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09:48 Uhr - 09.02.2016

Rezessionsrisiko in den USA steigt

Noch werden in den USA Arbeitsplätze geschaffen, doch verschiedene Indikatoren trüben den Konjunkturausblick. Eine Rezession ist kein Extremrisiko mehr.

Die US-Wirtschaft ist stark. Das war jedenfalls bis vor kurzem noch der Konsens in der amerikanischen Notenbank. Immerhin mit vier Zinserhöhungen in diesem Jahr hatte man gerechnet. Doch nun kommen aus dem Fed vorsichtigere Stimmen.

So meinte der stellvertretende Fed-Präsident Stanley Fischer Anfang Monat: «Wenn die Entwicklungen anhalten und die Finanzierungsbedingungen dauerhaft verschlechtern, könnte das eine langsamere Weltwirtschaft signalisieren und so Wachstum und Inflation in den USA beeinflussen.» Nun wird gar spekuliert, ob das Fed sich die Möglichkeit von Negativzinsen offenhalten will. Nicht einmal mehr eine einzige Zinserhöhung in den USA ist laut Morgan Stanley für 2016 noch in den Marktpreisen enthalten.

Laufende Konjunkturdaten: 2% Rezessionsrisiko

Ökonomen, die von der «Financial Times» befragt wurden, schätzen nun das Rezessionsrisiko in den USA auf 20%. Im Dezember wurde es noch auf 15% taxiert.

Die hohe Wahrscheinlichkeit überrascht auf den ersten Blick. Zwar ist das Wachstum im vierten Quartal nach vorläufigen Zahlen mit 0,7% schwach ausgefallen. Doch die Konjunktur für 2016 sollte sich erholen. Gemäss dem Echtzeitindikator GDPNow – der verschiedene Frühindikatoren kombiniert – sollte die US-Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres annualisiert über 2% wachsen.

GDPNow - EchzeitschätzungzoomQuelle: Federal Reserve Bank of Atlanta

Der letzte Arbeitsmarktbericht war zwar enttäuschend, aber die Arbeitslosigkeit sinkt – auf nun nur noch 4,9%. Die Löhne sind im Vergleich zum Vorjahr um 2,5% gestiegen. Das ist deutlich mehr als erwartet und sollte den Konsum stärken.

Wachstum StundenlöhnezoomQuelle: Nordea / Macrobond

Ökonomen von Société Générale (SocGen) sehen nach dem Arbeitsmarkt eine «0%-Wahrscheinlichkeit», dass sich die USA im Dezember in einer Rezession befunden haben. Anhand einer Mischung aus verschiedenen vorausschauenden Indikatoren kommt SocGen auf eine Wahrscheinlichkeit von nur 2%, dass die US-Wirtschaft bis zum dritten Quartal 2016 in eine Rezession rutscht. Dieser Indikator konnte Rezessionen bisher zuverlässig erkennen.

RezessionswahrscheinlichkeitWahrscheinlichkeit einer US-Rezession in den nächsten zwölf Monaten (Zahlen vom 3. Quartal 2015).zoomQuelle: Société Générale

Industrieproduktion: 17% Rezessionsrisiko

Nur ein Indikator zeigt laut SocGen tatsächlich eine Rezessionsgefahr: das Wachstum der Industrieproduktion. Seit November schrumpft der Output in den USA im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das ist das erste Mal seit der Finanzkrise. Der Industrie-Frühindikator ISM Manufacturing (Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe) notiert schon seit Februar 2015 unter der Wachstumsschwelle von 50.

Wie schlecht es um den Industriesektor aber insgesamt bestellt ist, bleibt umstritten. Denn ohne den durch niedrige Ölpreise belasteten Energiesektor wäre die Industrieproduktion noch gewachsen.

US-IndustrieproduktionIndustrieproduktion und Frühindikator ISMzoomQuelle: Federal Reserve Bank of St. Louis

Dagegen ist im Dienstleistungsbereich gemäss ISM-Frühindikator noch Wachstum angesagt. Doch der ISM-Serviceindikator ist am Sinken, und man kann sich fragen, wie lange der Servicesektor das Wachstum noch aufrechterhalten kann. Insbesondere weil der Industrieindikator dem Dienstleistungsindikator meist vorausläuft.

ISM Industrie und ServicezoomQuelle: Federal Reserve Bank of St. Louis

Unternehmensgewinne: 25% Rezessionsrisiko

Die US-Bank J.P. Morgan zeigt sich besorgt um die Unternehmensgewinne. Sie seien ein wichtiger vorlaufender Konjunkturindikator. So würde die Lohnentwicklung («Payrolls») den Profiten folgen. Umso besorgniserregender ist, dass J.P. Morgan nun annimmt, die Gewinne seien im Vergleich zum Vorjahr um 10% gefallen. Grund dafür sind die steigenden Löhne bei sinkender Produktivität, der starke Dollar und die Schwäche des Energiesektors.

Gewinne und LöhneVeränderung der Unternehmensgewinne (rechte Skala, in %) und der Löhne (linke Skala, in %) zum Vorjahresmonat.zoomQuelle: JP Morgan

Auf Basis dieser Schätzungen und der anderen verfügbaren Daten kommt J.P. Morgan zum Schluss, dass die US-Konjunktur in diesem Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% in eine Rezession schlittern wird.

