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06:54 Uhr - 08.11.2019

«Europäische Banken sind besser als ihr Ruf»

Tatjana Greil Castro, Director beim Anleihenhaus Muzinich & Co., setzt schwergewichtig auf europäische Banken im Portfolio. Kurze Laufzeiten sind heiss begehrt.

Frau Greil Castro, wird sich die Konjunktur erholen, oder droht eine Rezession?
Es ist klar, dass die bereits eingesetzte Konjunkturschwäche ohne die lockere Geldpolitik deutlich prononcierter wäre. Somit haben wir in Europa ein Problem: Hier stösst die klassische Zinspolitik an ihre Grenzen. Die amerikanische Notenbank hat noch etwas Spielraum, um den Leitzins zu senken. Doch die Gefahr einer Rezession ist durchaus präsent.

Erwarten Sie somit Wachstumsunterstützung seitens der Fiskalpolitik, wie es der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi schon oft eingefordert hat?
Für mich ist fraglich, was die Fiskalpolitik ausrichten kann. Konsumenten dazu anzuregen, mehr zu konsumieren, ist äusserst schwierig, wenn das Vertrauen in die Wirtschaft schwindet. Zusätzliche finanzielle Mittel werden dann eher auf die hohe Kante gelegt.

Könnte der Staat nicht einfach die Investitionsausgaben ankurbeln und dadurch konjunkturelles Momentum erzeugen?
Natürlich könnten die Infrastrukturausgaben hochgefahren werden, aber das dauert viel zu lange. Bis nur die Planungsgenehmigungen erteilt worden sind. Viele, die nach Fiskalausgaben rufen, vergessen, wie lange es geht, bis die konjunkturelle Wirkung eintritt.

Das heisst also, die einen können nicht mehr, und die anderen sind zu langsam?
So könnte man das sagen, und das wird die Herausforderung sein über die kommenden Quartale. Einer Rezession Gegensteuer zu geben, wird ein schwieriges Unterfangen sein. Und selbst wenn der wirtschaftliche Abschwung eher milde ausfällt, können die Finanzmärkte nichtsdestotrotz sehr stark schwanken oder auch kollabieren. Wir sehen Blasenbildung in vielen Anlageklassen. Es wurde über die vergangenen Jahre so viel Liquidität geschaffen und es wurden so viele Schulden angehäuft, dass es nur einen kleinen Anstoss braucht, um das Kartenhaus zusammenfallen zu lassen.

An welchen Märkten erkennen Sie denn eine Blasenbildung?
Wenn man bedenkt, wie schwierig es geworden ist, für Risiko kompensiert zu werden, dann ist die Blase überall. Auch dabei spielt die Zentralbankpolitik eine grosse Rolle. Die Zinsen wurden dermassen stark nach unten gefahren mit der Absicht, die Anleger in die höheren Risiken zu drängen. Wenn man nun den Kreditmarkt betrachtet: Das Engagement in Unternehmensanleihen ist nicht komplett risikolos, selbst bei gut aufgestellten Firmen, aber dass man als Kreditgeber teilweise noch bezahlen muss, um einem Unternehmen Geld leihen zu dürfen, ist doch paradox.

Somit ist der Finanzmarkt voll mit Risiken, die nicht adäquat entgolten werden?
Jede zusätzliche Einheit an Risiko mag erst einmal linear steigen. Es kommt dann aber der Punkt, an dem das Risiko exponentiell zunimmt. Auch bei festverzinslichen Anlagen klafft eine grosse Lücke zwischen den eingegangenen Risiken und den Ertragserwartungen. Oft höre ich das Argument, dass diese Risikospirale ausser Kontrolle gerät wegen des Notstands der Banken. Das ist falsch. Alle – die Sparer, Investoren, Pensionskassen, Versicherungen – hängen in diesem Strudel drin.

Das klingt so, als würde die nächste Korrektur eher zu einem Blutbad werden?
Wenn man von solch tiefen Renditeniveaus in eine Krise rutscht, dann wird der Markt unweigerlich volatiler und die Schmerzgrenze ist schnell erreicht. Der Weg aus der Negativzinspolitik wird kein leichter sein.

Ausgehend von diesem Hintergrund: Wie würden Sie denn ihr Kreditportfolio zusammensetzen, um optimal auf die Krise vorbereitet zu sein?
Da muss ich vorwegschicken, dass sich die gründliche Analyse von Unternehmen noch immer bezahlt macht. So findet man auch noch Kredite mit positiver Rendite, ohne dass zu viel Risiko eingegangen werden muss. Positive Rendite ist für mich als Startpunkt ganz wichtig. Auch, um die Volatilität im Portfolio gering zu halten. Wir investieren allerdings nicht in Firmen, die hoch spekulativ sind. Der Fokus liegt auf Krediten mit Anlagequalität. Bei Hochzinsanleihen sollte man in Unternehmen investieren, die auch im Rezessionsfall gut überleben können. Ein gewisser Teil muss im Hochzinsbereich angesiedelt sein, um die Volatilität im Portfolio auffangen zu können und Ertrag zu generieren.

