Zurück zur Übersicht
15:18 Uhr - 16.05.2017

«In diesem Umfeld kann nur Gold profitieren»

Ned Naylor-Leyland, Edelmetallexperte beim Vermögensverwalter Old Mutual, setzt auf Gold und Silber, um sich gegen das Schrumpfen der Kaufkraft abzusichern.

Herr Naylor-Leyland, der Aufwärtstrend an den Börsen ist ungebrochen, und die US-Zinsen steigen. Was bedeutet das für Gold (Gold 1234.46 0.25%)?
Gold profitiert vom selben Treiber wie der Aktienmarkt: von negativen inflationsbereinigten Zinsen. In diesem Umfeld schrumpft die Kaufkraft der Anleger, wenn sie Cash oder kurzfristige Anleihen halten.

Bleiben die Realzinsen trotz der angekündigten Zinserhöhungen in den USA negativ?
Wir hatten drei Zinserhöhungen in den letzten siebzehn Monaten. Jedes Mal, wenn das Fed die Zinsen erhöhte, stieg der Goldpreis. Das ist auf den ersten Blick nicht intuitiv, aber der Markt fixiert sich auf die Zinsprognose der Notenbank. Es interessiert ihn nicht, wann der Zinsschritt kommt, sondern wie viele es noch sind. Bisher war jeder Fed-Entscheid von einem zurückhaltenden Ausblick begleitet. Fed-Chefin Janet Yellen hält die Zinserwartungen tief. Das führt zu negativen realen Zinsen und stützt den Goldpreis.

Es hängt derzeit also alles von den realen Zinsen ab?
Der physische Markt spielt tatsächlich keine Rolle. Es geht bei Gold immer um das inflationsbereinigte Zinsniveau, egal, ob das Umfeld inflationär oder deflationär ist. Auch politische Ereignisse sind für sich genommen irrelevant. Nur ihr Einfluss auf den realen Zins zeigt sich im Goldpreis.

Die realen Zinsen liegen schon lange unter null, und trotzdem sinkt der Goldpreis.
Die realen Zinsen fielen zwischen 2011 und 2013. Bis 2012 profitierte Gold. Danach setzte eine Gegenbewegung zur vorangegangenen Rally, die etwas übertrieben gewesen war, ein. In der zweiten Jahreshälfte 2012 bis Anfang 2013 war das Argument der realen Zinsen daher tatsächlich ungültig.

Was ist, wenn das Fed die Realzinsen in den positiven Bereich hebt?
Die Zentralbanken bringen die Situation derzeit nicht unter Kontrolle, denn es fehlt das Wirtschaftswachstum, um die realen Zinsen über null zu heben. Wir befinden uns offensichtlich in einer Stagflation. Es wiederholt sich ein Muster, das wir bereits in den Siebzigerjahren erlebt haben.

Aber die ökonomischen Daten deuten auf eine Erholung hin.
Die Daten sind falsch. Es wurde viel über falsche Nachrichten gesprochen, aber was wirklich manipuliert wird, sind die makroökonomischen Daten. Die Inflationszahlen sind nicht verlässlich. Die Lebenskosten steigen stetig, doch die Teuerung spiegelt das nicht. Das Gleiche gilt für die Arbeitslosigkeit: Alle sprechen von Vollbeschäftigung, dabei sinkt die Partizipation am Arbeitsmarkt in den USA. Zudem entstehen oft schlecht bezahlte Teilzeitstellen. Das ist kein gutes konjunkturelles Umfeld. Wenn die Wirtschaft stagniert und die Inflation anzieht, haben wir Stagflation. In diesem Umfeld ist Gold die einzige Anlageklasse, die profitieren kann.

Wieso setzen Anleger dennoch auf Aktien?
Dieses Umfeld hält schon länger, als ich erwartet hatte. Die Anleger verstehen nicht, was um sie herum geschieht. Solange sich die Wirtschaft in ihrem Interesse entwickelt, ändern sie ihre Ansichten nicht. Eine dieser Ansichten ist der Glaube, dass die Zeit linear ist. Aber das ist sie nicht. Das menschliche Verhalten ist zyklisch. Es gibt offensichtliche Echos.

Das müssen Sie erklären.
1944 wurde das Bretton-Woods-System gegründet. 27 Jahre später – 1971 – hat US-Präsident Richard Nixon den Goldstandard aufgegeben und damit die US-Schuldenlast entschärft. Es folgten bis 1981 zehn Jahre geldpolitisches Chaos. Der Goldpreis brach nach oben aus. Erst die Zinserhöhungen der US-Notenbank unter Paul Volcker auf fast 20% konnte die Anleger beruhigen und brachte das Vertrauen in die Zentralbanken zurück.

Und jetzt?
27 Jahre nach 1981 war das Jahr 2008 – der Ausbruch der globalen Finanzkrise. Erneut hatten wir fast eine Dekade Chaos. Es herrschen ähnliche politische und soziologische Bedingungen wie damals. In den USA sehen wir eine weisse, populistische Bewegung gegen den Sozialstaat.

