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09:53 Uhr - 14.01.2016

«Wir müssen vermehrt mit Schwächen rechnen»

Mikio Kumada, Chefstratege von LGT Capital Management, hält die Aktienhausse für gealtert, aber nicht für beendet, wie er im Interview mit FuW ausführt.

Herr Kumada, die Börsen sind schlecht ins neue Jahr gestartet. Ist der langjährige Aktienaufschwung zu Ende?
Mikio Kumada Bild: ZVGDie konstruktive Geldpolitik und die ­globale konjunkturell-zyklische Dynamik sprechen dagegen. Die westlichen Länder und Japan wachsen nahe oder sogar leicht über ihrem Potenzial. Die US-Binnenkonjunktur ist robust, wie jüngst die Arbeitsmarktdaten bestätigen. Europa erholt sich. Die Industriesektor-Umfragen per Ende Dezember signalisieren ein anhaltendes Wachstum in rund zwei Drittel der Länder, und der Dienstleistungssektor expandiert in allen grossen Volkswirtschaften weiter, auch in China.

Also nur eine Korrektur?
Die Aktienbewertungen sind selbst in den teuren Märkten nicht extrem hoch und in Asien sogar teilweise niedrig. Das Gewinnwachstum ist aufgrund der Rohstoffbaisse eingeknickt, sollte sich aber erholen, sobald der Energiesektor die Verluste verdaut hat. Und es gibt Lichtblicke: Japans Industrie- und Halbleiterausrüster wachsen beispielsweise kräftig, das sind tendenziell vorauslaufende Branchen.

Welche Marktentwicklung erwarten Sie in den nächsten Monaten?
Die nächsten Monate dürften eine Entspannung bringen. Die Sorgen um China werden zwar nicht verschwinden, die Anleger werden aber einsehen, dass wir es dort nicht mit einer harten Landung zu tun haben. Und es gibt zu Risikoanlagen wie Aktien weiterhin kaum Alternativen. Wobei alternative Anlagen ausgenommen sind, wenn Sie das Wortspiel erlauben.

Wie sieht es Ende Jahr aus, höher oder tiefer als heute?
Wie gesagt, es spricht einiges für höhere Kurse. Nur müssen wir in einer alternden Hausse vermehrt mit Schwächeanfällen rechnen. Und da etwaige Unfälle im reiferen Alter potenziell gefährlicher sind, als die Ausrutscher der Jugend, muss der Ausblick auch immer wieder kritischer hinterfragt werden.

Ist die Reaktion auf Chinas Kurssturz ­berechtigt oder übertrieben?
Sowohl als auch. China ist wichtig, und gelegentliche Übertreibungen gehören zur Funktionsweise der Märkte. Dazu kommt eben, dass unsere Hausse etwas älter geworden ist. Sie kann noch glänzen, ist aber nicht mehr so standfest unterwegs, wie früher. Unter dem Strich kann die Welt den teilweise mühsamen Strukturwandel in China verkraften – und auch China schafft es, trotz gelegentlichen Pannen.

Wie geht es im Reich der Mitte weiter?
China wird sich weiter von den Branchen trennen, die es immer weniger braucht. Zugleich werden die Dienst- und Sozialleistungen weiter zunehmen. Die gängigen Konjunkturdaten bilden allerdings primär die traditionellen Industriebrachen ab. Sie dürften daher weiter schwach bleiben. Irgendwann werden auch die Anleger einsehen, dass es sich um einen ­nötigen langfristigen Strukturwandel handelt. Etwas problematisch ist der gelegentlich durchscheinende Hang von China zu planwirtschaftlichen Reaktionen und Propagandaaktionen zur Börsensteuerung. Das war zuletzt erneut  kontraproduktiv. Die chinesischen Börsen dürften daher volatil bleiben und der Yuan weiter – geordnet – abwerten.

Was haben oder gedenken Sie vor diesem Hintergrund im Portfolio zu tun?
Für uns bedeutet das: Dollar und Yen über- und Schwellenländer-Anlagen untergewichten. Wo es zum Anlegerprofil passt, räumen wir auch alternativen Investments ein höheres Gewicht ein: Privatmärkte, Versicherungsverbriefungen, Hedge Funds und Managed Futures.

Welche Gefahr geht vom Ölpreisverfall aus?
Das Hauptrisiko besteht darin, dass der einst boomenden US-Energiesektor zu sehr belastet wird und einige vom Ölpreis abhängige Staaten in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Das könnte starke Finanzmarktturbulenzen und eine weltweite Rezession verursachen. Letzteres würde aber auch von den geldpolitischen Reaktionen abhängen.

