Antoine Lesné, Leiter ETF-Strategie und Research der Region Emea bei State Street Global Advisors, zeigt sich besorgt über die Anleger- und Unternehmerstimmung.
Herr Lesné, hat der G-20-Gipfel Ihre Einschätzung zum Handelskrieg und somit zur Wirtschaft und zu den Märkten geändert?
Die Unsicherheiten bleiben bestehen, auch wenn der Markt positiv auf die Vereinbarung reagiert hat. Der Waffenstillstand muss nicht von Dauer sein. Die Wachstumsrisiken für die Weltwirtschaft bestehen weiter, und mögliche Eskalationen sollten im Auge behalten werden.
Wie besorgt sind Sie, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession fällt?
Dies ist eher ein Thema im Jahr 2020. Wir beobachten, dass sich die Makrodaten in den USA nicht mehr ganz so positiv zeigen. In Europa ist eine deutliche Abschwächung zu sehen. Allerdings hat die letzte Runde der Notenbanksitzungen gezeigt, dass die Währungshüter eher präventive Zinssenkungen in Betracht ziehen, als eine deutliche Wachstumsabschwächung zu riskieren. Das Fed hat immer geliefert, wenn der Markt entsprechende Erwartungen hatte. Donald Trump nimmt indirekt Einfluss, indem er den Handelskrieg als Unsicherheitsfaktor und als Druckmittel auch gegenüber der Notenbank benutzt.
Heisst das denn, dass die Notenbanken den Konjunkturzyklus beliebig lang ausdehnen können? Die US-Wirtschaft befindet sich schon seit zehn Jahren in der Expansion.
Tatsächlich befinden wir uns in einem sehr langen Zyklus, aber die Expansionsphase kann durchaus noch andauern. Ein Blick auf die Trendlinie des Wachstums in anderen Erholungsphasen verrät, dass die Dynamik im aktuellen Zyklus unterdurchschnittlich ist. Trotz der Handelsrisiken sehen wir angesichts der lockeren Geldpolitik weiterhin Raum für moderates Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig sind wir der Ansicht, dass wir uns strukturell in einem neuen Wachstumsumfeld bewegen. Dies ist insbesondere getrieben durch die Schwellenländer, denn sie nähern sich wegen der fortschreitenden Entwicklung an ein tieferes Wachstumsniveau an. Die Alterung der Gesellschaft spielt global eine grosse Rolle. Somit muss man sich künftig eventuell mit niedrigeren Wachstumsraten zufriedengeben.
Gibt es einen Indikator, den Sie besonders schätzen, um den Zyklus zu beurteilen und entsprechend das Portfolio auszurichten?
Der US Conference Board Leading Indicator ist interessant. Wir glätten ihn über zwölf Monate und erkennen so Trendwenden. Strategische Allokationsentscheidungen werden dann weniger durch vorübergehende Phänomene bestimmt. Wir versuchen, durch die Volatilität und die politischen Unsicherheiten hindurchzuschauen. Tatsächlich ergibt dies für uns derzeit ein Bild des Zyklus für die USA und Europa, das positiver ist, als uns der Anleihenmarkt weismachen will. Die politische Entwicklung ist insofern wichtig, als sie die Marktstimmung und die Risikoneigung der Wirtschaftssubjekte nachhaltig und längerfristig beeinträchtigen kann.
Die US-Zinsstrukturkurve scheint eine Rezession anzukündigen, da langfristige Zinsen tiefer sind als kurzfristige. Was halten Sie von der Aussagekraft der Kurve?
Die Differenz zwischen dem Dreimonats- und dem Zehnjahreszins bewies in der Vergangenheit eine gute Voraussagekraft. Die Inversion hält auch schon sehr lange an. Gleichzeitig ist der Rezessionsindikator der New York Fed über 25% gestiegen. Dies ist ein kritischer Wert. Wir sind aber zuversichtlich, dass die US Notenbank zur Hilfe eilen wird, wenn nötig, und gehen lediglich von einer Verlangsamung des Wachstums in den USA und Europa aus. Besorgter bin ich um die Investorenstimmung und den negativen Rückkopplungseffekt auf die Realwirtschaft.
Was kann man von der EZB erwarten?
Die EZB hat die Marktteilnehmer sicher mehr überrascht als das Fed. Die Aussicht auf erneute Zinssenkungen kam unerwartet. Dies behält sich die Zentralbank eigentlich eher für Notfallsituationen vor. Erneute Anleihenkäufe und langfristige Refinanzierungsprogramme für die Banken stehen auch auf dem Programm. Von manchen Mitgliedländern gibt es kaum genügend Staatsanleihen am Markt. Vor allem sollten wir uns fragen, ob eine Zinssenkung von 10 oder 25 Basispunkten genug wäre, um die Wirtschaft zu beleben. Die Wirkung von Zinssenkungen lässt deutlich nach. Die Animal Spirits, also der Unternehmergeist, werden nicht durch Zinssenkungen geweckt. Das macht mir Sorgen in der längeren Frist.
Das Rennen um die Nachfolge Draghis ist eröffnet. Was fällt Ihnen dabei auf?
