Harald Preissler, CIO von Bantleon, warnt davor, länger laufende Anleihen zu meiden. Warum er bei Aktien auf defensive Sektoren aus Europa setzt.
Herr Preissler, der Trump-Bonus schien zu verblassen. Doch dann schloss der Dow Jones (Dow Jones 19971.13 -0.61%) Industrial letzte Woche erstmals über 20’000. Wie kam es dazu?
Meinen Sie trotz oder wegen des neuen US-Präsidenten?
Das frage ich Sie.
Man sollte nicht alles an Trump aufhängen. Der Wirtschaftshorizont begann sich schon vor seiner Wahl aufzuhellen, und die Aufwärtsbewegung an den Börsen begann bereits im Februar 2016. Die Märkte sind weniger von Ereignissen, sondern von einer sich bessernden Wirtschaft getrieben. Das hat geholfen, beispielsweise den Brexit zu überstehen. Das war in den Jahren davor noch anders, da trafen politische Schocks die Weltwirtschaft in einem empfindlicheren Zustand.
Trump hat im Wahlkampf Wachstumserwartungen geweckt. Kann er sie erfüllen, oder wiegt die schroffe Abwehr gegen Zuwanderung und Handelsverträge, mit der er aktuell zu punkten versucht, schwerer?
Politisch gibt es zurzeit tatsächlich wenig Grund für Optimismus an den Börsen – auch ausserhalb der USA. Trumps fragwürdige erste Entscheidungen sind in jedem Fall ein Warnschuss. Aber in einer konjunkturellen Aufwärtsbewegung verzeiht der Markt solche Störfeuer leichter, als wenn er in einer Findungs- oder schon in einer Abwärtsphase steckt.
Ist der Aufwärtstrend intakt?
Ja. Solange es keine handfesten Hinweise gibt, ob und welche Konsequenzen allfällige Handelsbeschränkungen haben und ob die USA in frühkapitalistische Zeiten zurückfallen, orientieren sich die Anleger an den Fakten. Und wenn wir uns etwa die Einkaufsmanagerumfragen in den USA ansehen, dann zeigt der Trend dort klar nach oben. Die Unternehmen erhalten mehr Aufträge, erhöhen die Produktionsziele und bauen Lagerbestände ab. In Europa zeigt sich dasselbe Bild.
Friede, Freude, Eierkuchen also?
Das hängt von der Zeitskala ab: Kurzfristig ist nach dem kräftigen Aufschwung eine Konsolidierung überfällig, aus technischen Gründen oder weil einige Anleger zu zweifeln beginnen, ob sich aus dem Weissen Haus nicht doch Unheil zusammenbraut und sie zu optimistisch waren.
Was ist Ihre Meinung?
Dass wir erst mal ein Durchschnaufen brauchen, scheint mir das realistischste Szenario zu sein. Mittelfristig, für die nächsten sechs bis acht Monate, bin ich aber zuversichtlich. Erstmals seit langem verläuft die Konjunktur weltweit synchron aufwärts. Deshalb ist die Psyche der Anleger viel besser als in früheren Jahren, man kann sich an etwas Positivem festhalten.
Ist Stimulierung à la Trump überhaupt nötig? Könnte am Ende die Inflation überschiessen und ein neues Problem schaffen?
Zyniker würden sagen: Wir sind froh über jedes Inflationszeichen, dann wissen wir, sie ist nicht tot. Die US-Wirtschaft ist stark genug und bedarf keiner zusätzlichen Impulse – trotzdem wird es sie geben, und das ist ein Risiko. Denn die USA befinden sich jetzt schon an der Schwelle zu Inflation, die nachhaltig und stärker zu werden droht, als viele annehmen. Der Grund ist die Vollbeschäftigung und damit das Lohnwachstum, das immer mehr Fahrt aufnimmt.
Was heisst das für die Zinsen? Zwei bis drei Leitzinserhöhungen lautet der Konsens für dieses Jahr.
Für die Notenbank heisst das steigende Preisniveau ganz klar: Jetzt müssen die Zinsen rauf. Ich erwarte nicht zwei bis drei, sondern drei bis vier Leitzinssteigerungen 2017. Höhere Zinsen gehen aber auch an einer Wirtschaft wie der amerikanischen nicht spurlos vorbei. Ich wäre nicht überrascht, wenn im zweiten Halbjahr die konjunkturelle Dynamik nachlässt, weil höhere Zinsen dann anfangen, weh zu tun.
Die US-Notenbank betont immer wieder, behutsam vorgehen zu wollen.
Das möchte sie. Aber wir sind konjunkturoptimistischer als die Marktmehrheit und daher zinspessimistischer. Die Wirtschaft wird so gut laufen, dass das Fed nicht um ein schärferes Eingreifen herumkommt. Das wird auf die Bauwirtschaft übergreifen, wo wir jetzt schon erste Anzeichen einer Abkühlung feststellen. Von dort schwappt es ein paar Monate später auf die Investitionen über und dann auf den Arbeitsmarkt. Momentan erscheint die Inflation vor allem wegen des Basiseffekts aufgrund des vor Jahresfrist viel tieferen Ölpreises hoch. Aber es gibt daneben auch strukturelle Gründe dafür. Die Lohnentwicklung habe ich angesprochen. Das Fed wird einen leichten Wirtschaftsdämpfer ab dem zweiten Halbjahr tolerieren, wenn dafür die Inflation nicht über das Ziel von 2 bis 3% geht.
