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14:39 Uhr - 26.05.2015

Zweifel an Chinas Reformkurs

Die Rhetorik der chinesischen Führung hat den Hoffnungen auf mehr Marktwirtschaft Auftrieb gegeben. Nun sind viele Experten enttäuscht.

Wer auf China setzt, der hofft auf Veränderung. «Mittelfristig ist der Erfolg der Reformen extrem wichtig für Investoren», meint Christina Chung, Chefin für chinesische Aktien bei Allianz (ALV 148.05 -1.07%) Global Investors.

Doch einfach hat es die Regierung damit nicht. Sie muss dafür einen politischen Kampf gegen eine Elite führen, «die sich den Reformen stark widersetzen wird», kommentiert Michael Pettis, Professor an der Peking University, auf seinem Blog. Denn die Elite habe von der  staatlichen Kontrolle der Wirtschaft profitiert und würde ihre bisherigen Vorteile durch eine Deregulierung verlieren.

Warum sich in der Volksrepublik etwas verändern mussDas nachlassende Wachstum hat nicht nur natürliche Gründe. Die Hemmnisse durch das politische System sind noch lange nicht ausgeräumt.
Lesen Sie hier den ausführlichen Artikel von FuW-Redaktor Alexander Trentin.
Dabei könnte man als Aussenstehender durch die Reden aus Peking den Eindruck gewinnen, die Liberalisierung der chinesischen Wirtschaft sei in trockenen Tüchern. «Es gibt viel Rhetorik, aber wenig Aktion», bestreitet dies David Hoffman. Er ist Leiter des China-Zentrums der Wirtschaftsorganisation The Conference Board. «Interessanterweise wird die Rhetorik wahrgenommen als sei sie Aktion. Das geschieht in keinem anderen Land», konstatiert Hoffman. Er fordert deutlich mehr Massnahmen, um die Wirtschaft vom staatlichen Einfluss zu befreien.

«Reformen sind für die Führung zuletzt weniger wichtig geworden», schreibt Christopher Wood vom Brokerhaus CLSA in einem Kommentar. «Die wirtschaftliche Stabilisierung hat nun Priorität, da man vom Ausmass der wirtschaftlichen Verlangsamung überrascht war.»

Anstrengungen zu erkennen

zoomEin viel positiveres Bild des Reformfortschritts zeichnet Christina Chung. In den meisten Bereichen seien die Anstrengungen der Regierung zu erkennen. «Manche Reformen wurden schneller als gedacht umgesetzt», sagt Chung. «Die Finanzmärkte öffnen sich schnell und die Eintrittshürden in den Dienstleistungssektor wurden gesenkt.»

Die Diskrepanz zwischen den Meinungen von Chung und Hoffman ist kein Einzelfall. Von der schwedischen Universität Linnaeus wurden China-Experten befragt, ob die 2013 gesetzten Reformziele (vgl. Textkasten unten) tatsächlich bis 2020 umgesetzt würden. Die Umfrage zeigt zwei fast gleich grosse Lager von Optimisten und Pessimisten.

Fondsmanagerin Chung ist besonders von der Reform der Staatsfinanzen überrascht: «Ich war skeptisch, aber es gibt einigen Fortschritt. Es wurde ein Plan vorgelegt, wie man mit den Schulden der Lokalregierungen umgehen will.» Diese Reform sei wichtig für Anleger, da die lokalen Schulden für viel Verunsicherung sorgten.

Viele Ankündigungen

Nur eine einzige Reform, die tatsächlich implementiert wurde, sieht dagegen David Hoffman: «Es gab überall kleine Änderungen, aber die einzige echte Reform war die Anpassung des Umweltgesetzes im April vergangenen Jahres.» Er will sich mit einer Ankündigungspolitik nicht zufriedengeben: «Für uns zählt eine Reform nur, wenn sie von detaillierten regulatorischen Bestimmungen oder noch besser von einem Gesetz begleitet wird.»

Reformen nur nach solch einem Endresultat zu beurteilen, finden nicht alle Beobachter angemessen. «Ausländische Investoren missverstehen, wie Reformen in China umgesetzt werden», schreibt der in Schanghai ansässige Unternehmensberater Chet Scheltema. Peking agiere oft sehr schnell, nur erhofften sich Investoren nach Ankündigungen zu viel. Pilotprojekte wie die Freihandelszone in Schanghai seien oft experimentell. Ob und wie die Reform am Ende landesweit umgesetzt wird, stehe zu Beginn des Pilotprojekts noch zur Diskussion. Ein weiterer Grund für Enttäuschungen für Ausländer ist laut Scheltema die Überschwänglichkeit in Reden der politischen Führung. Diese seien nicht als Versprechen zur konkreten Umsetzung gedacht, sondern eine Motivation für die Untergebenen.

