Zurück zur Übersicht
14:20 Uhr - 29.01.2016

«Zertifikate sind die Antwort auf die Anlagenot»

Thomas Wulf, Generalsekretär des Europäischen Verbands für Strukturierte Produkte Eusipa, hat Einblick in die Branche wie kaum ein anderer. Im Interview mit FuW hat er viel Lob für die Schweiz übrig.

Herr Wulf, welches Bild gibt aus der Aussensicht der Markt für strukturierte Produkte in der Schweiz ab?
Die Schweizer Branche ist und bleibt der Vorreiter unserer Industrie in Europa, wenn nicht sogar darüber hinaus, von der Produktkategorisierung im Jahr 2007 über die Cosi-Besicherungslösungen 2011 bis zu den Plattformstrukturen, die ab 2013 aufgekommen sind. Wir profitieren in unserem Produktsegment enorm davon, dass das Private Wealth Management im Finanzplatz Schweiz eine globale Heimstatt hat.

Das Private Banking ist mehrfach herausgefordert, die Weissgeldstrategie ist ein Beispiel. Welche Zukunft hat der Schweizer Finanzplatz?
Schweizer Häuser führen den Wettbewerb nicht primär über Preise und Angebotsdichte, wie in verschiedenen Nachbarmärkten. Die grosse Mehrheit versucht vor allem, mit der Qualität ihrer Produkte zu punkten. Dieser Fokus auf Qualität ist ein Erbe der klassischen Vermögensverwaltung, die kennzeichnend für die Schweizer Branche ist und ihr eine gute Zukunft verspricht, immer vorausgesetzt, sie nimmt die Herausforderung an, die ihr die Konkurrenzmärkte abtrotzen.

Zur PersonDer Deutsche Thomas Wulf (42) führt das Eusipa-Generalsekretariat seit Januar 2012. Der studierte Jurist begann seine Berufslaufbahn in einer EU-Dienststelle in den ostdeutschen Bundesländern, bevor er zur Commerzbank nach Brüssel wechselte. Nach zwei Jahren und einer Zwischenstation in Berlin übernahm er für die Anwaltskanzlei Linklaters den Bereich Geschäftsentwicklung/Marketing in Belgien. Von 2008 bis 2011 leitete er diesen Bereich für Westeuropa (ex Deutschland). Der Vater zweier Kinder lebt mit seiner Familie seit zwölf Jahren in der belgischen Hauptstadt. Woran denken Sie beim Stichwort Qualitätsprodukt?
Beispielsweise Anlageideen, die eine Marktsicht abbilden, die andere Häuser nicht haben, oder neue Produktstrukturen, die dem passiv investierten Anleger doch bestimmte Einflussmöglichkeiten geben, wenn der Markt sich ändert. Die Welt der strukturierten Produkte bietet dazu vielseitige Möglichkeiten

Die Hinweise, dass der Schweizer Markt gesättigt ist, mehren sich. Wie beurteilen Sie die Situation?
Sättigung ist relativ. Wir leben in einer absoluten Niedrigzinslage, im Fixed-Income-Bereich gibt es kaum noch attraktive Anlagen. Ich finde es eher verwunderlich, dass nicht mehr in strukturierte Produkte investiert wird. So können Anleger doch an steigenden Aktienkursen teilhaben, die es aufgrund der ultraexpansiven Geldpolitik zumindest in der Eurozone mittelfristig wieder geben wird, mit fixem Coupon, mit bedingtem Schutz nach unten. Eine Marktsättigung sehe ich bei dieser Ausgangslage eher nicht.

Vor der Finanzkrise hatten Anleger in der Schweiz gegen 7% in strukturierte Produkte investiert. Jetzt sind es noch gut 3%. Wie hoch schätzen Sie das Potenzial ein?
Wenn man die Dinge global betrachtet, kommt man schwer um die Feststellung herum, dass aktiv gemanagte Investmentprodukte nicht erst seit der Finanzkrise enttäuscht haben. Eine wachsende Zahl von Investmentfonds bildet deshalb nur noch Marktindizes nach. Das hindert sie aber nicht, Gebühren wie für aktives Management zu verlangen. Davon rate ich ab. Was ausser Direktinvestments übrig bleibt, sind strukturierte Produkte. Ich würde grob für einen Anteil von 10 bis 15% im Depot plädieren.

