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12:33 Uhr - 16.09.2014

Der stille Retter der Grossbanken

Der Limmat-Pfandbrief leitete in der Krise die Überschussliquidität im Finanzplatz zu den Grossbanken um und ersparte der Schweiz teure Staatsgarantien.

Zum AutorDewet Moser ist Stellvertretendes Mitglied des Direktoriums der SNB und für die operative Führung des III. Departements zuständig. Er arbeitete 2008 und 2009 an der Konzeption und der Umsetzung der Limmat-Pfandbriefe mit.Mitten in der diesjährigen Sommerpause wurde – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – ein für unser Land nicht unwichtiges Kapitel in der Bewältigung der Finanzkrise abgeschlossen. In aller Stille, mit helvetischer Nüchternheit, ist am 29. Juli die letzte Serie der sogenannten Limmat-Transaktionen (vgl. Textkasten) fristgerecht und vollumfänglich zurückgezahlt worden.

Die von der Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute Ende 2008 bis Sommer 2009 begebenen Limmat-Pfandbriefe trugen massgeblich dazu bei, dass selbst auf dem Höhepunkt der Krise im Schweizer Bankensystem ein substanzieller Liquiditätsausgleich möglich war.

Kreativer Alleingang

Zur Erinnerung: Nach dem Kollaps von Lehman Brothers im September 2008 spitzte sich die Lage an den Finanzmärkten dramatisch zu. Das unter den Banken grassierende Misstrauen wirkte lähmend: Weil die Bonität der Gegenparteien in Frage gestellt wurde, kam das Geschäft am unbesicherten Interbankengeldmarkt, das bereits seit Ausbruch der Krise im Sommer 2007 gelitten hatte, zum Erliegen. Noch gravierender war, dass auch die mittel- und langfristige Finanzierung über die Ausgabe von Anleihen für die meisten Finanzinstitute kaum mehr möglich war. Weltweit mussten Staaten grosse Banken retten, um noch höheren Schaden von der Volkswirtschaft abzuwenden. Zudem sprachen die Industrieländer fast flächendeckend Staatsgarantien für neue Bankanleihen aus, um den noch funktionsfähigen Instituten die Refinanzierung und damit das Überleben zu ermöglichen.

Auch in der Schweiz musste eine Bank gestützt werden. Im Oktober 2008 schnürten der Bundesrat, die damalige Eidgenössische Bankenkommission und die Schweizerische Nationalbank (SNB (SNBN 1095 0%)) für die UBS (UBSN 16.27 -0.37%) ein Paket von Massnahmen – Stichwort Stabilisierungsfonds. Sollte unser Land bei den Staatsgarantien ebenfalls dem internationalen Muster folgen und einen ordnungspolitischen Sündenfall begehen? Oder könnte mit einer privatwirtschaftlichen Lösung ein positives Signal für das hiesige Bankensystem gesendet werden?

Die Lage in der Schweiz war insofern einzigartig, als das Bankensystem quasi zweigeteilt war. Auf der einen Seite standen die Grossbanken, deren traditionelle Refinanzierungsquellen, der Geld- und der Anleihenmarkt, versiegt waren. Bei der UBS kam erschwerend dazu, dass sie unter einem starken Abfluss von Kundengeldern litt. Auf der anderen Seite standen Kantonalbanken, Raiffeisenbanken, die PostFinance und weitere Institute, die von Geld überschwemmt wurden; sie kämpften mit einem Anlage- und nicht mit einem Refinanzierungsproblem. Wenn sich also ein Weg finden liess, die überschüssige Liquidität bei den aufs Inlandgeschäft ausgerichteten Banken zu den liquiditätssuchenden international orientierten Grossbanken umzuleiten, könnte auf weitere staatliche Eingriffe verzichtet werden.

Es war indes klar, dass die geldgebenden Banken gute Sicherheiten für ihre Kredite verlangen würden. Die im Interbankenmarkt dafür normalerweise verwendeten erstklassigen Wertschriften waren bei den Grossbanken jedoch knapp geworden und wurden primär für die Sicherung der kurzfristigen Liquidität eingesetzt, z. B. als Sicherheit für Repogeschäfte. Allerdings verfügten sie über grosse Bestände an hochwertigen Hypotheken in der Schweiz, die als Pfand eingesetzt werden konnten. Die SNB lancierte deshalb die Idee, solche Hypothekenforderungen mit dem Schweizer Pfandbrief zu mobilisieren – einem Instrument, das bereits seit den Dreissigerjahren existiert.

