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11:09 Uhr - 13.03.2018

«Die Korrektur ist noch nicht vorbei»

Luiz Pinto-Coelho, Chefstratege der Bank Gutzwiller, geht von mässiger Inflation und steigenden Zinsen aus. Die Börsen würden weiter Luft ablassen, was jedoch gesund sei.

Herr Pinto-Coelho, was dachten Sie, als die Börsen vor gut einem Monat plötzlich tauchten?
Mein erster Gedanke war: Das ist jetzt die Korrektur, die ich schon im vergangenen Herbst erwartet hatte. Dass die Märkte letztes Jahr nochmals kräftig zugelegt haben, hat mich überrascht. Selbstverständlich gaben die global wachsende Wirtschaft und die guten Unternehmensgewinne den Börsen Schub. Alles Negative wurde ignoriert.

Woran denken Sie?

An die politischen Auseinandersetzungen und Spannungen. Mit der Ankündigung von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium durch US-Präsident Trump haben sie sich noch akzentuiert. Ob es zu einem Handelskrieg kommt, bleibt offen. Das brächte die Weltkonjunktur in Schwierigkeiten. Aber auch wenn die Suppe kaum so heiss gegessen wird wie gekocht, bleibt die Nervosität an den Märkten gross. Der Grund dafür sind die Zinsen. Sie werden bis auf weiteres das Börsengeschehen dominieren.

In welcher Form, worauf stellen Sie sich ein?
Dass die Zinsen steigen werden, zumindest am langen Ende, ist gewiss. Die Konjunktur ist weltweit in Schwung gekommen, und statt Deflation wird Inflation zum Thema, nicht dramatisch, aber auch nicht wegzudiskutieren. Als Beispiel dient der Lohndruck, der vom wieder voll ausgelasteten Arbeitsmarkt in den USA ausgeht. Höhere Zinsen in den USA drücken das Zinsniveau weltweit nach oben. Das lässt sich in einer global wachsenden Wirtschaft nicht vermeiden. Das Marktklima ist vor diesem Hintergrund instabil geworden.

Zurzeit rentieren zehnjährige US-Staatsanleihen rund 2,9%. Bei deutschen und bei Schweizer Regierungsanleihen sind es 0,65 respektive 0,07%. Wo sehen Sie die Renditen Ende Jahr?
Wir gehen von leicht höheren Renditen aus. Sie steigen in den USA gleich stark wie der Leitzins. In Europa folgt der Renditeanstieg verzögert.

Die Börsenkorrektur geht also weiter, auch wenn der Gedanke an höhere Zinsen nicht mehr neu ist, wie der Kursrutsch der letzten Wochen belegt?
Davon bin ich überzeugt, aber wie gesagt: Es ist kein Drama, wenn die Aktienmärkte zurückkrebsen und die Zinsen sich vom niedrigen, von den Notenbanken künstlich tief gehaltenen Niveau lösen. Zu einer gesunden, normalisierten Wirtschaft gehört, dass Sparer belohnt werden und Schuldner für Geld, das sie sich besorgen, bezahlen müssen. Nur so wird sinnvoll investiert und entstehen wirtschaftlich nachhaltige Strukturen.

Wo werden die Aktienmärkte Ende Jahr notieren, höher oder niedriger als heute?
Ich gehe davon aus, dass sie niedriger sein werden. Aktien haben von einer aussergewöhnlichen Konstellation profitiert, wie Obligationen auch, von Null- und Negativzinsen, wie sie nur im Ausnahmefall vorkommen dürfen. Der Weg zur Normalisierung ist langwierig und steinig, aber notwendig und am Ende positiv.

Würden Sie so weit gehen und sagen, die Aktienhausse ist vorbei?
Ich denke, ja, die goldenen Zeiten für Aktien sind mindestens unterbrochen. Wobei ich nicht wehklagen will. Aktien sind noch immer attraktiver als Obligationen, und eine Hausse muss nicht mit einem Absturz enden. Ein Crash wäre wahrscheinlich, wenn die Zinsen abrupt nach oben schnellten, was aber nicht zu erwarten ist. Eher läuft es auf einen schrittweisen, von den Notenbanken umsichtig orchestrierten graduellen Anstieg hinaus. Trotzdem ist das für die Märkte ein neues Regime, dem sie sich anpassen müssen. Ich gehe von einer Korrektur in Etappen aus, von Rücksetzern im Wechsel mit Erholungsphasen.

Wie tief werden die Kurse fallen?
Ich kann mir eine Korrektur von 15 bis 20% vom Höchst im Januar durchaus vorstellen. Ob in voller Stärke schon dieses  Jahr, ist ungewiss. Konjunktur und Unternehmensgewinne geben den Aktienmärkten Rückenwind. In Europa und mit Verzögerung in der Schweiz hat die wirtschaftliche Besserung erst jetzt richtig eingesetzt. So könnte sich eine Korrektur ins nächste Jahr hinziehen, wenn sich die  US-Wirtschaft abzuschwächen beginnt. Die Unternehmensgewinne in den USA bewegen sich allmählich am Limit. Mein Börsenszenario für 2018 ist: mehr Volatilität, mehr Kursschwankungen und sicher kein so grosser Anstieg mehr wie vergangenes Jahr.

