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18:20 Uhr - 30.04.2020

«Der Optimismus könnte übertrieben sein»

Fernando Martins da Silva, der Chefstratege der Waadtländischen Kantonalbank, hält Gold für interessant und rechnet mit einer zweiten Erholungsphase an den Aktienmärkten.

Herr Martins da Silva, trauen Sie dem jüngsten Optimismus, der die Aktienmärkte derzeit antreibt?
Nur zum Teil. Wir hatten bis Mitte März drei sehr schlechte Wochen an den Aktienmärkten. Davon war die dritte Woche geprägt von Zwangsverkäufen aufgrund von Margin Calls, was besonders schmerzhaft war. Die Erholung, die wir jetzt erleben, ist zum Teil vor allem die Korrektur dieser dritten, sehr schlechten Woche. Zudem haben die staatlichen Hilfspakete und die Massnahmen der Zentralbanken die Stimmung der Investoren aufleben lassen, und dieser Optimismus könnte etwas übertrieben sein.

Warum genau?
Die Erholung an den Märkten ging sehr schnell vonstatten. Sie profitierte vom guten Abschneiden der grossen Titel aus dem Bereich Informationstechnologie und am Schweizer Aktienmarkt von den grossen defensiven Werten, auf die Anleger aufsprangen, die sich jetzt defensiv positionieren möchten. Bei den zyklischen Valoren sieht es dagegen ganz anders aus. So gesehen befinden wir uns in einem polarisierenden Marktumfeld, und ich bin daher misstrauisch, was eine nachhaltige Erholung betrifft.

Mit welcher Besserung rechnen Sie?
Um dies zu beschreiben, wird oft von L-, V-, W-, oder U-förmiger Erholung gesprochen. Wenn es schon ein Symbol sein muss, erwarte ich eine Quadratwurzel. Die Wirtschaft dürfte erst Ende 2021 nach einer zweijährigen Konsolidierungsphase dort sein, wo wir vor der Krise waren. Denn die Pandemie hat nicht bloss dem Arbeitsmarkt geschadet, sondern auch dem Vertrauen der Konsumenten und der Unternehmen. Dieses Vertrauen kommt erst in einer zweiten Erholungsphase zurück.

Was genau ist denn in den Kursen eingepreist und was nicht?
Eine starke Rezession ist eingepreist. Das zweite Quartal wird schlimm, das wissen wir. Was mir nicht gefällt, ist, dass viele Marktteilnehmer auch einen raschen Anstieg der Gewinne erwarten. Davon gehe ich aber nicht aus. Denn auch nach der Finanzkrise 2008 kehrten die Gewinne erst nach zwei bis drei Jahren auf das frühere Niveau zurück. Vielleicht wird es diesmal zu Beginn eine schnelle Besserung geben. Aber dann wird es schwerer, weil viele Branchen wie Reise und Tourismus sich nur langsam zurückkämpfen werden. Für die wird es hart. Der Markt scheint sich dessen noch nicht bewusst zu sein. Kommen die ersten Rückschläge, ist das Enttäuschungspotenzial gross.

Dann wäre es jetzt besser, noch an der Seitenlinie auf den nächsten Rückschlag an den Börsen zu warten?
Ein sehr starker Anstieg der Aktienkurse birgt immer Risiken. Wie gross die Verwerfungen in der Wirtschaft effektiv sind, ist im Moment schwer zu sagen. Deuten sich im dritten Quartal Verzögerungen im Erholungsprozess an, werden neue Zweifel aufkommen. All das kann zwischenzeitlich die Aktienmärkte wieder belasten. Von daher ist es ratsam, sich umsichtig zu verhalten und das Portfolio abzusichern, auch mit Optionen.

«Defensive Aktien sollten die Basis des Portfolios sein. Doch es ist an der Zeit, Qualität unter den Zyklikern zu suchen.»

Auf welche Signale sollten Investoren denn konkret achten?
Das dritte Quartal wird entscheidend sein, und auch, ob die US-Konsumenten in der Lage sein werden, den Stimulus, der verteilt wurde, zu nutzen. Wenn sie ihre geplanten Ausgaben, etwa für ein neues Auto oder den Kauf eines Hauses, aus mangelndem Vertrauen zurückhalten, ist Vorsicht geboten. Bei den zyklischen Indikatoren wird die Entwicklung des australischen und des US-Dollars interessant sein. Eine Abschwächung des US-Dollars wäre das Signal für eine einsetzende Erholung. Das Gleiche gilt für tiefere Goldpreise gegenüber dem Kupferindex und ebenso, wenn der Marktfokus, der im Moment zu sehr auf den Large Caps liegt, zugunsten von Small und Mid Caps dreht.