Pfandbriefbank mobilisiert

In der Schweiz sind gemäss Pfandbriefgesetz zwei Institute befugt, Schweizer Pfandbriefe zu emittieren: die Pfandbriefbank und die Pfandbriefzentrale der schweizerischen Kantonalbanken. Beide  vergeben Pfandbriefdarlehen gegen Verpfändung von Hypotheken, die den strengen Kriterien des Pfandbriefgesetzes zu genügen haben: Sie müssen erstrangig sein und dürfen sich nur auf Objekte in der Schweiz beziehen. Weiter gelten klare Vorschriften zur Belehnungsgrenze für die Pfandobjekte. Die Hypotheken werden verpfändet, bleiben aber – anders als bei mit Hypotheken hinterlegten Verbriefungen (Mortgage Backed Securities) – in der Bilanz der verantwortlichen Bank. Die Pfandbriefe werden meist in der Form einer öffentlichen Emission, zuweilen aber auch privat platziert. Den Emissionserlös stellen die Institute ihren Mitgliedbanken zur Verfügung. Daher war rasch klar, dass die Pfandbriefbank zum Zuge kommen sollte, zählen doch die beiden Grossbanken seit jeher zu ihren Mitgliedern.

Die Grundidee des innerschweizerischen Liquiditätsausgleichs war bestechend einfach: Die Pfandbriefbank gewährt den Grossbanken Darlehen. Sie kommen so zur dringend benötigten Liquidität. Die Pfandbriefe, die die Pfandbriefbank zur Finanzierung der Darlehen ausgibt, werden von den anderen Banken als attraktive Anlagemöglichkeit gekauft: Sie können ihren Liquiditätsüberschuss abbauen und erhalten dafür erstklassige Sicherheiten. Dieser Liquiditätsausgleich trägt dazu bei, dass die Grossbanken ihre Kreditvergabe nicht abrupt einschränken müssen, und beugt somit einer volkswirtschaftlich schädlichen Kreditklemme vor.

Insofern war die Aktion durchaus im Sinne der Zweckbestimmung von Artikel 1 des Pfandbriefgesetzes, indem sie die Pfandbriefinstitute darin unterstützte, «dem Grundeigentümer langfristige Grundpfanddarlehen zu möglichst gleichbleibendem und billigem Zinsfusse zu vermitteln». Allerdings steckte auch hier der Teufel im Detail. Conditio sine qua non war nämlich, dass sich die Transaktion nicht nachteilig auf die Pfandbriefbank und indirekt auch auf die Mitgliedbanken auswirkte. Insbesondere durfte die untadelige Reputation des Schweizer Pfandbriefs als krisen- und mündelsichere Anlage nicht aufs Spiel gesetzt werden – er wurde bisher immer fristgerecht und vollständig bedient.

Eigenmittel stärken

Normalerweise tritt bei einer Anleihe eine grössere Anzahl von Darlehensnehmern auf. Dies begrenzt für die Pfandbriefbank bei Fälligkeit einer Anleihe das Liquiditätsrisiko, das daher rührt, dass in extremis die Verwertung der Pfänder eine gewisse Zeit in Anspruch nähme. Damals standen jedoch ausschliesslich die beiden Grossbanken auf der Nehmerseite: ein Klumpenrisiko. Dieses hätte die Ratingagentur Moody’s dazu bewegen können, ihr Triple-A für Pfandbriefe zu revidieren. Mit einer Zusatzvereinbarung, die eine Stundungsklausel enthielt und die Übertragbarkeit einschränkte, wurde diese Klippe umschifft. Die geldgebenden Banken gewähren damit der Pfandbriefbank im schlimmsten Fall eine längere Frist für die Rückzahlung der Pfandbriefe, sodass die Pfandobjekte zuerst verwertet werden können.

