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15:34 Uhr - 18.04.2016

«Temporäre Kursverwerfungen dürften sich wiederholen»

Jürg Rimle, Leiter von Pimco Schweiz, rät im Interview mit FuW, in allen Assetklassen auf Qualität zu setzen und für die kommenden Monate genügend Pulver trocken zu halten.

Herr Rimle, der turbulente Jahresbeginn zeigt: Die Nervosität an den Märkten ist gestiegen. Wie sollen sich Investoren in einem solchen Umfeld positionieren?
Es lohnt sich, in allen Assetklassen auf Qualität zu setzen. Bei den Unternehmensanleihen bevorzugen wir das Segment US-Investment-Grade – vor allem Bonds im Ratingbereich A bis BBB, gefolgt von US-High-Yield-Anlagen. Bei den Aktien sollte man Valuetitel übergewichten, weil die Bewertungsdifferenz zu den Wachstumstiteln sehr gross geworden ist. Ausserdem zahlt es sich aus, mehr Cash als üblich im Portfolio zu halten. Denn Phasen wie im Januar und Februar, in denen temporäre Übertreibungen Investmentchancen eröffneten, dürften sich in den kommenden Monaten wiederholen.

Können Sie Übertreibungen nennen?
Zwischenzeitlich wurde im Energie- und Rohstoffsegment der amerikanischen High-Yield-Anleihen eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 25% eingepreist – also dass jedes vierte Unternehmen konkurs geht. Für solche Situationen sollte man sich genügend Pulver trocken halten.

Wie stufen Sie das Bewertungsniveau der Aktienmärkte ein – gerade vor dem Hintergrund, dass sich vielerorts das Gewinnwachstum tendenziell abschwächt?
Vor allem in den USA halten wir das Bewertungsniveau für stattlich. Japan und Europa – darunter der Schweizer Aktienmarkt – wirken dagegen vergleichsweise attraktiv. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Zentralbanken. So lohnt es sich weiterhin, den Notenbanken zu folgen, die auf eine expansive Geldpolitik setzen. Hier wird sich die Inflation der Vermögenspreise fortsetzen.

Was halten Sie vom Markttenor, dass trotz hoher Bewertungen allein wegen tiefer Zinsen und mangelnder Alternativen zurzeit nichts an Aktien vorbeiführt?
Amerikanische High-Yield-Bonds offerierten Anfang Februar – selbst unter Ausklammerung des kriselnden Energie- und Rohstoffsektors – eine Mindestrendite auf Verfall von 7,5 bis 8%. Der US-Leitindex S&P 500 (SP500 2080.73 -0.1%) wies zur gleichen Zeit eine Gewinnrendite von 5,25% auf. Im High-­Yield-Segment erhielt man also rund 250 Basispunkte mehr Rendite auf Anlagen, die im Vergleich zu Aktien nur rund die Hälfte der historischen Volatilität aufweisen. Den Markttenor, es führe gegenwärtig nichts an Aktien vorbei, können wir deshalb nicht nachvollziehen.

Was spricht sonst noch für Bonds?
Für Anleihen ist ein Wirtschaftswachstum zwischen 1 und 3% optimal – ein «Sweet Spot». Denn hier kommt es weder zu Übertreibungen mit zu viel Verschuldung noch zu einer Rezession mit vermehrten Kreditausfällen und Herunterstufungen der Ratings. In den USA schätzen wir das Wachstum des Bruttoinlandprodukts zurzeit auf rund 2%. Aktien brauchen dagegen höhere Wachstumsraten – und gerade im amerikanischen Aktienmarkt stecken wir im vierten aufeinanderfolgenden Quartal in einer Gewinnrezession.

Wie schätzen Sie den Bankensektor ein, der zwar mit tiefen Bewertungen lockt, vor allem in Europa jedoch mit enormen Herausforderungen zu kämpfen hat?
Nach wie vor sind wir gegenüber nachrangigen Bankenbonds in Europa positiv eingestellt, wenn auch nicht mehr so stark wie zu Beginn des Jahres. Wir bevorzugen Finanzinstitute in Ländern, wo die Regularien vergleichsweise klar sind, wie etwa in Grossbritannien und der Schweiz: Hier drängen die Regulatoren die Banken dazu, ihr Kernkapital mit nachrangigen Instrumenten wie Coco Bonds zu stärken. Institute im EU-Raum, zum Beispiel Deutsche Bank (DBK 15.455 0.68%), meiden wir dagegen grösstenteils.

Worin sehen Sie die grössten makro­ökonomischen und politischen Risiken, die 2016 die Finanzmärkte belasten könnten?
Die drei wichtigsten Einfluss- und Risikofaktoren sind China, die Rohstoffmärkte und die Notenbanken. Wenn sich zum Beispiel die chinesische Wirtschaft überraschend schlecht entwickeln würde, zöge das einen ganzen Rattenschwanz an Verwerfungen nach sich: Der Renminbi kommt erneut unter Abwertungsdruck, andere asiatische Währungen verlieren ebenfalls an Wert, die Rohstoffmärkte brechen ein, der US-Dollar wird stärker, die Zinserhöhungen verzögern sich, Deflation wird importiert, Kreditausfälle mehren sich, was gleichzeitig den Finanzsektor in Mitleidenschaft zieht, die Sparquote steigt, der Konsum leidet. Einem solchen Szenario messen wir allerdings eine Wahrscheinlichkeit von lediglich 5 bis 10% bei.

