Stefan Kreuzkamp, CIO von Deutsche Asset Management, erwartet auch für 2018 steigende Unternehmensgewinne. Inflation und Zinsanstieg bleiben moderat.
Herr Kreuzkamp, lebt die Börsenhausse noch – nach acht Jahren eindrücklicher Aufwärtsfahrt?
Aktien sind teuer geworden. Aber wie teuer ist teuer? Gemäss der von Nobelpreisträger Shiller entwickelten Shiller P/E, die auf dem zyklisch adjustierten Gewinn der letzten zehn Jahre basiert, bewegen sich die Märkte auf einem Niveau wie 1929 vor der Weltwirtschaftskrise und wie um die Jahrtausendwende, bevor die Technologieblase platzte. Die Messgrösse von Nobelpreisträger Tobin, der Tobin’s-Quotient, vergleicht die Marktkapitalisierung mit dem Wert aller Maschinen, Anlagen und nichtfinanzieller Vermögen. Eins bedeutet einen fairen Wert, und da befinden wir uns gerade. Ein anderes Barometer ist der Buffett-Indikator. Er drückt das Verhältnis von Marktkapitalisierung und Bruttosozialprodukt aus.
Mit welchem Resultat?
Gleich wie die Shiller P/E: Die Märkte sind sehr teuer. Das gängige Kurs-Gewinn-Verhältnis führt zu einem ähnlichen Schluss. Nur das Fed-Modell, die Bewertung von Aktien im Vergleich zu Anleihen, deutet auf günstige Aktien hin. Aber das ist grossteils auf das künstlich niedrige Zinsniveau zurückzuführen. Einen Punkt sehen wir jedoch uneingeschränkt positiv.
Nämlich?
Die Unternehmensgewinne: Das erste Mal seit sechs Jahren wachsen sie wieder, und zwar in allen Weltregionen – einstellig in den Industrieländern und sogar zweistellig in den Emerging Markets. Auch fürs kommende Jahr sind die Voraussetzungen gut, dass die Gewinne weiter steigen werden. Das relativiert die hohe Marktbewertung, die ansonsten schwer zu rechtfertigen wäre.
Ist das Wachstumsszenario realistisch?
Der Joker sind die USA. Die von Donald Trump geplante Steuerreform ist ein wichtiger Treiber für amerikanische Unternehmen und wirkt sich indirekt auf die ganze Welt aus. Auch Grossbritannien will die Unternehmenssteuern senken.
Die Steuerreform ist erst angestossen, wird sie auch umgesetzt werden?
Es ist ja keine neue Idee, und Trump macht Ernst, so wie er es mit anderen Vorhaben auch tut. Dass die Steuerreform den Unternehmen merklich hilft, ist für uns ein Grund, den Märkten weiteres Aufwärtspotenzial einzuräumen.
Nehmen die Märkte nicht zu viel vorweg?
Auch damit haben wir uns beschäftigt. Mit der Trump-Wahl sind die Stimmungsindikatoren in den USA klar gestiegen – Einkaufmanagerindex, Geschäftsklima und andere. Selbstverständlich ist in den Kursen schon einiges eingepreist. Der S&P-500-Index wird in absehbarer Zeit kaum nochmals 12% steigen wie in den vergangenen Monaten. Irgendwann wird der Börse die Luft ausgehen. Aber so weit sind wir noch nicht. Kursrückschläge würden wir für Zukäufe nutzen.
Wie gross ist der Spielraum?
Die Aktienmärkte folgen langfristig der Gewinnentwicklung. Gehen wir davon aus, dass die Unternehmenserträge auch nächstes Jahr steigen, ist ein Kursanstieg im mittleren einstelligen Prozentbereich realistisch. Falls die Wahlen in Frankreich ähnlich ausfallen wie in den Niederlanden, wo die Populisten unterlegen sind, haben besonders die europäischen Märkte noch Luft nach oben, auch wenn wir keine regionalen Präferenzen haben. Wir verfolgen einen diversifizierten globalen Ansatz, über alle Märkte, Währungen, politische Ereignisse und Sektoren hinweg. Jedes Thema hat seine Pro und Contra. Für Deutschland beispielsweise sprechen die relativ attraktive Bewertung und die Chancen, die sich der Automobilindustrie eröffnen. Ein Risiko ist der hohe Aussenhandelsüberschuss. Er stösst wie das grosse Handelsbilanzplus anderer Länder in Washington sauer auf und fördert das Thema Importsteuer, auch wenn noch keine konkreten Pläne vorliegen.
Steht mit Trump die Globalisierung, das weltweite Wachstum auf dem Spiel?
Das glauben wir nicht. Trump stört sich ja vor allem am Handelsbilanzdefizit der USA, was übertrieben ist. Den USA kann es als einzigem Land mittelfristig egal sein, ob sie ein Handelsdefizit haben oder nicht. Mit dem Dollar besitzt das Land die globale Reservewährung und kann damit das Defizit jederzeit bezahlen. Auch die globalen Wertschöpfungsketten kann Trump nicht aufbrechen.