Um das Pfandbriefgesetz einzuhalten und nicht den geringsten Zweifel an der Solidität der Pfandbriefbank aufkommen zu lassen, mussten ferner ihre Eigenmittel gestärkt werden. Denn die Emissionen über insgesamt rund 11 Mrd. Fr. führten zu einer deutlichen Bilanzverlängerung. Die Pfandbriefbank stockte ihr Eigenkapital mit nachrangigen Darlehen auf, die ihr gemäss Verursacherprinzip UBS und CS gewährten. Diese nachrangigen Darlehen wurden parallel mit dem ausstehenden Volumen an Limmat-Pfandbriefen aufgebaut und später auch zurückgeführt.

Indes engte die Zusatzvereinbarung den Gestaltungsspielraum ein. Zum einen mussten die Limmat-Transaktionen deswegen – und aus steuerlichen Erwägungen, da damals auf öffentlich begebene inländische Anleihen noch die Emissionsabgabe anfiel – privat platziert werden. Zum anderen galten die Titel wegen der eingeschränkten Übertragbarkeit nicht als für Offenmarktoperationen zugelassene Sicherheiten. Die SNB rückte nicht von den hohen Mindestanforderungen ihrer Effektenpolitik ab. Sie bewies aber ihre Flexibilität, indem sie Limmat-Pfandbriefe für die Engpassfinanzierungsfazilität zur Überbrückung unerwarteter Liquiditätsengpässe akzeptierte. Damit trugen sie für Käufer das Siegel «anrechenbar als liquide Aktiven im Sinne der regulatorischen Bestimmungen».

Flexibilität und Solidarität

Nach Fälligkeit der letzten Limmat-Transaktion lässt sich folgendes Fazit ziehen: Das Instrument hat in einer kritischen Phase den mittel- bis langfristigen Liquiditätsausgleich unter den Banken ermöglicht und stabilisierend auf das Finanzsystem gewirkt. Es hat dazu beigetragen, dass es in der Schweiz während der Krise nie zu einer Kreditklemme kam und keine flächendeckenden Staatsgarantien für Bankenanleihen oder für Bankdepositen ausgesprochen werden mussten. Für diesen Erfolg waren zwei Faktoren entscheidend, die auch für die Zukunft des Schweizer Finanzplatzes von Bedeutung sind.

Zuerst ist die richtige Mischung aus «roten Linien» in prinzipiellen Fragen und Flexibilität in der Ausgestaltung zu erwähnen. Einerseits durfte der Ruf des Schweizer Pfandbriefs als Refinanzierungs- und auch als Anlageinstrument keinen Schaden nehmen. Dass er in der Tat keinen Kratzer abbekam, zeigt das in den letzten Jahren gestiegene Emissionsvolumen. Nimmt man den ausstehenden Anleihenstock als Mass, hat der «Erdgenosse» 2013 gar den «Eidgenossen» aus seiner langjährigen Führungsposition verdrängt. Das konsequente Festhalten der SNB an den strengen Kriterien ihrer Effektenpolitik hat sich ebenfalls als richtig erwiesen. Konzessionen bei den Mindestanforderungen in einer Krise können Präzedenzfälle schaffen und das Vertrauen in den besicherten Geldmarkt aushöhlen. Anderseits ist es wichtig, nicht vor pragmatischen Lösungen (wie der Zusatzvereinbarung, die übrigens nie in Anspruch genommen werden musste) zurückzuschrecken, um Nägel mit Köpfen zu machen.

Als Nächstes positiv zu vermerken ist die Bereitschaft der Pfandbriefbank, als Drehscheibe für den Liquiditätsausgleich zu fungieren. Konstruktiv mitgewirkt haben auch die Geschäftsbanken. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, die Finanzverwaltung und die Steuerverwaltung boten zudem unter hohem Zeitdruck Hand zu den nötigen regulatorischen Anpassungen und Präzisierungen.

Die SNB rief bereits im Sommer 2008 mit den Banken und den Pfandbriefinstituten eine Arbeitsgruppe ins Leben, die in Zürich Möglichkeiten für den Einsatz auf  dem Wert des Hypothekenportfolios basierender Instrumente zur Liquiditätssicherung in Krisen wie auch zur normalen Refinanzierung erörterte. Damit wurde der Ball aufgenommen, den Thomas Jordan, seinerzeit Vorsteher des III. Departements und heute Präsident des Direktoriums der SNB, im Mai 2008 an der Generalversammlung der Pfandbriefbank ins Spielfeld geworfen hatte. Er regte an, dass Banken illiquide Hypothekarforderungen in liquide Wertpapiere umwandeln sollten, indem sie ihre Hypotheken vermehrt über Pfandbriefe «flüssig» machen und diese gleich selbst halten. Der zweite Erfolgsfaktor besteht also darin, dass die Akteure bereit gewesen sind, im Geiste eines Schweizer Gemeinschaftswerks konstruktiv an einer Gesamtlösung zu arbeiten.

