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14:50 Uhr - 22.08.2014

«Die Probleme Frankreichs werden überschätzt»

Clemens Fuest, Leiter des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, geht davon aus, dass die Sorgen in der Eurozone vorerst gebannt sind.

Der Kollaps der portugiesischen Banco Espirito Santo weckte jüngst unschöne Erinnerungen an frühere Hochphasen der Eurokrise. Die Finanzmärkte zeigten allerdings eine besonnene Reaktion. ZEW-Präsident Clemens Fuest geht denn auch davon aus, dass die Eurozone langfristig die Wende zum Besseren schafft – selbst wenn diverse Problemherde bestehen bleiben.

Professor Fuest, sind die Zeiten, in denen man ein Auseinanderbrechen der Eurozone befürchten musste, endgültig vorbei?
Endgültig sicherlich nicht, aber kurzfristig dürften die Sorgen gebannt sein. Jedoch müssen die kommenden Jahre zeigen, dass die Peripheriestaaten auch tatsächlich in der Lage sind, ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen und die immer noch hohen Schulden im privaten und öffentlichen Sektor abzubauen. Gelingt das nicht, bleibt die Eurozone verletzlich.

Aber die Chance einer Gesundung besteht?
Oft wird behauptet, die Mitglieder der Eurozone seien zu unterschiedlich, um eine gemeinsame Währung haben zu können. Ich halte das für falsch. Die Eurozone kann dauerhaft gesunden, wenn die Wirtschaftspolitik die Weichen richtig stellt.

EZB-Chef Mario Draghi hat versprochen, alles zu tun, um den Euro zu retten. Letztlich hat er damit lediglich der Politik Zeit zum Handeln gekauft. Was sind hier für Fortschritte festzustellen?
Sicherlich sind die Bemühungen der Politik, die Defizite zu beseitigen und Reformen für höheres Wachstum anzustossen, noch nicht überall im gewünschten Mass vorangekommen. Aber es ist auch nicht so, dass die Zeit ungenutzt verstrichen wäre. Denken Sie beispielsweise an Irland. Dort sind die Löhne deutlich gesunken und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hat sich stark verbessert. Auf europäischer Ebene wurde die Errichtung der Bankenunion vorangetrieben. Es ist wie so oft in der Politik: Es geht in die richtige Richtung, aber es könnte deutlich schneller passieren.

Gibt es ein Krisenland der Eurozone, das sich besonders positiv entwickelt hat?
Alle Länder sind vorwärtsgekommen, weisen aber spezifische Probleme auf. So stossen die Reformen zum Teil an rechtliche Grenzen. Ich erinnere an Portugal, wo das Verfassungsgericht häufiger in den Reformprozess eingegriffen hat. In Italien gibt es – wie auch in anderen Staaten – Interessenkonflikte zwischen Beschäftigten und Arbeitsplatzsuchenden. In einer Demokratie benötigen Reformen eben Zeit und gehen oft nicht so weit wie von aussen gewünscht. Einen herausragenden Star unter den Reformländern sehe ich nicht.

Von den grossen europäischen Volkswirtschaften sind es vor allem Italien und Frankreich, die Sorgen bereiten. Wie sehen Sie die wirtschaftliche Zukunft Frankreichs?
Ich habe den Eindruck, dass in Deutschland die Probleme des Nachbarn überschätzt werden. Es gibt in Frankreich keine tiefen sektoralen Verwerfungen wie in Spanien oder anderen Krisenländern. Ein Boom der Häuserpreise – einhergehend mit einer enormen Expansion des Bausektors – hat hier nicht stattgefunden. Ausserdem sind die privaten Haushalte in Frankreich weniger verschuldet als in vielen anderen Staaten.

Wo liegen denn die Herausforderungen?
In den letzten Jahren sind die Weichen in der Wirtschaftspolitik falsch gestellt worden: Die Regierung hat die Steuern erhöht, die Staatsausgaben ausgedehnt und der Bevölkerung versprochen, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen, ohne dass es schmerzt. Dieses Versprechen ist nicht zu halten. Trotzdem kann sich die französische Wirtschaft erholen. Voraussetzung ist allerdings primär eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen sowie Kürzungen der Staatsausgaben.

Wie dürfte das konkret geschehen?
Vor allem soll es zu einer Entlastung bei den Lohnnebenkosten kommen. Das ist ein wichtiger Schritt zur Belebung des Arbeitsmarktes. Wenn es der Regierung gelingt, ihre Wirtschaftspolitik neu auszurichten, sind die Probleme des Landes lösbar. Die französische Wirtschaft hat Stärken, etwa gut positionierte Marken und Hochtechnologie. Diese gilt es zu nutzen.