Wie gross ist die Gefahr, dass die Kapitalmärkte in eine Abwertungsspirale geraten?
Wir denken, dass es am jüngsten G-20-Gipfel zu Absprachen oder zu einem stillschweigenden Einverständnis gekommen ist: China schränkt die Renminbi-Abwertung ein, dafür verlangsamen die USA das Tempo der Zinserhöhungen. Zusammen mit steigenden Ölpreisen hat das dazu beigetragen, den Markt zu beruhigen.

Wie hoch ist Ihrer Meinung nach das Risiko eines Brexit, also dass Grossbritannien die Europäische Union verlässt?
Wir schätzen die Wahrscheinlichkeit eines EU-Austritts auf 40%. Angesichts der drohenden Einschnitte für die britische Wirtschaft dürfte sich letztlich aber die Vernunft durchsetzen. Wir gehen folglich davon aus, dass Grossbritannien in der EU verbleibt. Falls es dennoch zum Brexit kommt, wären die Marktturbulenzen nur kurzfristiger Natur. Mittelfristig würden die Probleme schnell verpuffen. Denn Grossbritannien ist deutlich stärker auf die EU angewiesen als umgekehrt.

Wäre nach einem Brexit auch die Einheitswährung bedroht?
Der Euro wäre nur dann gefährdet, wenn eines der Kernländer, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, austreten oder in irgendeiner Form grössere Unabhängigkeit fordern würde. Allerdings würde ein Brexit natürlich den rechtspopulistischen Parteien Auftrieb verleihen.

In welchen Ländern, Sektoren oder Assetklassen sehen Sie die grössten Unterschiede zwischen dem Marktkonsens und Ihrer eigenen Meinung?
Wie erwähnt sind wir nicht der Ansicht, dass es keine Alternative zu Aktien gibt. Zudem halten wir im Anleihenbereich die US-Spreads für so attraktiv, dass wir sie Europa vorziehen – sowohl im High-Yield- als auch im Investment-Grade-Segment.

Welche Aktien können Sie empfehlen?
Wir halten beispielsweise die Valoren des japanischen Kosmetikkonzerns Shiseido für attraktiv. Der ganze Schönheitsbereich ist ein langfristiger Wachstumstrend. Zudem sind in Japan – vor allem wegen des schwächeren Yens und der Zurückhaltung der Konsumenten im Binnenmarkt – die exportlastigen Unternehmen zu bevorzugen. In der Schweiz stufen wir etwa Value-Titel wie Nestlé (NESN 72.3 -0.55%) als interessant ein.

Welche Prognose stellen Sie dem Ölpreis?
Wir gehen davon aus, dass er Ende Jahr eher bei 50 denn bei 30 $ liegt. Allerdings ist es für Anleger schwierig, direkt auf diese Preisentwicklung zu setzen – unter anderem wegen potenzieller Rollverluste. Einen alternativen Weg bieten inflationsgeschützte US-Treasuries.

Das heisst folglich, dass Sie die Inflation in den USA höher einschätzen, als es der Gesamtmarkt zurzeit einpreist?
Im Januar und Februar zeigte die Break-Even-Inflation, die am Bondmarkt die erwartete Teuerung abbildet, bis weit über die nächsten zwanzig Jahre einen Wert von 1,2% an – obwohl die US-Kerninflation bereits über 2% lag. Inzwischen ist die Break-Even-Inflation zwar auf 1,6% geklettert, doch hinkt der Markt den Fundamentaldaten noch immer hinterher. Uns stimmt etwa zuversichtlich, dass gerade bei kleineren US-Unternehmen die Löhne wieder zu steigen beginnen.

Was halten Sie vom Energiesektor?
Energie ist nicht gleich Energie. Im Mid­stream-Bereich gibt es Unternehmen, die nur untergeordnet vom tiefen Ölpreis betroffen sind – zum Beispiel Pipelinebetreiber, die langfristige Verträge abgeschlossen haben. Im Segment Downstream finden sich zudem Unternehmen wie der US-Tankstellenbetreiber Sunoco, der in einer späteren Phase sogar vom tiefen Ölpreis profitieren sollte. Deshalb haben wir in beiden Segmenten im Februar und März selektiv dazugekauft. Im gesamten Upstream-Bereich bleiben wir hingegen weiterhin stark untergewichtet.

Sehen Sie sonst noch Opportunitäten?
Attraktiv sind grundsätzlich die MLP, die Master Limited Partnerships. Der Index offeriert eine Dividendenrendite von rund 10%. Zudem sind MLP meist im Mid­stream-Energieinfrastrukturbereich aktiv. Eine risikoreiche, aber spannende Anlageidee – vor allem, wenn sich der Ölpreis wieder in Richtung 50 $ bewegen sollte.

Was ist Ihre Meinung zu Gold (Gold 1237.93 0.07%)?
In unserem Szenario – ohne Rezession, mit steigenden US-Zinsen und einem eher stärkeren Dollar – sehen wir in Goldinvestments keinen Wert. Wir haben deshalb die jüngste Rally nicht mitgemacht. Zudem wirft die Assetkategorie keine Erträge ab, hat hohe Lagerkosten und dient in erster Linie als Rezessionshedge.

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