Im Niedrigzinsumfeld sind Anleger verständlicherweise sehr kostenbewusst. Können strukturierte Produkte preislich mithalten?
Ganz klar, ja. Schaut man sich die Kostenstruktur passiver Produkte in den grossen Märkten an, stellt man eindeutig fest, dass der Kunde nicht nur weniger als für aktiv gemanagte Produkte zahlt, sondern auch, und das ist ja entscheidend, für sein Geld mehr Performance bekommt.

Rund neun von zehn in der Schweiz verkauften Produkten sind Barrier-Reverse-Convertibles-Strukturen. Weshalb diese Konzentration bei der Vielfalt des Angebots?
Der Grund dürfte ein ganz einfacher sein. Die Instrumente sind für Emittenten leicht aufzusetzen und geben dem Investor über die Wahlmöglichkeit für Barriere- und Couponhöhe eine wunderbare Gelegenheit, die individuelle Markterwartung und die Risikoneigung in Einklang zu bringen.

Also (ALSN 63.5 -0.08%) doch aktiv investieren?
So gesehen, ja. Die Beliebtheit des Produkts zeigt auch, dass viele Kunden eine sehr genaue Marktmeinung zu einer bestimmten Aktie haben.

Was ist mit den übrigen Produkten, arbeitet die Branche am Markt vorbei, mangelt es an Innovation?
Sicher passiert es dann und wann, dass der Absatz neuer Produkte enttäuscht. Aber das Ausprobieren neuer Ideen ist fester Bestandteil einer gesunden Marktwirtschaft. Nehmen wir Cosi, mit vollem Namen Collateral Secured Instruments, also pfandbesicherte Produkte, die vor einem Emittentenausfall schützen. Spricht der Umstand, dass dieser Schutz zurzeit nicht gross gefragt wird, für mangelnde Produktqualität? Nein, Cosi ist genial – die Antwort auf Lehman Brothers. Glücklicherweise, wird man wohl sagen müssen, machen sich Kunden heute nicht viele Sorgen um die Zahlungsunfähigkeit ihrer Bank. Trotzdem gehört Cosi ins Angebot.

Wie vermeidet man es, sich nicht von einem hohen Coupon blenden zu lassen? Er sticht in Anzeigen meist besonders hervor.
Sicher ist der erwartete Ertrag ein grosser Anreiz, für welches Produkt man sich entscheidet. Die direkte Korrelation zwischen Ertrag und Risiko verstehen aber inzwischen wohl die allermeisten Kunden. Wichtig ist der genaue Blick auf die Produktstruktur. Auch sollte man sich nicht scheuen, den Kundenberater mit vermeintlich simplen Fragen zu löchern. Wenn, um ein weiteres Beispiel zu geben, bei einer Worst-of-Struktur der Ertrag des Produkts vom schlechtesten Wert im Korb am Stichtag abhängt, muss ich mir eben zu jedem Wert eine Meinung bilden und über die Korrelation nachdenken. Fühlt man sich davon überfordert, ist ein anderes Produkt womöglich besser geeignet.

Ein grosses Thema ist Transparenz. Woran sollen sich Käufer bei der Produktwahl orientieren?
Anleger müssen vor allem eine Marktmeinung haben und das Prinzip des Produkts, in das sie investieren wollen, verstehen. Niemand sollte beispielsweise Lufthansa-Aktien oder ein auf Lufthansa (LHA 13.49 0.19%) lautendes Zertifikat kaufen, ohne die Geschäftslage der Luftfahrtbranche zu beurteilen. Der Berater kann die Produktstruktur genau erklären und darlegen, welcher Ertrag sich im jeweiligen Marktszenario erzielen lässt. Abwägen, ob man das Risiko tragen will, muss der Kunde letztlich selbst. Das hat mit Transparenz nichts zu tun und fällt in der regulatorischen Debatte leider oft unter den Tisch.

