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14:05 Uhr - 23.11.2016

«Zinswende ja – Zinsschock nein»

Der Reiz der Dividende bleibt intakt, sagt Fondsmanager Tim Albrecht von Deutsche Asset Management im Interview. Europäische und vor allem deutsche Aktien kämen unter den Anlegern zu schlecht weg.

Herr Albrecht, wie haben die Anleger in den Deutschlandfonds Ihres Hauses nach der Trump-Wahl reagiert?
Ähnlich wie nach dem Brexit. Es gab vereinzelte Abflüsse, aber insgesamt haben sich die Anleger sehr ruhig verhalten, obwohl der Markt zunächst sehr volatil war. Bei manchen Investoren besteht die Befürchtung, Deutschland könnte unter der vermuteten freihandelskritischen Politik des neuen US-Präsidenten leiden. Die USA sind Deutschlands grösster Exportpartner, da besteht eine gewisse Nervosität.

Tim Albrecht ist Leiter DACH Aktien (Deutschland, Österreich, Schweiz) und Manager des DWS Deutschland. Bild: ZVGMuss man sich um Exportweltmeister Deutschland Sorgen machen?
Die gleiche Frage stellten wir nach der Brexit-Abstimmung. Auch Grossbritannien ist für Deutschlands Exporte wichtig. Trotz der dramatischen Abwertung des Pfunds hat sich bisher kaum etwas verändert. In den USA ist die Währung stärker geworden, das sollte im Grunde die Importe beflügeln. Und falls Trump tatsächlich harte Massnahmen ergreifen sollte, gefährdet er potenziell Hunderttausende von Jobs deutscher Unternehmen in den USA. Das wird er kaum riskieren.

Was bedeutet Trump für die US-Wirtschaft?
Wir rechnen mit einer Wachstumsbelebung in Richtung 3%, getrieben von Steuersenkungen und höheren Staatsausgaben, die unter anderem die Infrastruktur verbessern sollen. Aber wie immer bei einem durch Staatsausgaben ausgelösten Wachstumseffekt wachsen auch die Schulden. Längerfristig muss die expansive Fiskalpolitik von Strukturreformen begleitet sein, sonst ist am Ende der Schaden grösser als der Nutzen.

zoomSpringt dieser Wachstumseffekt auch auf Europa über?
Früher hätte man gesagt, die europäische Wirtschaft folgt den USA mit rund sechsmonatigem Abstand. Jetzt mahnen Stimmen –  nicht zu Unrecht –  zur Vorsicht: Schauen wir mal, was die neue Regierung anpackt und umsetzt, was aus den angekündigten Importbeschränkungen wird. All das muss sich erst weisen.

Wie nehmen Sie die Anlegerstimmung generell wahr?
Was Europa und auch Deutschland betrifft, ist die Zurückhaltung gross, während der US-Markt Zuflüsse verzeichnet. Weiterhin fokussieren sich viele Anleger trotz Niedrigzinsen auf die Anleihenmärkte. An der Aktienbörse steht nach wie vor das Dividendenthema weit oben.

Was bleibt für die europäischen Börsen und speziell für Deutschland übrig, wenn die Musik in den USA spielt?
Die europäische Wirtschaft bewegt sich langsam, aber stetig vorwärts. Die Einkaufsmanagerindizes, oder der Ifo-Index in Deutschland, deuten auf ein stabiles Wachstum im nächsten Jahr hin.  Das sind gute Voraussetzungen für Aktien, zumal die Bewertungen zum Teil günstig sind. Deutsche Aktien handeln mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 13, verglichen mit 18 in den USA. Dieser Bewertungsabschlag scheint übertrieben zu sein.

Trotz geschwächtem Finanzsystem, politischer Unsicherheit – Verfassungsreferendum in Italien, Wahlen in Frankreich, den Niederlanden, in Deutschland – und einer Europäischen Zentralbank, die mit ihrem Latein bald am Ende ist?
All das stimmt. Aber die Erwartungen sind so gering und sämtliche Aufmerksamkeit dermassen auf die Risiken gerichtet, dass es kaum tiefer, sondern im Grunde nur aufwärtsgehen kann. Die Fortschritte, auch und gerade was Deutschland angeht, werden gerne vergessen.

Nämlich?
Die Arbeitslosenquote in Deutschland ist so niedrig wie seit 25 Jahren nicht mehr, die Konsumentenstimmung ähnelt dem Hoch vom Jahr 2000, und der  Wohnungsbau floriert. Deutschland ist nicht mehr das reine Exportland, das es viele Jahre war. Jetzt haben wir eine gesunde Mischung. Impulse kommen auch vom Konsum und von den Staatsausgaben. Eine Regierung, die wiedergewählt werden will, fährt keinen dauerhaft strengen Sparkurs. Die Budgets wurden deutlich aufgestockt, etwa im Strassen- und Brückenbau, der jahrelang vernachlässigt worden war.