Scheltema verweist auch auf die Komplexität vieler Reformen, etwa des Umbaus der Staatsunternehmen. «Als die Zentralregierung eine Bankreform ankündigte, hat das ausländische Investoren begeistert», schreibt der Unternehmensberater. «Aber man sollte vorsichtig sein, da die tatsächliche Umsetzung Zeit braucht und das Endresultat anders aussehen könnte als anfangs gedacht.»

Wo der Staat dominant bleibt

Den Fortschritt beim Umbau der Staatsunternehmen sieht auch Christina Chung kritisch: «Da bin ich wenig zuversichtlich. Diese Reform ist schwierig umzusetzen.» Für den Markt wäre es daher eine angenehme Überraschung, falls doch Fortschritte vermeldet würden. Doch auch davon solle man sich nicht zu viel versprechen: «Strategische Sektoren wie Energie und Telekom werden von Staatsunternehmen dominiert bleiben.» Doch für Beobachter wie David Hoffman ist gerade die Reform der Staatsunternehmen entscheidend, um marktwirtschaftliche Prinzipien in China umzusetzen.

Ein kritischer Zeitpunkt ist erreicht: Chinas Führung will einerseits ein hohes, stabiles Wirtschaftswachstum aufrechterhalten, schon alleine um soziale Spannungen zu vermeiden. Andererseits wird das Wachstum zwangsläufig sinken, wenn sich das Wirtschaftsmodell ändert und weniger in Infrastruktur investiert wird.

«Es ist möglich, dass China sich vom Reformkurs abwendet und das Wachstum wieder durch Stimulusprogramme ankurbeln will», erklärt CLSA-Stratege Woods. Das sei zwar nicht der wahrscheinliche Fall, hätte aber extrem negative Effekte. Denn damit würde der riesige Schuldenberg der Volksrepublik weiter wachsen.

Die stimulierenden Investitionsprojekte sind laut dem Internationalen Währungsfonds noch durch den normalen Staatshaushalt zu bewältigen. Doch für langfristige Anleger ist wichtig zu beobachten, ob Peking in alte Strukturen des    Wachstumsmanagements zurückfällt. Es braucht mehr als nur ein Börsenzugang über Hongkong. Nur wenn der Staat tatsächlich seinen Einfluss zurückfährt, kann ein Wachstumsmodell auf Innovation und Wettbewerb gebaut werden.

Reformziele für das Jahr 2020Präsident Xi Jinping stellte 2013, ein Jahr nachdem er an die Macht gekommen war, ein umfassendes Reformprogramm vor. Bis 2020 sollten ambitionierte Ziele erreicht werden – besonders die Orientierung an der Marktwirtschaft wurde von Beobachtern gerühmt. Die Reformziele konzentrieren sich auf sechs Bereiche.

Wirtschaftsordnung: Weniger Regulierung von Privatunternehmen und transparentere Führung der Staatsunternehmen. Deregulierung von Preisen.

Landreform: Mehr Eigentumsrechte an Land für Bauern. Deregulierung des Systems zur Wohnsitzkontrolle, Hukou.

Staatshaushalt: Mehr Einnahmen von Einkommens- und Immobiliensteuern. Bessere Finanzierung der Lokalregierungen.

Finanzsektor: Freier Kapitalverkehr. Freigabe Wechselkurs Renminbi. Zinsliberalisierung. Ausbau des Kapitalmarkts.

Marktzugang: Einfacherer Zugang für ausländische Investitionen.

Umwelt: Höhere Priorität für Umweltschutz. Strengere Strafen für Verschmutzung. Höhere Kosten für Ressourcenverbrauch.

Warum sich in der Volksrepublik etwas verändern mussDas nachlassende Wachstum hat nicht nur natürliche Gründe. Die Hemmnisse durch das politische System sind noch lange nicht ausgeräumt.
Lesen Sie hier den ausführlichen Artikel von FuW-Redaktor Alexander Trentin.

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