Weshalb nicht?
Nehmen wir Apple (AAPL 144.12 0.22%), als Beispiel für viele. Apple pflegt Beziehungen zu fast 800 Lieferanten aus 28 Ländern mit 1,6 Mio. Beschäftigten. Seltene Erden, wie sie für den Bau des iPhone oder des iPad verwendet werden, gibt es in den USA nicht. Über 90% des iPhone werden ausserhalb des Landes hergestellt. Ein Smartphone 100% «Made in USA» ist technisch und physikalisch gar nicht möglich. Es wird zu einigen publikumswirksamen Produktionsverlagerungen zurück in die USA kommen, mehr nicht.
Was bedeutet es für den Euro, wenn der handelspolitische Druck, beispielsweise auf Deutschland, zunimmt?
Wir sehen den Euro schwächer und den Dollar stärker. Gemessen am populären Big-Mac-Index, der die Kaufkraft misst, sind die US-Währung wie auch der Franken zwar überbewertet. Aber den Ausschlag gibt die Zinsdifferenz. Während die US-Notenbank jüngst den Leitzins zum dritten Mal seit der Finanzkrise erhöht hat, wird die EZB an der Zinsfront noch mindestens zwei Jahre nichts unternehmen. Auch die politische Lage in Europa spricht vorerst eher gegen den Euro.
Wird es trotz Negativzinsen zu weiteren Umlagerungen in den Franken kommen?
Es stehen ja nicht nur weitere Wahlen in Europa an, im März löst Grossbritannien den Brexit aus – da ist jede Menge Raum für politisch Neues. Zur Absicherung fallen einem Bundesanleihen ein, der Yen, vielleicht noch Gold (Gold 1250.58 -0.17%) – und der Franken, der nach wie vor als Hort der Sicherheit gilt. Deshalb glauben wir auch nicht, dass noch höhere Negativzinsen den Franken entlasten würden. Sie wären eher eine Belastung für die Finanzinstitute, deren Zinsmarge noch mehr unter Druck käme.
Wohin fliesst das Anlagekapital? Die Renditen sind nach wie vor spärlich.
Interessanterweise sehen wir starke Zuflüsse in Anleihen. Das hat mit der hohen Aktienbewertung und mit dem Umstand zu tun, dass die Renditen seit der Trump-Wahl gestiegen sind. Das hat für dieses Jahr wieder einige Karten auf den Tisch gelegt. Staatspapiere der Europeripherie, Unternehmensanleihen, Dollar-Hochzins- und Hybridanleihen bieten mit 3 bis 6% ein ansehnliches Auskommen.
Wie sollen sich Anleger mit Blick auf ein Wiederkehren der Inflation verhalten?
Die Kerninflation – ohne Lebensmittel und Energie – hat sich kaum verändert. Preistreibend waren die Energiepreise, doch die ölpreisstarken Monate liegen bald hinter uns. Für Deutschland erwarten wir 2017 eine Inflationsrate von 1,7%, die sich gegen Jahresende abschwächt. Für 2018 gehen wir von 1,5% aus, also keine nennenswerte Gefahr.
Was heisst das für die Zinsen? Bondcrash ja oder nein?
Für dieses Jahr rechnen wir mit einem Renditeanstieg von rund einem halben Prozentpunkt. Das können die Märkte verkraften, weil für die Investoren auf der Anleihenseite noch immer ein positiver Gesamtertrag herausschaut.
Welche Themen oder Anlagen versprechen mehr Erfolg als Anleihen?
Stark gefragt sind Mischfonds, Multi-Asset-Portfolios, wo die Themen Aktien und Anleihen, unterschiedliche Laufzeiten und unterschiedliche Strukturen mit dem Ziel einer positiven absoluten Rendite zusammengeführt werden. Darin kommen auch alternative Anlagen zum Zug. Beispielsweise sehen wir nach wie vor Potenzial im globalen Immobilienmarkt, ausserhalb von Europa, in Asien, in Australien. Auch am US-Markt sind die Renditen noch immer ziemlich attraktiv.
Wer sich trotzdem vor Inflation fürchtet, was bietet Schutz?
Ein probates Mittel können Infrastrukturinvestitionen sein – Aktien und Anleihen, Titel von Unternehmen, die in der Lage sind, höhere Kosten unmittelbar weiterzugeben. Private Autobahnbetreiber sind ein Paradebeispiel, viele Mautgebühren sind inflationsindexiert. Infrastruktur entwickelt sich bei Inflation meist positiv.
Und ein reines Aktiendepot?
Auch bei steigenden Zinsen bietet eine solide geführte Dividendenstrategie einen soliden Ertrag. Wer darauf setzt, dass sich die US-Wirtschaft beschleunigt, fährt mit Value, mit Aktien unterbewerteter Unternehmen, voraussichtlich besser.
Letztes Jahr sagten Sie an dieser Stelle: «Die Erwartungen nicht zu hoch setzen.» Was ist Ihr Rezept für 2017?
Konstruktiv, selektiv, taktisch. Damit fährt man auch in volatilen Märkten gut.
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