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16:12 Uhr - 24.01.2017

«Regieren ist anders als Kandidieren»

Vincent Reinhart, Chefökonom von Standish, ist überzeugt, dass sich Donald Trump als Präsident mässigen muss. Vom Vergleich mit Ronald Reagan hält er wenig.

Das Experiment beginnt. Am Freitag wurde Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Vincent Reinhart, Chefökonom bei dem zu BNY Mellon gehörenden Bostoner Anleihenspezialisten Standish, sieht der Präsidentschaft des ungewöhnlichen Kandidaten gelassen entgegen. Regieren sei nicht Kandidieren, Trump werde sich dem republikanischen Parteiestablishment annähern müssen.

Zur PersonVincent Reinhart kennt die Mechanik des globalen Finanzsystems aus langer Erfahrung. Bevor er im März 2016 seine Stelle als Chefökonom bei dem zu BNY Mellon gehörenden Anleihenspezialisten Standish antrat, war er als US-Chefökonom bei Morgan Stanley und für die Denkfabrik American Enterprise Institute tätig. Zuvor arbeitet er über zwanzig Jahre für das Federal Reserve. Dort besetzte er diverse Kaderpositionen, unter anderem die Leitung der Geldmarktdivision. Ferner war er Chefökonom des Federal Open Market Committee, das den geldpolitischen Kurs in den USA bestimmt. In New York aufgewachsen, hat der 59-Jährige seine Frau Carmen als Kommilitonin an der Columbia University kennengelernt. Sie ist Wirtschaftsprofessorin und hat mit ihrem Kollegen Kenneth Rogoff den Bestseller «This Time is Different» veröffentlicht. (CG)Herr Reinhart, wie ist die Stimmung in den USA?
Zweigeteilt. Aktienkurse, Konsumentenvertrauen und Geschäftsklima sind seit der Wahl von Donald Trump alle gestiegen. Die neue Regierung wird mit Deregulierung und Fiskalstimulus in Verbindung gebracht, das Wachstum ist so besser gesichert. Die Medienelite tut sich hingegen schwer mit Trump.

Er war schon ein ungewöhnlicher Kandidat.
Regieren ist anders als Kandidieren – Präsident Trump ist nicht mit dem Kandidaten Trump zu vergleichen. Er wird sich dem republikanischen Establishment annähern müssen. Trump hatte keine Infrastruktur für die Wahl, sondern war auf die Partei angewiesen, um all die Stimmen zu erhalten. Der Präsident muss 4000 Leute einstellen, 1200 von ihnen müssen vom Senat bestätigt werden. Trump hat keinen Apparat, um diese Leute auszuwählen. Auch da ist er auf die Partei angewiesen. Es ist deshalb kein Zufall, dass mit Reince Priebus der frühere Parteichef Stabschef wird.

Wird auch Trumps Kommunikationspolitik konventioneller?
Auch wenn Trump ein konventioneller Präsident wird, wird er seine Massnahmen auf unkonventionelle Art verkünden. Man sollte also nicht darauf hören, was er sagt, sondern darauf achten, was er tut.

Wie lange wird der Trump-Boom anhalten?
Die wichtigste Aufgabe der neuen Regierung ist die Ablaufplanung. Packt Trump die einfachen Aufgaben zuerst an oder die schweren, wie die Gesundheits- oder die Einkommenssteuerreform, die das Momentum der neuen Administration zum Erliegen brächten? Dabei muss unterschieden werden zwischen Massnahmen, die der Präsident selbst anordnen kann, und denen, die der Zustimmung des Kongresses bedürfen. Zu Ersteren zählt die Deregulierung im Umwelt- und im Finanzbereich. Es wird einfacher, Energie zu fördern und zu transportieren.

Lohnen sich Investitionen angesichts des niedrigen Ölpreises?
Wenn man den US-Energieproduzenten Geld und Hoffnung gibt, investieren sie. Wir rechnen mit einem Ölpreis zwischen 40 und 60 $ pro Fass. 60 $ wegen der zunehmenden Effizienz in der Förderung, 40 $, weil dann die Unternehmen die Produktion zurückfahren. Bei diesen Preisen werden Möglichkeiten ausgeschöpft, die es zuvor nicht gab.