Auch die Branche selbst bestreitet nicht, dass es bei der Transparenz noch Verbesserungspotenzial gibt. Wie weit ist man von einer einheitlichen, europaweiten Lösung entfernt?
Anfang 2017 wird es im Rahmen der in Kraft tretenden EU-Priips-Verordnung eine einheitliche Kostenlösung für die von der Verordnung erfassten Finanzprodukte geben. Priips, in Neudeutsch Packaged Retail and Insurance Based Investment Products, ist eine Verordnung, die einen neuen Informationsstandard einführt. Über den genauen Inhalt, zum Beispiel zur Kostenoffenlegung, wird gerade heftig zwischen den Aufsichtsbehörden und den Marktteilnehmern diskutiert. Viele Details sind noch sehr umstritten, zum Beispiel, wie und in welchem Umfang die Kosten für Absicherungsgeschäfte ausgewiesen werden müssen. Übrigens müssen in der EU die Vertriebsgebühren schon lange ausgewiesen werden. Bei Priips geht es um die Aufschlüsselung weiterer Kostenelemente. Leider ist die politische Diskussion völlig fehlgeleitet.

Was meinen Sie damit?
Es geht vollkommen unter, inwieweit dem Kunden mit einer detailreichen Kostenaufschlüsselung – ausserhalb der Vertriebskosten – bei der Entscheidung für ein Produkt effektiv geholfen ist. Man läuft Gefahr, dass Einzelkostenelemente, deren Ausmass auf die Produktqualität keinen Einfluss hat, die Kaufentscheidung unzulässig beeinflussen. Es ist ein bisschen so, als würden am Automarkt die Verkaufsniederlassungen gezwungen, die Einkaufspreise oder die internen Kosten für die Herstellung des Motorblocks auszuweisen. Mit der Qualität des Fahrzeugs hat das doch nichts zu tun.

Auch bei den elektronischen Plattformen der Emittenten gibt es noch keine umfassende und branchengültige Basis – noch nicht?
Die Vielseitigkeit des Angebots ist ja schon neu und ein Schritt nach vorn. Ich rechne fest damit, dass sich in den nächsten Monaten neue und kreative Lösungen breiter durchsetzen werden. Wer sich durchsetzen wird, hängt entscheidend von unabhängigen Finanzberatern und kleineren Private-Wealth-Management-Häusern ab. Für ihre Bedürfnisse sind die Plattformen ideal. Wie gesagt ist auch da die Schweiz Trendsetter.

Wie beurteilen Sie die regulatorische Entwicklung in der Schweiz?
Wegen der starken wirtschaftlichen Verknüpfung mit dem EU-Wirtschaftsraum bekommt die Schweiz den europäischen Regulierungsdruck ungebremst zu spüren und muss sich dem Vorschriftentornado im Prinzip wie auch die EU-Mitgliedländer stellen. An Fidleg, dem neuen Finanzdienstleistungsgesetz, lässt sich demgemäss eine gewisse Prägung durch die Mifid-2-Direktive und Priips ablesen.

Welchen Weg empfehlen Sie der Schweiz?
Die Schweiz muss das Regulierungsthema nicht vom Ende, sondern vom Anfang her denken. Ist die EU-Richtlinie oder -Verordnung einmal in der Welt, müssen Schweizer Unternehmen, die in der EU weiter wirtschaften wollen, die Regeln umsetzen. Die Lösung liegt in einer möglichst aktiven Beeinflussung des EU-Gesetzgebungsprozesses – und das zum frühestmöglichen Zeitpunkt.

Mit welchen Erfolgschancen?
Die Schweiz sollte nicht verkennen, dass sie in Brüssel gute Karten hat, der technische Sachverstand der Schweizer Finanzbranche wird in der EU geschätzt. Einzelne Mitgliedstaaten, allen voran Luxemburg und Grossbritannien, sind ebenso an einem starken Finanzplatz Europa interessiert und sind daher in vielen europäischen Dossiers fast natürliche Verbündete der Schweiz.

Wie finden Sie sich als Verbandspräsident im Sperrfeuer der nationalen, regionalen und globalen Regulierungsinitiativen zurecht?
Wichtig ist es, die Interessen der Beteiligten und ihre Arbeitsweise genau zu kennen. So sind EU-Kommission und -Parlament daran interessiert, die europäischen Aufsichtsbehörden Esma, Eiopa und EBA nicht allzu mächtig werden zu lassen.