Derweil weist Italien zu hohe Defizite auf, kündigt aber für 2015 eine sinkende Schuldenquote an. Ist das glaubhaft?
Ich bezweifle, dass das gelingen wird. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi ist mit dem Versprechen angetreten, die Konsolidierungspolitik abzuschwächen und Steuern zu senken. Dadurch wird sich das Defizit erhöhen. Die Hauptprobleme Italiens sind aber die hohe Staatsverschuldung und die mangelnde Wachstumsdynamik. Unter anderem ist die Besteuerung wenig unternehmensfreundlich, die Bürokratie ist schwerfällig und der Arbeitsmarkt ist stark reguliert. Hier müsste die Politik ansetzen.

Italien übt derzeit die EU-Präsidentschaft aus. Renzi hat angekündigt, alles für eine «Kombination aus Reformen und mehr Bewegungsspielraum für die öffentlichen Finanzen» zu tun. Kann das aufgehen?
Ich glaube nicht. Es gehört zu den chronischen Krankheiten der Finanzpolitik, dass es für den Schuldenabbau nie den richtigen Moment gibt. Es ist immer einfacher, ihn hinauszuzögern. Das hat Italien in eine Situation gebracht, in der die Staatsverschuldung so hoch ist, dass der fiskalpolitische Spielraum fehlt. Was in den letzten Jahren immer wieder versprochen worden ist – eine Rückführung der Defizite hin zu einem ausgeglichenen Haushalt – muss nun auch umgesetzt werden. Glaubwürdigkeit ist wichtig. Es ist eine Illusion zu meinen, die Schulden weiter ausdehnen und so unangenehme Anpassungen vermeiden zu können.

Dürfte Italien im Bestreben, die Maastrichtverträge und den Stabilitätspakt weiter aufzuweichen, vor allem aus dem südlichen Euroraum Unterstützung erfahren?
Auch in Südeuropa gibt es Politiker, die wissen, wie wichtig eine stabilitätsorientierte Fiskalpolitik ist. Trotzdem existieren Kräfte, die den Stabilitäts- und Wachstums­pakt loswerden und die Schuldenpolitik fortsetzen wollen. Hier wird deutlich, dass die von der EZB ausgesprochene Garantie für Staatsschulden schädliche Nebenwirkungen hat. Ihr Plan, Europa durch niedrige Zinsen Luft für den Defizitabbau zu verschaffen, könnte scheitern. Hier ist vor allem die Europäische Kommission – als Hüterin des Stabilitätspaktes und der Verträge – gefordert, deutliche Worte zu sprechen.

Also droht im Euroraum eine Dauerkrise?
Nein. Eine Dauerkrise würde drohen, wenn die Fiskalpolitik in Europa den Konsolidierungskurs aufgäbe. Dazu ist es bislang glücklicherweise nicht gekommen. Ich setze darauf, dass die Regierungen den Reformkurs gemeinsam fortsetzen und die Eurozone eine dauerhafte Wende zum Besseren schafft.

Wie steht es um die Investitionstätigkeit und den Konsum?
Sowohl die Investitionen als auch der private Konsum sind letztes Jahr in der Eurozone noch geschrumpft. 2014 werden sie expandieren – und für 2015 wird erwartet, dass sich die Erholung fortsetzt. Die Investitionsbedingungen haben sich seit dem vergangenen Jahr verbessert: Die weltwirtschaftlichen Risiken haben abgenommen, die Volatilität an den Finanzmärkten vermindert sich und die Sanierung des europäischen Bankensektors kommt voran, so dass sich auch die Bedingungen für die Kreditvergabe verbessern.

Welche Wirtschaftszweige profitieren besonders von der leichten konjunkturellen Belebung?
Bislang wird die wirtschaftliche Erholung in den Peripheriestaaten vor allem durch den Exportsektor getragen. In Ländern wie Spanien spielt die Tourismusindustrie eine zentrale Rolle. Auch die Kraftfahrzeugbranche, die vor allem in Südeuropa von der Krise gebeutelt war, konnte sich zuletzt wieder über steigende Zulassungszahlen freuen. Schwieriger ist die Lage im Bausektor. Dieser expandiert in Deutschland zwar kräftig. In Südeuropa ist er dagegen erheblich beeinträchtigt. Das Ende des Baubooms – besonders in Spanien – bedeutet, dass es lange dauern wird, bis sich die Branche erholt.

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