Die Produktionskosten der neu erschliessbaren Felder sind aber eher hoch.
Das stimmt, nur sinken die Kosten jedes Jahr um 10 $, weil die Förderung dank des technologischen Fortschritts effizienter wird. Dazu kommt, dass US-Öl der Sorte WTI (WTI 53.34 0.51%) mit einem Abschlag zur europäischen Sorte Brent (Brent 55.764 0.52%) handelt. Dieser dürfte schrumpfen, da die Deregulierung einen einfacheren und effizienteren Transport ermöglicht.

Was erwarten Sie von der Deregulierung im Finanzbereich?
Fast noch wichtiger als das Stutzen des Dodd-Frank-Gesetzes ist, wer die Regeln durchsetzt, denn davon hängt das Ausmass der Umsetzung ab. So wurde das Glass-Steagall-Gesetz, das das Trennbankensystem festschrieb, in den Neunzigerjahren laufend abgeschwächt. Das Federal Reserve änderte als Regulator die Interpretation, was als bedeutende Aktivität im Retail- und im Investment-Banking-Bereich einzustufen ist. Auf den Büchern werden die Auswirkungen von Dodd-Frank aber noch eine ganze Weile zu sehen sein. Das höhere Eigenkapital wird nicht so schnell verschwinden. Dazu sinkt mit der Amtseinführung von Trump das Prozessrisiko der Banken. Das alles erleichtert die Kreditvergabe.

Welche Massnahmen können einfach durch den Kongress gebracht werden?
Infrastrukturausgaben und die Unternehmenssteuerreform. Infrastruktur ist deshalb einfach, weil davon sämtliche 435 Wahlkreise der USA profitieren. Und auch die Reform der Unternehmenssteuern ist wenig umstritten, weil die USA mit dem höchsten Grenzsteuersatz aller OECD-Länder die tiefsten Steuereinnahmen erzielen. Dazu liegen 2 Bio. $ im Ausland, die besteuert werden können, wenn man richtig vorgeht. Deshalb rechnen wir mit einem moderaten Infrastrukturprogramm, das teilweise durch die Unternehmenssteuerreform bezahlt wird.

Was halten Sie von Trumps Handelspolitik?
Die Handelspolitik ist ein Knackpunkt. Auch hier hat der Präsident viel Handlungsspielraum. Dazu zählen die Einführung von Zöllen oder die Bestimmung von Währungsmanipulatoren. Das Kabinett und die Rhetorik erinnern an die frühen Achtzigerjahre. Mit Stahl und Auto werden wie damals alte Industrien gestützt und nicht das geistige Eigentum, das für moderne Unternehmen wichtig ist. Vermutlich wird es wöchentliche Verlautbarungen des Weissen Hauses geben, wie viele Jobs in Indiana oder Georgia geschaffen wurden. Auf der Gegenseite der Regierung sitzen grosse Unternehmen, die es sich leisten können, hier und da ein paar tausend US-Jobs zu schaffen, um den Präsidenten zu besänftigen.

Wird das Wachstum nicht belastet?
Deregulierung, Steuerreform und Infrastrukturausgaben fördern das Wachstum, was aber durch die politische Unsicherheit und grössere Friktionen beim Handel zunichtegemacht wird. Aktieninvestoren scheinen hingegen zu glauben, dass das Positive überwiegt. Vermutlich sind sie etwas zu positiv, denn einige der Massnahmen müssen zuerst durch den Kongress, und der wachstumsfördernde Effekt tritt auch nicht unmittelbar ein.