Wirklich?
Ja, die ESA, wie sie zusammen genannt werden, sind inzwischen weit mehr als nur Berater der EU-Kommission – zu allein dem Zweck wurden sie ursprünglich allerdings gegründet. Alle drei Behörden sind oft viel näher am Markt als die Kommission und haben über ihre Mitglieder auch einen besseren Zugang zu den nationalen Diensten und der politischen Ebene der Mitgliedstaaten. Manchmal sieht sich die Kommission dann in ihrem Initiativrecht ausgebootet, wenn mal wieder unerwartet eine Best-Practice-Empfehlung oder eine Technical Opinion herausgegeben wird.

Was hat das in der Praxis für Konsequenzen?
Kommission und Parlament halten das Budget der europäischen Behörden oft absichtlich knapp und verhindern damit unter anderem umfassende Neueinstellungen. Die drei EU-Behörden versuchen wiederum, aus dieser Situation einen kreativen Ausweg zu finden, und spannen mehr und mehr nationale Behörden ein, die dann freiwillig für ein Dossier die technische Arbeit und die Koordinierung auf europäischer Ebene, quasi im Auftrag, übernehmen. Das gibt den Länderbehörden wiederum die nicht ganz unwillkommene Möglichkeit, dem Ganzen einen nationalen Stempel aufzudrücken, was das übergeordnete Finanzministerium wiederum seinerseits mit Wohlwollen sieht.

Wie verhält sich da, quasi im Sandwich, Ihr Verband, der Vertreter der nationalen Interessen in Europa?
Für die Eusipa bedeutet diese Gemengelage, dass wir zu den wichtigen nationalen Behörden in der EU, darunter der AMF in Frankreich, der BaFin in Deutschland, der Consob in Italien und auch der Finma in der Schweiz, die in der Iosco, dem Weltverband, aktiv ist, ein gutes und transparentes Arbeitsverhältnis pflegen müssen. Es zahlt sich aus, dass sich unsere nationalen Mitgliedverbände seit Jahren intensiv darum bemühen.

Welche Regulierungsebene wird sich am Ende durchsetzen?
Das ist schwierig zu beurteilen. Die multinationale Ebene besteht ja nicht nur aus Brüssel, der Weltverband der Finanzaufsichtsbehörden und die Bank für internationalen Zahlungsausgleich sind ebenfalls aktiv. Da spielen viele Interessen auch von ausserhalb Europas mit. Wie man sich vorstellen kann, ist dieser Wettbewerb häufig stark politisch und weniger technisch geprägt und ist oft kennzeichnend für das Arbeitsergebnis.

Womit wir abschliessend bei der Frage landen, wie weit am Strukturierte-Produkte-Markt der Staat mitreden und was unter Selbstregulierung fallen soll.
Selbstregulierung sollte aus meiner Sicht viel mehr als Werkzeug zur Regelsetzung geschätzt werden. Viele Verbände unter unserem Dach, wie auch die Eusipa selbst, haben zum Beispiel einen Code of Conduct aufgestellt, der den Emittenten Fairness im Umgang mit den Kunden bis hin zu Einzelheiten der Preispolitik vorschreibt. Im Hintergrund steht für den Regulator bei der Selbstregulierung die Frage, was für ein Verhalten er im lokalen Markt langfristig erzeugen will. Überbordende Regulierung provoziert Ausweichverhalten und im Extremfall Marktversagen, weil sich Konkurrenten wegen des regulatorischen Risikos irgendwann vom Markt fernhalten. Ein aktuelles Beispiel ist hier Belgien. Das schränkt den Wettbewerb ein, bremst Innovationen, benachteiligt auf lange Sicht die Kunden und lässt irgendwann die Assets abwandern.

Mehr Selbstregulierung, obwohl sie in der Finanzkrise versagt hat?
Selbstregulierung wird stets zusammen mit dem Regulator entwickelt und von ihm auch überprüft. Der Staat hat also durchaus Einfluss auf die Geschehnisse. Schaut man die Wirtschaftsgeschichte an, so wird schnell klar, dass kein Regelwerk so beständig ist wie eigenverantwortliche und durch gegenseitige Kontrolle durchgesetzte Verhaltensnormen. Die Zünfte in der Schweiz sind dafür ein schönes Beispiel.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.