Wie sollen sich Anleger in diesem Umfeld und bei diesen Aussichten verhalten? Sprechen wir zuerst über Obligationen.
Für Obligationenanleger stellt sich die Frage: Investiere ich in kurz laufende Anleihen respektive, kehre ich Bonds überhaupt den Rücken zu, wie es die Mehrheit der Strategen empfiehlt. Oder kaufe ich – nach jedem grösseren Zinsanstieg – längere Laufzeiten hinzu und baue so sukzessive einen Schutz ins Depot ein. Ich präferiere Letzteres.
Weshalb Schutz? Wie funktioniert das mit Langläufern?
Die politische Agenda des laufenden Jahres ist gespickt mit bedrohlichen Grossereignissen. Dazu kommen noch die Twitter-Einschläge durch Donald Trump. Aber auch die Konjunktur wird sich 2017 nicht linear nach oben bewegen, sondern vor allem im zweiten Halbjahr eher negativ überraschen. Die Folgen wären schwächelnde Aktien. Genau dann sorgen lang laufende Anleihen mit ihren stattlichen Kursgewinnen für ein Gegengewicht. Kurzläufer können das wegen des geringen Kurshebels nicht leisten, weswegen sie sich nur als Liquiditätsersatz eignen.
Bantleon ist ein Anleihenhaus. Wie halten Sie’s mit Aktien?
Generell billigen wir Aktien nach der angesprochenen Konsolidierung nochmals deutliches Steigerungspotenzial zu, bevor im zweiten Halbjahr eine gewisse Ernüchterung einsetzen dürfte: Letzteres hat mit den dann gestiegenen Zinsen zu tun, und weil wir nicht ewig darauf zählen können, dass die Notenbanken immer dann, wenn es brennt, zum Feuerlöscher greifen.
Wie lange hält das «Sicherheitsnetz» durch die Notenbanken noch?
Es hat kaum noch Spannung. Die USA haben den Weg zur geldpolitischen Normalisierung bereits eingeschlagen. Das treibt den Dollar hoch und hilft dem Euro respektive den europäischen Volkswirtschaften. Wir ziehen europäische Aktien den amerikanischen daher vor. Es wird aber nicht mehr lange dauern, bis die Anleger realisieren, dass die quantitative Lockerung auch in Europa endlich ist. Ein wichtiger Volatilitätsdämpfer der vergangenen Jahre wird damit allmählich wegfallen.
Welche Sektoren und Themen favorisieren Sie?
Wir haben schon im Frühjahr in Erwartung höherer Rohstoffpreise eine strategische Position in Schwellenländern aufgebaut. Das Thema ist nach wie vor intakt. Bei zyklischen Titeln agieren wir vorsichtig. Mit stabilen defensiven Sektoren wie Versorgern, Konsum und Pharma fühlen wir uns wohler. Die Debatte über eine Kontrolle der Medikamentenpreise in den USA wird sich beruhigen. Auch Banken und Versicherungen gefallen uns.
Weil sie von einem Zinsanstieg profitieren?
Ja, und weil Banken- und Versicherungstitel aus Bewertungssicht noch immer viel Nachholbedarf haben. Stimuliert wird der Sektor auch, wenn Donald Trump sein Versprechen wahr macht, das Regulierungskorsett für Banken zu lockern. Das eröffnet für die Branche neue Geschäftschancen und könnte auf Europa überschwappen.
Gute Perspektiven für die Schweiz mit ihrem hohen Gewicht an Finanzen und Pharma?
Aktienseitig ist die Schweiz mit ihren global erfolgreichen Unternehmen ausgezeichnet positioniert. Eine Knacknuss sind Obligationen. Die Nationalbank wird aufgrund des starken Frankens zum Euro wohl noch länger am Negativzins festhalten. «Eidgenossen» rentieren mit Laufzeit bis einschliesslich zehn Jahren im Minus. Wir ziehen daher deutsche Bunds und US-Treasuries vor.
Werden Obligationen Aktien den Rang ablaufen?
Nein, so weit wird es in den nächsten Jahren nicht kommen. Die Zinsen bleiben im historischen Vergleich niedrig, und Aktien haben längerfristig ein gewichtiges Argument auf ihrer Seite: Die Produktivität wächst endlich wieder. Nach vielen Jahren des Niedergangs ist der Talboden durchschritten und die Unternehmen ernten die Erfolge früherer Investitionen – etwa in Forschung und Entwicklung. Die anziehende Produktivität ist die Grundlage für ein stärkeres Gewinnwachstum. Das hilft der Börse, selbst wenn der Weg mit Steinen durchsetzt ist.
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