Rezessionswahrscheinlichkeit laut J.P. MorganWahrscheinlichkeit einer US-Rezession in den nächsten zwölf Monaten.zoomQuelle: JP Morgan

Finanzmärkte: 16 bis 34% Rezessionsrisiko

Die Aktienmärkte leiden besonders unter den sinkenden Unternehmensgewinnen. Gleichzeitig werden an den Anleihenmärkten höhere Ausfallwahrscheinlichkeiten von Unternehmen eingepreist. Hochverzinsliche Anleihen zahlen eine Risikoprämie von über 8 Prozentpunkten gegenüber US-Staatsanleihen. Seit 1990 war eine solch hohe Zinsprämie meistens ein Indikator, dass die US-Konjunktur in eine Rezession fällt. Auch die Unternehmensanleihen mit Anlagequalität (Investment Grade) sind auf einem Mehrjahreshoch bei über 2 Prozentpunkten.

Risikoprämien AnleihenZinsdifferenz von hochverzinslichen Anleihen (US High Yield) und Bonds mit Anlagequalität (US Corporate) zu US-Staatsanleihen.zoomQuelle: Federal Reserve Bank of St. Louis

SocGen hat verschiedene Indizes für die Konditionen am Finanzmarkt berechnet und sie in ein Modell übertragen, das aus den Indizes Rezessionswahrscheinlichkeiten herausliest. Die Wahrscheinlichkeiten aus diesen Indizes notieren zwischen 16 und 34%. Ein besonders hohes Risiko für eine Rezession zeigen die Indikatoren an, die den starken Dollar berücksichtigen.

Doch sie sind nicht besonders zuverlässig, meinen die Analysten. «Die deutlichsten Beispiele sind die Jahre 2011 und 1998, als die Finanzbedingungen eine US-Rezession als wahrscheinlich einstuften», heisst es in der SocGen-Studie.

Indizes zu Finanzmarkt-UmfeldRezessionswahrscheinlichkeit bis zum 3. Quartal 2016 gemäss verschiedenen Indizes basierend auf dem Finanzmarkt.zoomQuelle: Société Générale

Zinsstrukturkurve: 4,6 oder 46% Rezessionsrisiko

Einer der verlässlichsten Frühindikatoren für eine Rezession in den USA ist die Zinsdifferenz (Spread) auf der Zinsstruktur (Yield Curve). Sie misst den Abstand zwischen dem kurzfristigen Zins und der langfristigen Rendite auf US-Staatsanleihen. Die Logik dahinter ist, dass bei einem schlechteren Wirtschaftsausblick für die Zukunft sinkende Zinsen erwartet werden. Das drückt die langfristige Rendite, während der kurzfristige Zins bis zu einer Aktion der Zentralbank stabil bleibt.

Die Rendite der langfristigen Staatsanleihen ist zuletzt deutlich zurückgegangen. Zehnjährige US-Staatsanleihen rentierten am Montag nur noch 1,74% – so niedrig wie seit einem Jahr nicht mehr.

Dadurch ist auch die Zinsdifferenz zwischen der zehnjährigen Rendite und dem Dreimonatszins gesunken. Doch mit zuletzt 1,58% ist sie noch lange nicht negativ. Erst ein negativer Spread – eine invertierte Zinskurve – gilt als zuverlässiger Rezessionsindikator.

Zinsdifferenz auf US-ZinsstrukturkurvezoomQuelle: Federal Reserve Bank of St. Louis

Gemäss einem Modell des Fed korrespondiert die jetzt beobachtete Zinsdifferenz gerade mit einer Rezessionswahrscheinlichkeit von 4,6% über die nächsten zwölf Monate.

Rezessionswahrscheinlichkeit aus ZinsstrukturzoomQuelle: Federal Reserve Bank of New York

Eine Rezession ist demnach so gut wie ausgeschlossen. Doch Bank of America Merrill Lynch wie auch Deutsche Bank weisen darauf hin, dass der alte Zusammenhang zwischen der Zinsdifferenz und Rezessionen heute nicht mehr gilt. Grund sind die kurzfristigen Zinsen, die nahe null notieren.

«Die Idee ist, eine Zinskurve zu modellieren, in der negative genauso möglich sind wie positive Zinsen», erklären die Analysten von BofA Merrill Lynch. Nach ihrer Modellierung ist die Zinskurve nun schon negativ – also eine Rezession eingepreist.

Nach einer ähnlichen Methode haben auch die Ökonomen der Deutschen Bank die Zinskurve angepasst. Demnach ist die Rezessionswahrscheinlichkeit nun bei 46% – statt 4,6%, wie es das Modell des Fed prognostiziert.

Angepasste ZinsstrukturkurveNach der angepassten Zinsstrukturkurve (Corrected for level of rates) der Deutschen Bank ist die Rezessionsgefahr zehnmal höher, als das Fed angibt.zoomQuelle: Deutsche Bank

Märkte können entscheidend sein

Die Finanzmärkte sind nervös. Sie haben Angst vor der Ansteckungsgefahr aus China, einer Schwellenländerkrise und Zahlungsausfällen im Energiesektor. Sie könnten damit Risiken vorwegnehmen, die sich in den laufenden Konjunkturdaten noch nicht zeigen.

Ein weiteres Risiko ist, dass die Finanzmärkte eine selbsterfüllende Prophezeiung auslösen. Davor hat etwa der ehemalige IWF-Chefökonom Olivier Blanchard Angst. Die Märkte könnten mit ihrer Nervosität die Realwirtschaft beeinflussen und damit eine Rezession erst auslösen, schrieb er Mitte Januar. «Wenn die niedrigen Aktienkurse lange anhalten, würde das zu niedrigerem Konsum, niedrigerer Nachfrage und – möglicherweise – einer Rezession führen», erklärte er.

Je höher die Rezessionswahrscheinlichkeit von den Märkten eingestuft wird, umso wahrscheinlicher wird also eine Konjunkturschwäche. Angesichts der schwachen Börsen ist das keine schöne Aussicht.

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