Ist die mit Infrastrukturausgaben einhergehende höhere Verschuldung nicht ein Problem für die Tea Party?
Doch. Deshalb werden anfänglich nur moderate Ausgaben beschlossen und durch die Unternehmenssteuerreform – vor allem die Besteuerung auf die Rückführung der im Ausland angefallenen Gewinne – finanziert. Die Verschuldung ist ein Thema, nicht unbedingt im Repräsentantenhaus, aber im Senat. Dazu kommt, dass am 15. März die Aussetzung der Schuldenobergrenze endet. Irgendwann im Spätsommer oder im Frühherbst werden dem Schatzamt die Buchhaltungstricks ausgehen, die jeweils für Aufschub sorgen. Wenn bis dann keine Lösung gefunden wird, drohen Turbulenzen.

Braucht die US-Konjunktur überhaupt einen Stimulus?
Die USA brauchen mehr Wachstum. Das Potenzialwachstum beträgt nur 1,5%. Die Bevölkerung altert und nimmt kaum noch zu, die Arbeitsproduktivität kommt nicht vom Fleck. Wachstumsfreundliche Massnahmen auf der Angebotsseite wären also durchaus angebracht. Was wir aber nicht brauchen, ist Nachfragestimulierung, denn die Arbeitslosigkeit ist bereits niedrig. In diesem Fall würde das Fed einfach die Zinsen schneller anheben.

Haben Trumps Massnahmen einen Effekt auf das Potenzialwachstum?
Eine effiziente Steuerpolitik, die den Konsum besteuert und Sparen und Investieren fördert, hätte schon einen positiven Effekt, doch das ist kein Thema für 2017 oder 2018, sondern eher ab 2020. Die Auswirkungen auf das Potenzialwachstum werden in absehbarer Zeit gering sein. Die Nachfrage wird aber stabilisiert, weil Investitionen attraktiver werden und den Konsum als Wachstumstreiber ergänzen.

Sie haben sich eingehend mit der Staatsverschuldung beschäftigt. Spielt sie überhaupt noch eine Rolle? Die Zinsen sind trotz hoher Schulden tief.
Eine hohe Verschuldung geht einher mit langsamerem Wachstum. Zudem erschwert sie die politische Diskussion. Wäre die Verschuldung der USA 40% tiefer, würde man sich bei der Ausarbeitung von Infrastrukturprogrammen nicht um die Meinung der Tea Party kümmern. Dazu behindern hohe Schulden die private Kapitalbildung. Japan macht vor, was eine hohe Verschuldung bedeutet.

Auch dort steigen die Schulden weiter.
Japan hat den Vorteil, dass die Schulden im eigenen Land gehalten werden. Japanische Haushalte haben einen extremen Home Bias, und die Banken halten viele Staatspapiere. Aber was ist in zehn Jahren? Werden in Japan genügend junge Leute leben, um eine Verschuldung von über 300% der jährlichen Wirtschaftsleistung zu tragen? Die Antwort lautet Nein, weil auf einen jungen zweieinhalb alte Japaner kommen. Irgendwann müssen die vermögenden Alten enteignet werden. Der einfachste Weg wäre durch unerwartete Inflation.

Das versucht die Bank of Japan, aber es scheint nicht zu funktionieren.
Die wichtigsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt haben ihre Währung stärker abgewertet als Japan. Mit dem Nullzinsziel hat die BoJ aber einen Mechanismus geschaffen, der höhere Inflation begünstigt, sobald diese anzieht. Dann sinken die realen Zinsen, der Yen wertet sich ab, was die Inflation noch höher treibt. Diese Spirale könnte dann eintreten, wenn das Wachstum positiv überrascht.

Kann man die Inflation in Schach halten, wenn sie in Gang gekommen ist?
Die Erfahrung legt nahe, dass solche Experimente übel enden. Das beste für die Weltwirtschaft wäre, wenn die US-Konjunktur kräftig wächst und dieses Wachstum über einen stärkeren Dollar mit dem Ausland geteilt wird. Das Gleiche gilt für China. Würden diese zwei Lokomotiven rund laufen, wären die Probleme in Japan und Europa kleiner. Ich bin aber skeptisch, ob die USA und China dafür bereit sind.