Das plötzliche Bekenntnis von Jens Weidmann zu den Anleihenkäufen der EZB zeigt, dass er in der politischen Realität angekommen ist. Die bisherige technokratische Haltung bringt ihm keine machtpolitischen Lorbeeren ein.
Und wie erklären Sie sich die niedrige Inflation, selbst in Volkswirtschaften mit einer starken Wachstumsrate?
Die niedrige Produktivität und die alternde Gesellschaft sind dafür verantwortlich. Für viele Länder wäre höhere Inflation sehr wichtig, um die Schuldenlast der öffentlichen Hand erträglicher zu machen. Aber das erwarte ich nicht. Ist der Teuerungsdruck allerdings so gering, dass Zinssenkungen gerechtfertigt sind? Nein, sicherlich nicht.
Wie richten Sie sich in einem Portfolio auf die anhaltend niedrige Inflation ein?
Mittlerweile weisen weltweit 13 Bio. $ an Anleihen eine negative Rendite auf. In einem gemischten, ausgewogenen Portfolio sind wir untergewichtet in High-Grade-Anleihen und haben in einigen Bereichen des Aktienmarktes ein Übergewicht. Wir bevorzugen defensive Sektoren und ETF mit Smart-Beta-Strategien. Titel aus der Gesundheitsbranche sind interessant. In Europa sind wir zudem taktisch in Valoren aus dem Immobilienbereich engagiert. Ausserdem bevorzugen wir ein leichtes Übergewicht in Zinsanlagen, die von sinkenden Renditeaufschlägen profitieren. Sie werden durch die Geldpolitik unterstützt. Man braucht einen Anteil an Hochzinsanleihen, um die kürzere Duration des Portfolios wettzumachen. Gleichzeitig nutzen wir die kurzen Laufzeiten hochwertiger Anleihen, um die negative Rendite in der Bargeldallokation zu meiden.
Wie legen Ihre Kunden die Gelder an?
Wir veröffentlichen jedes Quartal einen Bericht zusammen mit State Street (STT 56.47 1.16%) Global Markets zu den Stimmungstendenzen am Markt. Er beruht auf den Bestandes- und Flussdaten unserer Kundengelder, das heisst, die Daten reflektieren, wie die langfristig ausgerichteten institutionellen Investoren engagiert sind. Die Flussdaten der europäischen Exchange Traded Funds belegen, dass in diesem Jahr vor allem Qualität, niedrige Volatilität und Dividende gesucht sind.
Und was wird sonst noch gekauft?
Kurzfristige US-Staatsanleihen sind beliebt. In Europa werden neuerdings ebenfalls Staatsanleihen gekauft. Unsere Kunden erwarben deutsche, französische, aber auch italienische Staatsanleihen, die vorher gemieden wurden. Für den Euroinvestor liegt der Zins einer zehnjährigen italienischen Staatsanleihe fast auf dem Niveau eines US-Treasury, ohne dass er das Währungsrisiko eingehen muss. Hochzinsanleihen in Euro waren bis anhin interessant, aber wir erwarten keinen deutlichen Rückgang der Renditeaufschläge mehr. Das aktuelle Niveau des Renditeaufschlags ist durchaus interessant. Investment-Grade-Unternehmensanleihen, also Unternehmensanleihen hoher Qualität, sind auch gefragt. In den USA gab es wieder deutliche Zuflüsse in dieses Segment. Dort kann man weiterhin auch Staatsanleihen zu einer ansprechenden Rendite kaufen.
Wie beurteilen Sie Anlagen in Schwellenländern?
Wir halten Anlagen in Schwellenländern strategisch für attraktiv. Der zunehmende Protektionismus der Industriestaaten ist jedoch ein Risiko für diese Länder. Die Aktienbewertungen sind im Vergleich zu anderen Regionen auf historischen Tiefständen, während das Ergebnis je Aktie und die Umsatzprognosen gut ausfallen. Für Anleihenanleger dürften renditestärkere Papiere aus Schwellenländern trotz kurzfristiger Volatilität der lokalen Währung zu langfristig ansprechender Performance führen. In dieser Phase mögen wir Anleihen der Schwellenländer in Lokalwährung, da wir die Währungen gegenüber dem Dollar als unterbewertet betrachten.
Ist der Franken noch ein sicherer Hafen?
Absolut. Sowohl der Yen als auch der Franken werten sich auf, wenn die Unsicherheit am Markt zunimmt. Erstaunlich ist, dass sich die Devisenmärkte in letzter Zeit wenig volatil zeigten. Solange dort Gelassenheit herrscht, kann man davon ausgehen, dass die Investoren keine extremen Positionierungen eingegangen sind.
Gibt es sonst noch Anlagechancen für Investoren im jetzigen Umfeld?
Vor allem von europäischen Investoren sehen wir starke Zuflüsse in Gold (Gold 1418.71 0.01%). In einem Umfeld, in dem ein grosser Teil der Staatsanleihen negativ rentiert, ist ein Edelmetall attraktiv, auch wenn es keinen Coupon und keine Dividende abwirft.
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