Was empfehlen Sie dem Anleger in dieser Situation: radikal Aktien verkaufen?
Nein, schwächere Phasen eröffnen immer wieder Einstiegschancen, und wenn wir allein auf die Dividendenrendite schauen, liefern solide Titel weiterhin ein deutlich höheres Einkommen als erstklassige Anleihen. Aber das Aktienportfolio sollte noch gezielter zusammengestellt werden, fokussiert auf Werte von Unternehmen, die einwandfrei finanziert sind, zuverlässig wachsen und eine gute Dividende zahlen.

Welcher Aktienanteil im Depot ist derzeit angemessen?
In unserem ausgewogenen Portfolio halten wir schon länger 30% Aktien. Damit hatten wir uns letztes Jahr Chancen vergeben. Dafür sind wir jetzt, wo die Zeiten turbulenter werden, gut aufgestellt und werden an dieser Quote festhalten.

Mit 30% liegt Gutzwiller unter dem Anteil anderer Banken. Haben Sie keine Angst, Performance zu verpassen?
Für Kunden, die aggressiver unterwegs sein wollen, haben wir das Wachstumsportfolio. Es ist mit einem Aktienanteil von 60% ausgestattet, umfasst dafür nur 5% Cash und 5% Obligationen, während es im ausgewogenen Modell 20% Cash und 25% Anleihen sind. Damit bieten wir dem Kunden eine echte Alternative. Das Balanced-Portfolio ist unser Basismodell, das Wachstumsdepot richtet sich an risikofähige Personen, die bewusst sportlicher agieren wollen.

Fokussieren auf Qualität, auf solide Aktien mit guter Dividendenrendite. An welche Titel denken Sie konkret?
Am Schweizer Markt gefallen uns zum Beispiel die Aktien des Aromaherstellers Givaudan (GIVN 2223 0%). Sein stetes Wachstum ist beeindruckend. Ebenfalls sehr solid unterwegs sind Straumann (STMN 641 -1.84%), Bobst (BOBNN 117.4 0.26%) und Temenos (TEMN 117.5 0.86%). Arbonia (ARBN 17.62 1.03%) zahlt zwar noch keine Dividende, aber der Konzernumbau unter dem neuen Management stimmt zuversichtlich. Eine attraktive Einstiegschance bieten Kühne + Nagel (KNIN 149.6 0.27%). Die Titel des global stark verankerten Logistikkonzerns notieren rund 20% unter dem Höchst und weisen eine Dividendenrendite von knapp 4% auf.

Und im Ausland?
Der Tech-Sektor ist weiterhin attraktiv, mit Aktien wie Alphabet, der Muttergesellschaft von Google (GOOGL 1165.93 0.44%). Ein konstanter Wachstumswert ist auch der US-Medizinaltechniker Becton Dickinson. In Europa mögen wir unter anderem LVMH (MC 286.1 2.91%). Sie ist der König unter den Luxusherstellern. Auch L’Oréal (OR 0 0%) und VW favorisieren wir. Im VW-Kurs sind die Folgen des Dieselskandals diskontiert, und der Autobauer profitiert mit seinen Premium-Marken Audi, Porsche, Lamborghini und Bentley wie LVMH und L’Oréal vom wachsenden globalen Reichtum.

In den Aktienfondsdokumenten schreibt Gutzwiller explizit, Finanzwerte würden gemieden. Weshalb, wenn höhere Zinsen doch die Zinsmarge der Banken verbessern?
Die Zinsmarge ist nur eines. Geschäftsmodell und Markteinflüsse besonders von Grossbanken sind so komplex, dass zuverlässige Aussagen über die Gewinnaussichten sehr schwierig sind. In geringerem Mass trifft das auch für Versicherer zu. In der Industrie ist die Visibilität, die Sichtbarkeit der zukünftigen Entwicklung viel besser, weshalb wir den Industriesektor unter Ausklammerung besonders zyklischer Werte weiterhin vorziehen.

Ausser Bonds, Cash und Aktien umfassen die genannten Musterportfolios je 10% Gold (Gold 1318.56 -0.48%) und 15 bis 20% alternative Fonds. Was sind die Überlegungen dazu?
Alternative Fonds sind Hedge Funds, die Aktien auch leer verkaufen, also von sinkenden Kursen profitieren. Cash, Alternative und Gold stabilisieren das Depot. Gold dient uns traditionell als Versicherungsschutz, könnte jedoch auch zur Wachstumsquelle mutieren. Bei mässiger Inflation und schwächerem Dollar macht Gold in der Regel keine schlechte Figur.

Stichwort Dollar, wie wichtig ist die Währungsallokation aus Frankensicht?
Weil auch der Devisenmarkt volatiler geworden ist, ist Diversifizieren angeraten, so wie zwischen und innerhalb der Anlageklassen. Da die europäische Wirtschaft stärker wächst als die amerikanische, dürfte der Euro in Front bleiben, auch zum Franken. Die Schwäche des Dollars hält an, was wiederum die Schwellenländer begünstigt. Geht die Marktunsicherheit längerfristig weiter, könnte der Franken wieer ins spiel kommen – als Hort der Stabilität. Und früher oder später wird die SNB  ihre massiv ausgeweitete Bilanz abbauen und Fremdwährungen verkaufen müssen. Ergo bleibt der Franken stark.

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