Heute präsentiert sich die Lage am Geldmarkt fundamental anders als 2008 und 2009. Im Zuge der Durchsetzung des Mindestkurses führte die SNB 2011 und vor allem 2012 dem Markt mit Devisenkäufen enorm viel Frankenliquidität zu. Entsprechend wurden die Geldmarktzinsen teilweise gar negativ. Unverändert aber spielen Pfandbriefe für die Refinanzierung der Banken eine tragende Rolle. In der SNB-Effektenpolitik kommt dem Schweizer Pfandbrief nach wie vor eine grosse Bedeutung zu. Er wird sie auch dann behalten, wenn die von der SNB revidierten Kriterien für die Repofähigkeit Anfang 2015 in Kraft treten. Die Anpassungen stellen sicher, dass sämtliche SNB-repofähigen Effekten als qualitativ hochwertige und liquide Aktiven gemäss der neuen Liquiditätsverordnung gelten.

Zeitloses Potenzial

Die Schöpfer des Pfandbriefgesetzes waren keine Hellseher. Dennoch gelang es ihnen, 1930 ein Instrument zu schaffen, das trotz des fundamental gewandelten Umfelds im Kern bis heute unverändert geblieben ist. Unter dem Eindruck der Flut an «innovativen» strukturierten Hypothekenanleihen im Ausland haftete dem Schweizer Pfandbrief in den zwei Jahrzehnten vor der Krise der Ruf des ewigen Langweilers an. Dass er dazu beigetragen hat, ausgerechnet eine nicht zuletzt von jenen Hypothekenanleihen ausgehende Krise zu bewältigen, stellt eine feine Pointe der Finanzgeschichte dar.

Die mahnt uns aber auch, dass eine Entwicklung bisweilen eine gänzlich unerwartete Richtung einschlagen kann. Die Tatsache, dass derzeit kein Ende der Liquiditätsschwemme am Geldmarkt abzusehen ist, sollte Banken und Unternehmen nicht dazu verleiten, sich keine Gedanken zur künftigen Liquiditätsbewirtschaftung und -sicherung unter veränderten Vorzeichen zu machen. Es entspricht dem klugen Gebot der Vorsorge, sich in ruhigen Zeiten zu wappnen. Bei aller Unsicherheit erscheint mir dabei eines gewiss: Das Potenzial des Schweizer Pfandbriefs als Instrument zur Liquiditätssicherung dürfte noch nicht ausgeschöpft sein.

Anatomie der Limmat-TransaktionenDie Pfandbriefbank lancierte im Rahmen der Limmat-Transaktionen an vier Emissionsterminen Pfandbriefe über nominal insgesamt 11,04 Mrd. Fr. Die erste Staffel wurde am 30. Dezember 2008 liberiert, also noch vor Jahresende, das letzte Paket am 29. Juli 2009. Die vier Emissionen waren in insgesamt 56 Tranchen (Serien) unterteilt. Diese Zahl war deshalb so gross, weil bei den ersten beiden Emissionen jede Tranche an je einen Investor ging, was dazu führte, dass etliche Serien bezüglich Coupon und Laufzeit identisch waren.

Das änderte sich mit der dritten Emission, die über die elektronische Plattform der Eurex auktioniert wurde. Weil dadurch die Nachfrage gebündelt werden konnte, sank die Zahl der Serien, die dafür höhere Beträge aufwiesen. Die Laufzeiten reichten von einem bis zu fünf Jahren, die Coupons lagen zwischen 0,815 und 2,335%. Käufer der Pfandbriefe im Privatplatzierungsformat waren fast dreissig inländische Banken sowie PostFinance (die damals noch nicht als Bank galt); der Emissionserlös floss über die Pfandbriefbank den beiden Schweizer Grossbanken zu.

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