Trump dürfte kaum Freude an einem starken Dollar haben.
Wenn sich der Dollar wegen des besseren Wachstums und der höheren Zinsen in den USA aufwertet, ist ein schwächerer chinesischer Renminbi nicht zwingend Währungsmanipulation. Wie kann man China als Manipulator bezeichnen, wenn das Land Dollar verkauft, um die eigene Währung zu stützen? Die gegenwärtige Situation erinnert mich an die Achtzigerjahre, als Reagans Politik Wachstum schuf und Defizite produzierte, während das Fed die Leitzinsen erhöhte. Die resultierende Dollarstärke und die Handelsungleichgewichte wurden mit jedem Land einzeln verhandelt. Das könnte wieder passieren.

Was halten Sie vom Vergleich zwischen Trump und Reagan?
Beide starten mit einem revidierungsbedürftigen Steuergesetz. Beide erben eine stark regulierte Wirtschaft, was Potenzial für Deregulierung schafft. Beide können die Verwaltung verkleinern. Es ist fraglich, ob Trump alle 4000 Stellen besetzen muss, weil es da und dort Doppelspurigkeiten gibt. Und beide setzen gegenüber dem Ausland auf Verhandlungen im Einzelfall. Doch das Umfeld ist völlig verschieden. Die USA stehen heute ganz woanders im Zyklus als unter Reagan. Und die Komplexität der Welt ist grösser, da die USA nicht mehr die dominierende Wirtschaftsmacht sind.

2017 ist das Jahr der geldpolitischen Divergenz. Ist das nachhaltig?
Das hängt davon ab, ob eine stärkere Währung toleriert wird. Es gibt aber auch eine Konvergenz, die genauso wichtig ist wie die Divergenz.

Und die wäre?
Der Markt liegt heute mit seiner Einschätzung, was das Fed tun wird, viel näher an dem, was es zu tun gedenkt. Vor einem Jahr rechnete die US-Notenbank mit vier Zinsschritten, der Markt mit weniger. Die Folge waren Verwerfungen an den Börsen. Nun hat die Notenbank zurückbuchstabiert, während der Markt an eine erfolgreiche Reflation glaubt. Die beiden haben sich angenähert, was die Gefahr von Turbulenzen verringert. Ich zweifle allerdings, ob das Fed die Zinsen 2017 wirklich drei Mal anhebt. Ich rechne mit zwei Schritten.

Wie der Markt.
Genau. Es ist aber ein Unterschied, ob das Fed drei Schritte voraussagt und der Markt zwei erwartet oder ob das Fed mit vier Schritten rechnet und der Markt mit einem.

Will Trump wirklich ein restriktives Fed?
Als Immobilienentwickler mag er niedrige Zinsen. Er realisiert aber, dass sie nicht unbedingt im besten Interesse des Landes liegen. Grundsätzlich eignet sich das Fed am wenigsten für Experimente. Wenn sich Trump dem republikanischen Establishment tatsächlich annähern muss, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der nächste Fed-Chef konventioneller ist, als man derzeit meint. Eine restriktivere Notenbank ist aber trotzdem möglich. Sollte ein John Taylor oder ein Glenn Hubbard in der Lobby des Trump Tower auftauchen, werden die Märkte davon Notiz nehmen.

Was sind die Risiken?
Dazu zählen die Prioritäten der US-Regierung. Trump könnte die Einführung von Einfuhrzöllen ernst gemeint haben, was Vergeltungsmassnahmen zur Folge hätte. Der Handel könnte stärker einbrechen, was die Widerstandsfähigkeit der chinesischen Wirtschaft auf die Probe stellen würde. In Europa stehen Wahlen an, die Schuldendkrise in Griechenland wurde nie gelöst und wird eines Tages wieder für Schlagzeilen sorgen. Das italienische Bankensystem bleibt ein Risiko. Dazu kommt eine mögliche Kapitalflucht. Bisher gingen Gelder, die aus Italien oder Griechenland abgezogen wurden, nach Deutschland. Doch was passiert, wenn plötzlich eine Kapitalflucht aus der Eurozone einsetzt? Das wäre auch für die Schweiz nicht gut.

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