Was wären denn Ihr schlimmstes und Ihr bestes Szenario?
Schlimm wäre eine heftige Rezession, gefolgt von einer mickrigen Erholung im dritten Quartal. Wenn die Rezession noch länger dauert, belastet dies vor allem die kleinen Unternehmen. Wenn das Geschäftsklima leidet und das Vertrauen der Konsumenten trotz Geldspritzen nicht zurückkehrt, wäre es wirklich schlimm. In einem positiven Szenario sehe ich die Mittelschicht in den USA als Treiber. Sobald sich eine Normalisierung der Wirtschaft abzeichnet, wird die Mittelklasse wieder investieren und konsumieren. Das bringt die Gewinne zwar noch nicht auf ein hohes Niveau zurück, aber das Vertrauen wäre gestärkt, was auch auf andere Bereiche überspringt. Aktien werden wieder attraktiv. Das alles könnte sogar noch weiter beschleunigt werden, wenn ein Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt und bald zugelassen wird.

Welche Bewertungskriterien sind momentan für Aktien entscheidend?
Kurzfristig achten die Käufer auf Wachstum, Qualität und Rendite. Wie etwa bei den drei Schweizer Large Caps Roche (ROG 335.45 -1.87%), Novartis (NOVN 82.26 -3.29%) und Nestlé (NESN 101.9 -1.05%). Sobald sich daneben irgendwo ein weiteres Wachstumssegment zeigt, beispielsweise Informationstechnologien, wird auch dort sofort zugegriffen. In der zweiten Phase der Erholung, wenn das Vertrauen zurück ist, wird sich der Markt auf Value-Faktoren konzentrieren.

Welche Sektoren bevorzugen Sie?
Kurzfristig Aktien aus den Bereichen Informationstechnologien, Grundnahrungsmittel und Pharma, auch wenn das Potenzial hier weitgehend ausgeschöpft scheint. Defensive Valoren sollten jetzt die Basis des Portfolios sein. Doch es ist an der Zeit, Qualität unter den Zyklikern zu suchen. Zum Beispiel unter den Industrie- oder den zyklischen Konsumwerten.

Welche genau?
Anleger sollten nur auf Unternehmen setzen, die in ihren Bereichen am besten positioniert sind, um von einem verbesserten wirtschaftlichen Umfeld zu profitieren. Damit sind wir für den zweiten Teil der Erholung am besten positioniert.

Abgesehen von Aktien, welche anderen Asset-Klassen bieten sich an?
Ist der Konsens zu positiv, ziehe ich es vor, Positionen bei Konsolidierungen einzunehmen. Davon abgesehen bleibt Gold (Gold 1687.5 -1.5%) aber in den nächsten sechs Monaten interessant. Auf der Währungsseite dürfte sich der Dollar bei einer nachhaltigen Erholung abschwächen. Gegenwärtig profitiert er von seinem Status als Reservewährung, sollte das Wachstum jedoch zurückkehren, dürfte er von den Massnahmen der US-Notenbank Fed beeinflusst werden. Davon ausgehend könnten einige Schwellenländerwährungen stärker werden. Zu meiden sind aber Schwellenländer, die abhängig vom Öl sind. Dort rechne ich mit Kreditausfällen, auch wenn der Ölpreis wieder anzieht.

Haben die Zentralbanken genug getan, oder waren die Massnahmen zu viel?
Zentralbanken wissen, dass noch sehr viele Schulden im System sind. Von daher wollten sie eine Kette von Kreditausfällen um jeden Preis vermeiden, denn davon hätten wir uns kaum erholt. Es ist schwer zu sagen, ob sie genug getan haben. Sie haben die Lage auf jeden Fall beruhigt, und die Kreditrisikoprämien bei den Obligationen sind zurückgegangen. Insgesamt glaube ich sogar, dass wir uns an diese geldpolitischen Stützungsmassnahmen gewöhnen müssen. Global gesehen haben Zentralbanken ein wichtiges Zeichen gesendet, dass wir die Krise überwinden können. Von daher haben sie richtig gehandelt. Wir dürfen nicht vergessen: Die Krise, in der wir festsitzen, ist nicht durch wirtschaftliche Ungleichgewichte hervorgerufen worden, sondern von einer Pandemie. Daher wird sich die Rückkehr zur Normalität auf anderen Wegen einstellen als bei wirtschaftszyklischen Rezessionen.

Wird speziell das Massnahmenpaket der US-Notenbank Fed zu Inflation führen?
Zunächst, bis 2021, nein. Es wird einige Zeit dauern, bis der Nachfrageschock nachlässt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Inflation in zwei Jahren, falls die Erholung ausreichend nachhaltig ist, etwas höher sein wird, als wir es gewohnt sind. Die vom Fed in die Wirtschaft injizierten Beträge sind riesig. Für dieses Jahr werden sie auf 25% des US-BIP geschätzt.

Und mit Blick auf Europa?
Mit Blick auf Europa sollte die Europäische Zentralbank den Süden mehr unterstützen und sich auf Länder konzentrieren, die langfristig zum Problem werden könnten, wie Italien mit seinem Schuldenberg. Das muss angesprochen werden. Diese Missverhältnisse zwischen Nord- und Südeuropa machen mir wirklich Sorgen.

Könnte denn in Europa und der Schweiz eine Inflation drohen?
Wie in den Vereinigten Staaten scheint dies in den nächsten zwei Jahren unwahrscheinlich. Wie es sich danach entwickeln wird, hängt von der Zentralbank- und der Fiskalpolitik ab. Und dem Grad der langfristiger Monetarisierung von Schulden.

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