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16:29 Uhr - 14.09.2020

Konrad Hummler: «Junge Leute müssen in Aktien investieren»

Der Unternehmer und Kenner der Schweizer Bankenwelt kritisiert die Umverteilung in der obligatorischen beruflichen Vorsorge wegen zu grosszügiger Neurenten.

Herr Hummler, hat die Coronapandemie die ­Annahmen unseres Vorsorgemodells über den ­Haufen geworfen?
Nein, im engeren Sinn eigentlich nicht. Unsere Lebenserwartung hat sich wegen Corona beispielsweise nicht verändert. Auch an den Kapitalmärkten geht es so weiter wie zuvor. Aber unser Generationenvertrag ist nun ganz klar unter Druck.

Meinen Sie die Finanzierung der zu hohen Renten durch die jüngeren Generationen?
Diese mathematische Rechnung ist schon lange bekannt. Doch mit Corona wurde die Rücksichtnahme der jüngeren auf die ältere Generation offenbart. Covid-19 schadet der jüngeren Bevölkerung kaum. Dagegen nimmt bei Betroffenen ab 65 Jahren die Sterblichkeit markant zu. Alle Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wurden daher nur zugunsten der älteren Generation getroffen. Jetzt fallen uns Kräfte in unserer Gesellschaft auf, die das heutige Zusammenleben der Generationen grundlegend in Frage stellen.

Führt das zu Verbesserungen des Generationen­vertrags, oder wird seine Modernisierung dadurch eher verhindert?
Bisher war es sehr schwer, die junge Generation politisch für die Thematik Vorsorge und das Problem der Umverteilung zu interessieren. Auch auf der politischen Ebene passiert so gut wie nichts. Selbst die meisten Jungpartien haben es verschlafen. Jetzt könnte sich durch die gesellschaftlichen Folgen von Corona einiges ändern.

Was denn?
Wir können das System insgesamt natürlich nicht in Frage stellen. Doch über die Umverteilung vom Renteneinzahler zum Rentenbezüger müssen wir uns mehr Gedanken machen.

Ist das wirklich eine Umverteilung oder eigentlich eher eine Ungleichverteilung?
Die Umwandlung einer Rente zu einem zu hohen Satz ist auf jeden Fall eine Umverteilung.

Welchen Stellenwert hat das private Vorsorgesparen? Was müssen gerade junge Leute nun machen?
Es kommt natürlich auf die Mittel an, die zur Verfügung stehen. Doch wenn ich mir die allgemeine wirtschaftliche Lage und unsere langfristige Geldpolitik ansehe, haben junge Leute heute gar keine andere Wahl. Sie müssen privat vorsorgen. Das ist leider so.

Gibt es einen Ausweg?
Die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Wirtschaft in den nächsten Jahren gar nicht mehr wächst, ist eher gering. Also (ALSN 238 0%) muss in Anlageklassen investiert werden, die dieses Wachstum am ehesten abbilden, und das sind ganz eindeutig Aktien. Junge Leute können und müssen in Aktien investieren.

Woran denken Sie noch?
Exchange Traded Funds bieten eine gute Möglichkeit zum Diversifizieren. Vor allem wenn zu Beginn vielleicht nicht so viele Mittel zum Sparen zur Verfügung stehen. ETF sind zwar für viele sogenannte professionelle Anlagestrategen so langweilig wie Hafersuppe,  aber sie führen kostengünstig  zum Ziel. Zudem sind 3a-Fonds für die private Vorsorge gut geeignet.

Und wie sollten sich Privatpersonen denn ­strategisch positionieren?
Junge müssen sich fragen, wann sie das Geld benötigen. Vorsorgegelder sollten immer langfristig mit einem Horizont von 25 Jahren angelegt werden. Das reicht historisch betrachtet aus, um eine positive Rendite zu erwirtschaften. Wenn kurzfristig in Aktien investiert wird, etwa um in die Ferien zu fahren, ist das viel zu riskant. Denn das Investment könnte sich kurzfristig sogar halbieren. Ein langfristiger Investor kann solche Rückschläge aussitzen.

