlich, um den Graumarkt zu bekämpfen. Wir haben bereits unseren Agenten in Deutschland übernommen und sind dabei, weitere Abschlüsse abzuwickeln.
Bedeutet dies die Schliessung von Detailgeschäften und eine grössere Anzahl von Breitling-Geschäften?
Heute betreibt Breitling ein Netz mit 2000 Verkaufspunkten. Wir werden es durch die Übernahme von Agenten reduzieren. Wir besitzen vierzig Boutiquen, die von Partnern geführt werden, sowie zehn, die wir direkt betreiben. Ich denke, dass wir neue Geschäfte eröffnen werden, aber zusammen mit externen Partnern.
Planen Sie auf diesem Weg Ertragserhöhungen, und werden Sie das aktuelle Volumen beibehalten oder es auf über 145’000 Stück steigern?
Das sind zwei verschiedene Dinge. Selbstverständlich ist der rechnerische Impakt der Integrationsstrategie eindeutig. Aber wir wollen wachsen. Das geplante Angebot wird dies ermöglichen. Mit den Fliegeruhren besetzen wir eine Nischenposition in einem Preissegment von 3500 bis 10 000 Fr. Wir wollen das Sortiment mit klassischeren, eleganteren sowie Damenuhren verbreitern. Wobei wir unsere Fliegeruhren natürlich nicht vernachlässigen. Aber wir müssen die Realitäten des Weltmarktes berücksichtigen, d.h. 50% Asien, 60% Frauenuhren. Es stellt sich also die Frage: Wie kann man die Marken-DNA in einem bestimmten Preissegment erweitern, wenn man dabei die Preise weder erhöhen noch reduzieren will? Dies ist auch der Grund, weshalb wir keine Quarzuhren mehr produzieren werden, ausgenommen Modelle mit Funktionen für den professionellen Einsatz. Wir sind keine 2000-Fr.-Marke.
Was antworten Sie den Breitling-Aficionados, die nicht wollen, dass sich ihre Lieblingsmarke verändert?
Erstaunlich bei Breitling ist das Vorhandensein von zwei völlig unterschiedlichen Liebhabergruppen. Während man mir einerseits Messages schickt mit dem Wunsch, doch bitte kleinere, klassischere Produkte anzubieten, wolle die andern ausschliesslich grosse Militäruhren. Meine einzige Antwort ist der Hinweis auf die Entwicklungsgeschichte anderer Marken. Nehmen Sie das Beispiel Porsche. Als die Firma den Panamera und den Cayenne lancierte, schrien die Fans des 911 Zeter und Mordio, sagten den Untergang voraus. Tatsache ist, dass gerade diese beiden Modelle die besten Resultate bringen.
Sie haben auch gesagt, dass Sie sehr schöne Entdeckungen machten, als Sie die Schubladen der Marke öffneten. Sechs Monate später klingt es ein bisschen anders.
Ich machte keine schlechten, sondern überraschende Entdeckungen. Ich war verblüfft festzustellen, dass in den letzten achtzehn Monaten nicht wie erwartet das Modell Navitimer am erfolgreichsten war, sondern die sehr klassische Super Ocean Heritage. Diese Tatsache hat uns in unserer Strategie zusätzlich bestärkt. Der Markt ist nicht stabil, politische und wirtschaftliche Krisen folgen aufeinander. Die Menschen wollen wieder zurück zum Ursprung, sie wollen echte Werte, sie wünschen emotionale, weniger aggressive Produkte. Kritikern halte ich diese Realität vor Augen, diese Trends werden von den Konsumenten bestimmt.
Welches sind Ihre neuen Prioritäten? Müssen Sie unverkaufte Lager in den Griff bekommen? In die Produktion investieren?
Ganz im Gegenteil. Die Breitling-Fabrikationsstätten sind etwas vom Besten, was ich in meiner ganzen Karriere gesehen habe. Sie sind hochmodern. Die Investitionen vor meinem Eintritt waren hervorragend, die Strategie bei den Uhrwerken ist perfekt. Nein, meine Priorität ist das Produktmanagement, d.h. Lager, Reduktion der Referenzen von 650 auf 120. Aber das ist ohne weiteres machbar.
Werden Sie Uhren zurückkaufen?
Ja, wir werden unseren Händlern helfen. Unsere Bemühungen werden sich auf Certified Pre-Owned Watches konzentrieren, eine Massnahme, die in der Industrie noch nicht sehr verbreitet ist.
Was heisst das?
In der Uhrenindustrie gibt es keine Sekundärmärkte. Es ist nicht akzeptabel, dass man die Bearbeitung des Sekundärmarktes dem Parallelmarkt überlässt, wo mit gebrauchten Produkten gehandelt wird, deren Ursprung unbekannt ist, die keine Garantien haben, die von den Fabrikanten nicht zertifiziert sind. In der Autoindustrie ist dies schon längst gang und gäbe. Heute möchten die Leute ihre Uhr gegen eine neue tauschen oder eine Vintage-Occasion kaufen – aus Lust oder aus Geldmangel. Von nun an wird es eine Fabrikationsgarantie geben. Also (ALSN 125.8 -1.72%) keine Kopien oder auf dem Parallelmarkt gekaufte Produkte mehr, die keine Zustandsgarantie haben.
Betrachten Sie die Schweizer Uhrenindustrie als visionär?
Ich denke, sie ist realistischer geworden. Technisch sind die Produkte mehr oder weniger auf dem Stand wie vor hundert Jahren. Und das wird noch lange so bleiben. Eine Minute zählt auch in Zukunft sechzig Sekunden. Visionär kann man sein in Bezug auf die Art, wie Uhren in der digitalen Welt kommerzialisiert werden, auf das Image, das man in einer globalisierten Welt vermitteln möchte. Alles wird global, die Musik, die Konsumenten. Für eine kleine Nischenmarke wird das Überleben in dieser globalisieren Welt schwierig. Ich glaube, mittel- bis langfristig wird es nur noch zehn bis fünfzehn Brands geben. Punkto Technik ist es allerdings schwierig, visionär zu sein. Bestimmt teilen Sie meine Meinung, dass die Smartwatches der Uhrenfirmen eine grosse Enttäuschung sind.
Wobei Apple (AAPL 174.5 -0.42%) im vierten Quartal 2017 enorme Ergebnisse erzielt hat.
Apple ist keine Uhrenmarke, und die Smartwatch ist überhaupt nicht unser Segment. Sie ist Teil der Welt des Sports, die mit unserer Branche gar nichts zu tun hat. Eine herkömmliche analoge Uhr ist nach zwölf bis vierundzwanzig Monaten nicht obsolet, Zeitmesser werden nie verschwinden. Daher auch die Bedeutung von Sekundärmarkt und Vintage. Die Emotionalität bleibt. Hier gilt es, Visionen zu haben.
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