Welches ist die beste Börse in Europa?
Irland hat die Hausaufgaben erledigt, auch Spanien ist auf relativ gutem Weg. Aber wir sagen nicht, das oder das ist jetzt der beste Markt. Wir suchen innerhalb der Länder die besten Investments, wobei ich schon anfügen möchte, dass wir glauben, dass Deutschland ein gutes Chancen-Risiko-Profil aufweist.

Welche Performance ist für Deutschlands Aktienmarkt realistisch?
Die Kombination von immer noch leicht wachsenden Exporten, robustem Konsum, verhältnismässig niedriger Staatsverschuldung – weniger als in vielen anderen Staaten –, günstiger Bewertung und einer Dividendenrendite von 3% verglichen mit etwa 0,3% zehnjähriger Bundes- und rund 1% von Unternehmensanleihen stellt dem Markt ein gutes Zeugnis aus. Eine durchschnittliche jährliche Rendite von 8% wie in den vergangenen 25 Jahren mag etwas hoch gegriffen sein, weil wir uns nicht nur in Deutschland, sondern weltweit in einem Umfeld niedrigeren Wachstums bewegen. Realistisch sind 5 bis 6% in den nächsten Jahren, wobei etwa die Hälfte aus der Dividende kommen sollte.

Läuten die gestiegenen Kapitalmarktzinsen in den letzten Wochen die Zinswende ein, und wie stark sticht dann das Dividendenargument noch?
Geldpolitisch hat die EZB signalisiert, dass eine noch stärkere Lockerung und damit langfristig negative Zinsen unrealistisch sind. Die Inflation steuert in Richtung 1,5 bis 2%, was durchaus gewollt ist. Übersteigt sie dieses Mass,  wird es interessant sein, was die Zentralbank dann unternimmt, um das Staatsschuldensystem nicht zu sehr zu stressen. Das ist allerdings in die weitere Zukunft geschaut. Fürs nächste Jahr sagen wir: Zinswende ja, stark steigende Zinsen nein. Der Reiz der Dividende bleibt bestehen.

Weshalb sollen Schweizer Anleger, mit dem starken Franken im Rücken, in deutsche Aktien investieren?
Die Dividendenrendite ist ähnlich, aber Schweizer Unternehmen haben eine höhere Ausschüttungsquote. Das heisst: Deutschland hat Luft nach oben, auch bei der Bewertung.

Was zeichnet den DWS Deutschland, den mit über 5,5 Mrd. € grössten Fonds für deutsche Aktien, im Branchenvergleich aus?
Er hat einen flexiblen Ansatz, ist weder value- noch wachstumsorientiert, sondern versucht, in jedem Marktumfeld Mehrwert zu erwirtschaften. Im Gegensatz zu anderen Fonds hatten wir beispielsweise Finanztitel schon vor der Sektorrotation übergewichtet, die jetzt nach der Trump-Wahl in Gang gekommen ist. Gerade Versicherungsaktien sind noch immer günstig. Auch Industrievaloren sind bei uns übervertreten, wogegen wir Immobilienwerte und Konsumgüteraktien, zu denen auch Autotitel gehören, abgebaut haben. 2016 liegen wir über der Benchmark. Es ist uns gelungen, in einem schwierigen und volatilen Jahr Rotation und Volatilität in Performance umzusetzen.

Wo sehen Sie die nächsten Chancen?
Den Nebenwerteanteil, der sich normalerweise um 25% bewegt, haben wir reduziert und trauen Large Caps eher mehr zu. Unter den Immobilienaktien könnte sich nach der heftigen Korrektur das eine oder andere Investment wieder lohnen. Grosse Umschichtungen drängen sich nicht auf, Stock Picking hat weiter Vorrang.

Weshalb der Abbau bei Autoaktien?
Es gibt das Thema mit dem Abgasskandal, dessen Folgen noch nicht völlig ausgestanden sind. Und zur Vorsicht mahnt, dass man, wenn man mit den Unternehmen spricht, zur Antwort bekommt: Die Dieseltechnologie hat ausgedient.

Dafür tun sich neue Märkte auf, Elektrofahrzeuge, selbstfahrende Autos.
Noch ist offen, wer den Markt dominieren wird. Die deutschen Hersteller haben die neuen Technologien etwas stiefmütterlich behandelt und sind jetzt zu grossen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen gezwungen. Es könnte auch sein, dass die Wertschöpfung zum Teil verstärkt ausserhalb von Deutschland stattfinden wird.

Wo ist Exportweltmeister Deutschland auch Innovationsweltmeister?
Sicher in Teilen der Autoindustrie, im Maschinen- und Anlagenbau sowie im Chemiesektor. Deutsche Softwareunternehmen profieren zusätzlich von der wachsenden Digitalisierung in der gesamten Wirtschaft.

Sie sind schon länger im Anlagegeschäft. Was raten Sie Investoren?
Unterschiedliche Studien belegen, dass ab einer Haltefrist von fünf Jahren die Ertragschancen rapide steigen. Deshalb langfristig an die Sache herangehen und nur investieren, was das Risikobudget zulässt, denn der Markt kann auch mal gegen einen laufen.

 

 

 

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