Bevorzugen Sie gewisse geografische Regionen, um die nötige Rendite zu liefern?
Bis zu 20% des Portfolios sind in Unternehmensanleihen von Schwellenländern alloziert. Dabei liegt der Fokus auf China, und wiederum sind dies Anleihen mit Investment-Grade-Bonität. Solche Titel bieten natürlich eine geringere Rendite, aber dafür auch tiefere Volatilität. Oft sind dies binnenwirtschaftlich orientierte Unternehmen, die kaum etwas vom Handelskrieg zu spüren bekommen.

Gehen Sie dann auch bewusst Währungsrisiken ein?
Nein, wir bieten Produkte nur auf abgesicherter Basis an. Für die Schweizer Kundschaft bieten wir auch eine Share-Klasse in Franken an. Darin ist dann die Währungsabsicherung schon enthalten.

Mit Blick auf die Zinsstrukturkurve, welche Laufzeiten halten Sie für attraktiv?
Wir hatten enormen Zufluss in Fonds mit kurzlaufenden Anleihen. Die Nachfrage unterstreicht, dass man am kurzen Ende mit weniger Zinsänderungsrisiko aktuell besser aufgehoben ist, als in langen Laufzeiten. Viele Investoren wollen aufgrund der konjunkturellen und politischen Unsicherheiten nicht langfristig investiert sein und nützen kurzlaufende Bonds als Alternative zu Geldmarkt und Cash. Bei zweijähriger Duration und BBB Durchschnittsrating kann man so etwa 0,7% Rendite in der Franken-Share-Klasse erwirtschaften.

Welche Branchen erachten Sie als attraktiv?
Wir setzen zu einem Grossteil auf Schuldpapiere von grossen Banken weltweit. Diese machen etwa ein Viertel des Portfolios aus, das auf kurze Laufzeiten setzt. Darin wiederum sind vor allem europäische Banken vertreten. Unseres Erachtens  wird der Bankensektor zu Unrecht immer wieder in den Medien abgestraft. Dabei wurden in keinem Sektor in den letzten fünf Jahren so viele Ratings angehoben wie bei den europäischen Banken, und dies mit grossem Abstand zu anderen Sektoren. Die Banken haben ihre Capital Ratios aufgebaut und Reformen durchgezogen. Uns interessiert primär: Ist der Schuldner kreditwürdig, kann er den Coupon bezahlen und wird er uns bei Fälligkeit zurückzahlen. Vorrangige Tranchen der grossen Banken mit kurzer Laufzeit bieten attraktive Konditionen. Dies heisst aber nicht, dass wir die entsprechenden Aktien attraktiv finden.

Gibt es Branchen, die Sie als sehr problembehaftet einstufen?
Retail ist strukturell unter enormem Druck. Davon lassen wir grösstenteils die Finger. In dieser Branche gibt es kaum noch Perlen. Auch mit Titeln aus der Energiebranche kann man sich leicht die Finger verbrennen, wie aktuell wieder beobachtet werden kann.

Berücksichtigen Sie ESG-Kriterien bei der Titelauswahl?
Wir bauen ESG-Kriterien von Anfang an in die Kreditanalyse mit ein. Anbieter können es sich nicht erlauben, diese auszublenden. Die Bedenken, dass man Ertragsmöglichkeiten aufgibt, wenn man ESG-Kriterien anwendet, sind veraltet. Tatsächlich kann man mit einem ESG Bond Fund auch konventionelle Fonds schlagen und eine Outperformance erzielen. Das A und O ist stets die seriöse Kreditanalyse.

Gibt es bei ESG wiederum regionale Differenzen, was die Attraktivität solcher Anleihen betrifft?
Am meisten können wir in europäische Investment-Grade-Anleihen investieren. Hier bieten sich sehr viele Firmen an. Gefolgt von Schwellenländeranleihen und schliesslich den USA.

Sie finden mehr ESG-konforme Firmen in den Schwellenländern als in den USA?
Ja genau, viele Unternehmen, die in Asien angesiedelt sind, engagieren sich zunehmend bei den Umweltthemen, allein schon aus Selbstschutz. Sie arbeiten also primär am «E» von ESG. In Sachen «S» wie Social, worunter auch Gewerkschaften fallen, werden diese oft in den USA mehr unterbunden als in manchen Schwellenländern. Die USA stehen sicher beim «G» wie Governance besser da.

Und wie sieht das Investoreninteresse im Bereich ESG aus?
Mittlerweile sind in jeder Ausschreibung Fragen zu ESG enthalten. Dennoch sind die Investoren noch zurückhaltend. Der Gedanke, etwas aufzugeben, wenn man ESG-konform investiert, wird sich in den nächsten Jahren umdrehen. Die Anleger werden realisieren, dass sie etwas aufgeben, wenn sie nicht in ESG investieren.

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