Gut, dann müssten wir diesen alternativlosen ­Status quo des Sparens der Bevölkerung erklären und verlangen, dass der Gürtel enger geschnallt wird. Oder würde das zu Spannungen führen?
Es gibt kaum Anlagealternativen. Unsere Pensionskassen können froh sein um fette Jahre an den Aktienmärkten wie 2019, damit etwas Speck angesetzt werden kann. Darum ist es an der Zeit, dass wir endlich faktenbasiert über unsere Vorsorge reden. Doch leider haben wir diese über­rissenen, theoretischen Umwandlungssätze, verbunden mit unserer Langlebigkeit.

Müsste das Rentenalter für Männer und Frauen ­höher geschoben werden?
Die Erwartung an die monatliche Pensionsrente basiert leider auf illusionär gewordenen Vorstellungen vom künftigen Zins- und Investmentertrag und einer zu tief angenommenen Lebenserwartung. Das Verschieben des Rentenalters ist ein­deutig die tauglichste Reformidee. Es hat einen doppelten Vorteil. Es würde während zusätzlicher Erwerbsjahre in die Pensionskasse eingezahlt und gleichzeitig später mit dem Verzehr des Gesparten in Form der Pensionsrente begonnen.

Wie sollte eine Rentenaltererhöhung am besten umgesetzt werden?
Zu beachten ist, dass die Längerbeschäftigung über das 65. Lebensjahr hinaus gefördert wird, und für Menschen aus Berufen mit harter kör­perlicher Beanspruchung braucht es besondere ­finanzielle Rentenlösungen. Dann plädiere ich für eine möglichst liberale und flexible Form. Wer erst mit 66 oder 67 in Rente geht, würde ab diesem Zeitpunkt eine höhere monatliche Rente erhalten als bei Rentenbeginn mit 65. Jeder könnte das passende Arbeits-/Rentenpaket wählen.

Die aktuelle Rentenreform belässt das Pensionsalter und will lediglich den Umwandlungssatz im ­Obligatorium der beruflichen Vorsorge senken. Sind Sie deshalb gegen eine solche Reform?
Sie geht immerhin in die gebotene Richtung, aber will ja nur für den gesetzlich obligatorischen Teil die Rentenberechnung ein Stück weit der Lebenserwartung anpassen. Die allermeisten Pensionskassen führen auch darüber hinausgehende überobligatorische Altersleistungen. Dafür können die Kassen selbständig eine eigene Rentenreform durchführen, ohne auf die Beschlüsse von Parlament und Stimmvolk warten zu müssen. Ich plädiere für diese privatisierte Reform.

Dem Bundesrat schlägt die Fachkommission vor, den BVG-Mindestzins für 2021 von 1 auf 0,75% zu vermindern. Was halten Sie davon?
0,75% Zinsversprechen ist mit Blick auf die Marktrenditen zu hoch. Ich kann mich nicht damit ­abfinden, dass ein Mindestzins kollektiv für alle Vorsorgeeinrichtungen festlegt werden muss.

Riskieren wir im Vorsorgethema für politische ­Entscheide ein Versagen, weil etwa ein Viertel der Bevölkerung vom Stimmrecht ausgeschlossen ist?
Die ausländischen Bewohner dürfen in ihrer betrieblichen Pensionskasse wie die schweizerischen Kollegen auf die paritätische Vertretung im Stiftungsrat und die Beschlüsse einwirken. Ein poli­tisches Manko sehe ich vielmehr darin, dass die jüngeren Generationen sich viel zu wenig mit der Altersvorsorge abgeben und mitbestimmen. Alle Parteien, und besonders die links der Mitte, müssten tatkräftiger für die Interessen der Jüngeren ­eintreten, etwa durch eine radikalere Reform der zu hohen Rentenberechnung.

Geldpolitik geht nunmehr seit vielen Jahren mit der Giesskanne. Als ehemaliger Bankrat der ­Schweizerischen Nationalbank SNB (SNBN 4820 -3.41%) haben Sie ­sicherlich bessere Lösungen?
Die SNB ist leider nicht frei. Unser Land ist Teil eines Geldsystems, das zwischen den Währungsräumen den Zinswettbewerb praktisch ausgeschlossen hat. Die Notenbanken tendieren überall zu Nullzinsen. Deshalb hängt die SNB in den Seilen. Ich kann ihr nur empfehlen, erratische ­Bewegungen zu vermeiden.