Die Stimmen, die einen niedrigen Ölpreis  positiv werteten, sind verstummt. Wird die Besorgnis noch zunehmen?
Der niedrige Ölpreis wirkt tatsächlich positiv – nur eben nicht für alle Volkswirtschaften. Die Industrieländer und einige Schwellenländer, darunter Indien und ­Korea, profitieren grundsätzlich. Das Problem ist allerdings nicht die Richtung des Ölpreises, sondern die Geschwindigkeit. Die Wirkung der tieferen Energiepreise ist zeitlich asymmetrisch. Die negativen Effekte der Rohstoffbaisse wirken schneller als die positiven, und wenn es zu schnell geht, fällt zunächst vor allem die negative Wirkung ins Gewicht. Das Schlüsselwort heisst also Geduld. Ob die Besorgnis weiter zunimmt, hängt davon ab, wie schnell es weiter bergab geht.

Antizyklisch orientierte Anleger würden ­sagen, tiefer geht’s kaum noch. Würden Sie jetzt in Commodites investieren?
Traden – vielleicht. Wir überlassen das unseren Managern in den entsprechenden Segmenten, denen wir das Timing solcher Bewegungen zutrauen. Investieren im Sinne einer höherer Allokation für Rohstoffe in unseren Fonds – nein.

Eine Gegenbewegung haben Gold und Goldminenaktien vollzogen. Ein Thema?
Dass Gold (Gold 1091.95 -0.27%) wieder zum Thema wird, ist unwahrscheinlich. Der Zyklus ist noch nicht vorbei und Gold auch nur ein Rohstoff.

Welchen anderen Risiken sind Anleger ausgesetzt, Gefahren, die womöglich noch gar nicht wahrgenommen werden?
Das ist die gute Nachricht: Die absehbaren Risiken sind im Grunde in aller Munde. Fast jeder hat ein «Lieblingsproblem», von der Notenbankpolitik über die EU bis hin zu den Themen Einkommens­ungleichheit und Austerität. Dazu kommen Flüchtlingsströme, Nahost, Rohstoffbaisse, China, Russland – you name it. Ausgerechnet in den stabilsten, wohlhabenden Demokratien misstrauen viele Menschen dem System. Unterschätzt werden die zahlreichen Probleme kaum.

Welches wären positive Impulse?
Wir arbeiten grundsätzlich immer mit mehreren Szenarien. Wenn ich mir aber eine gute Überraschung aussuchen darf, dann könnte ein erster Impuls in diese Richtung aus den USA kommen – wenn sich die amerikanische Wirtschaft trotz steigender Zinsen und starkem Dollar als sehr robust erweist. Das Kreditsystem und der Geldumlauf könnten dann ordentlich in Fahrt kommen. Das könnte uns einen innovationsgetriebenen, dauerhaften Boom bescheren. Eine solche Renaissance der alternden Demokratien würde zudem dazu beitragen, dass sich in manchen Schwellenländern gesellschaftliche Öffnung und wirtschaftliche Reformen stärker durchsetzen.

Ist es Zeit, aktiv zu werden?
Wir bleiben bei Aktien leicht übergewichtet und ziehen dabei Europa und Japan vor, gefolgt von den USA. Sehr kurzfristige und antizyklische Schritte überlassen wir den Portfoliomanagern, die meist mit Futures oder Optionen arbeiten. Im Bondbereich bevorzugen wir Unternehmensanleihen und selektiv auch High Yield gegenüber Staatsanleihen. Für sehr langfristige Portfolios interessant sind zudem auch die privaten Märkte, sei es Equity oder Debt, und andere alternative Anlagen.

In welchen Sektoren ist LGT übergewichtet, und wovon lassen Sie die Finger?
Das hängt auch von der Region ab. Allgemein ziehen wir mittel- bis spätzyklische Branchen und Themen  vor – mit Ausnahmen, wie etwa in Japan. Auch Technologie und Innovation bleiben als Sektoren und Themen attraktiv. In den USA könnte der Kreditsektor von den Zinserhöhungen profitieren. Wir sehen auch weiterhin Chancen bei Immobilienaktien in entwickelten Märkten. Energie, Rohstoffe und die Emerging Markets meiden wir zurzeit. Für Asiens Schwellenländer und China gilt übrigens, dass die Privatmärkte oft interessanter sind, als die derzeit teils unberechenbaren öffentlichen Märkte.

Am Bondmarkt kaufen Anleger aufgrund der mangelnden Rendite Anleihen von schlechterer bis hochriskanter Qualität.
Das sehen wir grundsätzlich auch so. Im Portfoliokontext sind auch Versicherungsverbriefungen interessant wegen ihrer tiefen Korrelation mit Aktien und Makro­daten. Und auch im Kreditbereich gilt, dass die privaten Schuldenmärkte sehr interessant sind, sofern ein Anleger oder die anlegende Institution tiefere Liquidität und längere Zeithorizonte in Kauf nehmen können.

Wie sinnvoll ist Cash? Sind Negativrenditen zu befürchten?
Ja, derzeit schon. Cash ist ein gutes Mittel zur Risikosteuerung.

Wie hält man im Umfeld erhöhter ­Unsicherheit und Volatilität sein Kapital im Trockenen?
Temporär in Cash. Langfristig funktionieren aber gut gebaute Multi-Asset Portfolios, inklusive alternativer Anlagen, immer noch am besten.

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