Was kommt dieses Mal am Ende des Chaos?
Unser Währungssystem ist am Ende. Die Schulden wachsen, aber sie erhöhen die Produktivität nicht mehr. Seit 2008 hat sich die monetäre Basis verachtfacht, das Geld zirkuliert aber nicht. Würde es zirkulieren, hätten wir angesichts der Geldmenge bald eine Hyperinflation. Das System bräche zusammen. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise diskutieren die G-20, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank eine Lösung für das internationale Währungssystem.

Wie sähe die Lösung aus?
Wir brauchen eine neue Reservewährung. Diese Rolle könnte Gold übernehmen, es diszipliniert das Währungssystem.

Würden die Zentralbanken bei einem neuen Goldstandard in der Geldpolitik nicht zu stark eingeschränkt?
Das ist eine komplexe Frage, deren Antwort Bücher füllt. Im Zentrum steht der Unterschied zwischen Gold als Währung mit einem freien Wechselkurs und Regierungsmassnahmen wie dem Goldstandard. Von Letzterem könnte etwa China profitieren, um das nötige Vertrauen im internationalen Zahlungsverkehr zu erarbeiten. Demgegenüber wäre es für die hoch verschuldeten westlichen Staaten schwierig, ein solches System glaubhaft aufzubauen.

Was bedeutet das für den Goldpreis?
Die heutige Lage erinnert an 1978/79 – kurz bevor sich der Goldpreis in achtzehn Monaten fast verachtfacht hat. Ich sage nicht, dass sich das wiederholt. Aber die Leute haben realisiert, dass ihre Kaufkraft jährlich 3 bis 4% schrumpft. Die negativen Realzinsen haben damals die Ersparnisse weggefressen, es gab keinen Grund mehr, das Geld auf der Bank zu lagern. Heute ist dieses Potenzial noch grösser.

Wie meinen Sie das?
Es braucht nur einen Bruchteil des Kapitalflusses hin zu Gold, um eine ähnliche Bewegung auszulösen. Damals wies das durchschnittliche Portfolio 12% Gold auf. Heute ist niemand investiert. Genau diese ablehnende Haltung macht es interessant.

Beobachten Sie diese Bewegung bereits?
Seit letztem Jahr fliesst wieder mehr Kapital in den Goldmarkt. Aber es ist bisher nur ein Rinnsal verglichen mit anderen Kapitalströmen. Die Stimmung ist immer noch schlecht. In  diesem Umfeld braucht es nur einen leichten Impuls. Er ist wahrscheinlich technischer Natur, wenn der Preis über 1290 $ steigt.

Dieses Niveau haben wir bereits erreicht.
Es stimmt, wir haben diesen Widerstand kurz erreicht. Aber noch befinden wir uns in einem technischen Abwärtstrend.

Wie sollten sich Anleger in diesem Umfeld positionieren?
Wenn man glaubt, dass es so weitergeht wie bisher, kommt man ohne Gold aus. Aber die globalen Superreichen halten grosse Teile ihres Vermögens in Gold, die Zentralbanken lagern mehr als 18% ihrer Reserven in Goldbarren – in der Eurozone ist dieser Anteil gar noch höher –, und die Armen weltweit sparen in Gold. Nur die Anleger in der Mitte bleiben aussen vor.

Sie sprechen von physischem Gold. Wie stehen Sie zu Aktien?
Mein Fonds ist eine Kombination. Wir halten 18,5% in Barren, und den Rest investieren wir in Minen- und Lizenzunternehmen. Das macht den Ertrag zwar volatiler, aber wenn der Goldpreis steigt, profitieren wir stärker. Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das bei einem Unzenpreis von 1200 $ eine Marge von 100 $ erzielt. Steigt der Preis auf 1300 $, hat sich der Ertrag verdoppelt. Sind Sie dagegen physisch investiert, beträgt der Gewinn 8%. Natürlich ist dieser Hebeleffekt auch bei einem Preisrückgang vorhanden. Noch extremer ist der Effekt bei Silber (Silber 16.73 0.6%), das derzeit 50% unserer Anlagen ausmacht.

Warum ist der Silberpreis volatiler?
Stellen Sie sich den Silbermarkt als Planschbecken vor. Daneben ist der Goldmarkt ein Schwimmbecken – und der Rest des Finanzmarktes der Atlantik. Wenn nur ein Teil des Wassers ins Planschbecken fliesst, läuft es bald über. Beim Schwimmbecken ist der Effekt etwas kleiner.

Wo stehen die Edelmetallpreise Ende Jahr?
In einem Bullenmarkt steigt der Goldpreis jährlich im zweistelligen Prozentbereich, das hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt. Noch interessanter wäre dann Silber. Das historische Muster und technische Faktoren indizieren einen Anstieg von derzeit knapp 17 $ auf bis zu 80 $ je Unze in den kommenden zwei Jahren.

Wann beginnt diese Rally?
Drei wichtige Faktoren dafür sind erfüllt: Die Realzinsen sind tief, wir beobachten ein historisches Muster, das gute Aussichten für Gold bietet, und der Kapitalfluss zieht an. Zudem weist der Goldpreis in Dollar eine Sequenz von immer höheren Hochs und höheren Tiefs auf. Aus charttechnischer Sicht ist das sehr gut.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.