Ist die SNB in Geiselhaft?
Ist es die Europäische Zentralbank nicht auch? Und ebenfalls das amerikanische Fed wegen der selbst auferlegten volkswirtschaftlichen Vorgaben? Sie sind in einer Art Geiselhaft, wegen der Anleihen ihres eigenen Staates im Portfolio. Je mehr sie davon in der Notenbankbilanz haben, desto mehr werden Zinserhöhungen verunmöglicht. Sonst droht ein Desaster am Obligationenmarkt. Die SNB hat immerhin bislang keine Bundesanleihen aufgekauft. Aber das geldpolitische System hat sich so weit verdreht, dass es kaum mehr aus der Sackgasse finden wird.

Können Crowdfunding und die auf Fintech ­basierenden Neobanken etwas bewegen?
Da ist vieles unterwegs, besonders für die Ver­mittlung von Risikokapital von Investoren an neu gestartete oder expansive Unternehmen. Doch die Geldmultiplikation von Einlagen in Kredite auf einer grossen Bilanz wird das nicht ersetzen. Schon bei der Finanzkrise im Jahr 2009 war es im Kern weniger ein Liquiditätsproblem, als was es oft dargestellt wurde, als ein Solvenzproblem. Und dieses ist mit den heutigen Kapitalanfor­derungen noch immer da. Das Geldsystem wirft zu viele Fragen auf.

Haben Sie Antworten darauf?
Nein. Dazu müssen wir zuerst die geänderten ­Zusammenhänge verstehen. Denn wir wissen nicht wirklich, wo es klemmt. Weshalb hat der  ­Bargeldumlauf abgenommen und lediglich das kontomässige Buchgeld expandiert?

Wird es gar gefährlich, wenn hier Fintech-Banken ­hineindrängen, mit coolen Zahlkarten und einem auf Community setzenden Gemeinschaftsgefühl?
Angezogen von diesen Angeboten werden wohl eher jüngere Leute, die keine oder wenig finanzielle Verpflichtungen haben. Da dürfen Unfälle passieren. Ein Ausprobieren neuer Geschäfts­modelle, mithin ein Try and Error, bringt uns alle weiter. Und die auf Blockchain basierenden Bankprodukte hat die Finanzmarktaufsicht mit gesonderter Regulierung scharf im Blick.

Was macht gute unternehmerische Governance aus? Welche Lehren ziehen Sie aus dem Scheitern mit Ihrem Geschäftsmodell der Bank Wegelin?
Wer unternehmerische Risiken eingeht und verantwortet, darf sich nach einem Scheitern oder Umfallen nicht beklagen. Ich habe das nie klein­geredet. Wichtig war mir, dass bei Wegelin weder Kunden noch Mitarbeiter zu Schaden gekommen sind. Echte Unternehmer tragen den Schaden an der eigenen Person und im Firmenkapital. Heute sind alle Unternehmensleitungen strategisch stark gefordert. Verwaltungsräte müssen entscheiden, obgleich wirtschaftliche Prognosen selten so ungewiss waren. Die Anforderungen an sie dürfen keinesfalls unterschätzt werden.

Und wie lauten Ihre Lehren aus der Pandemie? Gibt es einen Lichtblick?
Wir haben alle feststellen müssen, wie lausig wir im Kollektiv auf so etwas vorbereitet waren. Es fehlte an Gesichtsmasken, an medizinischen Geräten und am Medikamentenvorrat. Besser, als hamstern, ist es, eigenverantwortlich bestimmte Vorräte zu halten. Vorsorge darf nicht nur allein auf Geld bezogen sein, denn es allein zählt im ­Notfall nur wenig. Reserven und Vorräte zu ­halten, muss auch den Unternehmen zugestanden werden, weshalb Investoren nicht unüberlegt eine höhere Dividende oder Sonderausschüttungen verlangen sollten.

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